Berlin. „Quer durch den Impfgarten“, wenig Erkenntnisgewinn bei “Hart aber fair“: Plasbergs Runde konnte das Corona-Impfdebakel nicht auflösen.

Franz Müntefering (81) hat schon einen Impftermin. Dank seiner (jüngeren) Frau, die ihn online angemeldet hat, in gefühlt sieben bis acht Minuten. „Aber ohne irgendwelchen Bonus“, setzte der ehemalige SPD-Vorsitzende bei „Hart aber fair“ vorsorglich hinzu.

Damit war er einer der wenigen, bei denen es auf Anhieb mit dem Impftermin geklappt hat. Die meisten Anrufe, E-Mails und Video-Botschaften, die die Redaktion von „Hart aber fair“ an diesem Montag erreichten, beschwerten sich stattdessen über „Kämpfe mit der Hotline“, „Warteschleifen ohne Durchkommen“ oder „keine gemeinsamen Termine für Ehepaare über 80 Jahre“. Lesen Sie dazu: Corona: So bekommt man einen Termin für eine Impfung

"Hart aber fair" - Das waren die Gäste:

  • Kar-Josef Laumann (CDU, NRW-Gesundheitsminister)
  • Franz Müntefering (SPD, ehemaliger Vizekanzler)
  • Eckart von Hirschhausen (Mediziner, Impfproband, Kabarettist)
  • Gerd Hesse (Senior, versuchte erfolglos einen Impftermin zu bekommen)
Frank Plasberg (r.) sprach bei
Frank Plasberg (r.) sprach bei "Hart aber fair" über das deutsche Impf-Debakel. Zu Gast: Karl-Josef Laumann, Anette Dowideit, Franz Müntefering, Dr. Lisa Federle und Eckart von Hirschhausen (v.r.). © WDR/Dirk Borm

"Hart aber fair": Franz Müntefering fordert mehr Tempo beim Impfen

Erst Hoffnung, nun Ärger: Wie die Politik „so eine Chance in den Sand setzen kann“, wusste auch Franz Müntefering, heute Vorsitzender des Dachverbandes der Seniorenorganisationen (BAGSO), nicht zu erklären: „Aber die Perspektive ist insgesamt gut: Der Impfstoff ist da“, viel früher als erwartet.

Trotzdem verstand er die Ungeduld der Menschen: „Wenn wir in diesem Tempo weiterimpfen, sind wir Ende des Jahres noch nicht fertig“, rechnete er grob vor, Wochenenden und Feiertage wohl nicht mit: 100.000 Pikser pro Tag, mache 18 Millionen bis Ende November. „Das reicht nicht. Wir müssen vier- bis fünfmal soviel impfen.“

Wie aber soll das gehen, wenn nicht genug Impfstoff da ist? Und überhaupt, was ist da falsch gelaufen, wo hakt es bei der Organisation? Frank Plasberg führte seine Talk-Runde diesmal „einmal quer durch den Impfgarten“. Neue Erkenntnisse konnte er nicht liefern, dafür markige Fragen: „Scheitert Deutschland am Impfen?“, hieß schon der schwarzmalende Titel.

Laumann bemängelt "absoluten Mangel an Impfstoff"

„Der Ärger ist überall gleich groß“, bestätigte Karl-Josef Laumann (CDU), Gesundheitsminister in NRW. Er ärgere sich auch, wenn „Leute mit 80 drei Tage am Computer sitzen müssen, um einen Termin zu bekommen“. Schuld daran sei aber der „absolute Mangel an Impfstoffen“.

Dann machte er die entmutigende Rechnung zum momentanen Stand auf: „Wir haben in Nordrhein-Westfalen über 1,2 Millionen Menschen über 80 Jahre. Wenn ich jede Woche, wie zurzeit, Impfstoff habe, um 70.000 bis 80.000 Menschen zu impfen, dann weiß jeder, dass wir 12, 13 Wochen brauchen“, erklärte er und verwies darauf, dass die genannten Zahlen mal vier für die ganze Republik genommen werden könnten. Dann erst käme Gruppe 2 dran.

Karl-Josef Laumann (CDU, NRW-Minister für Gesundheit, Arbeit und
Soziales.
Karl-Josef Laumann (CDU, NRW-Minister für Gesundheit, Arbeit und Soziales. © WDR/Dirk Borm

„Wir haben schon 500.000 Termine vergeben, bis Ende der Woche werden es eine Million sein“, ergänzte er, bezogen auf NRW. Wenn aber erst einmal genug Impfstoff da wäre, würden auch die Hausärzte eingebunden, versicherte er. Dann könnte alles viel schneller gehen, mit dem britischen Impfstoff von Astrazeneca und den Unter-65-Jährigen.

Impfstoff-Mangel: Patienten bieten Ärzten sogar Geld, um Impfung zu bekommen

Genauso frustriert wie ihre Patienten, machte Lisa Federle, Notärztin in Tübingen, das Problem der schleppenden Terminvergabe dringlich: „Die Menschen sind nicht nur verärgert, viele haben wirkliche Panik.“ Immer wieder höre sie von Risikopatienten, dass sie nicht noch Monate zu Hause sitzen könnten, allein auf sich gestellt. Manche würden sogar alles versuchen, um an den Impfstoff zu kommen: „Ich hatte schon Leute, die mir Geld geboten haben“, berichtete sie. Natürlich ohne Erfolg.

Dr. Lisa Federle, Notärztin und Pandemiebeauftragte Tübingen.
Dr. Lisa Federle, Notärztin und Pandemiebeauftragte Tübingen. © WDR/Dirk Borm

Wie könnte man die Terminvergabe effektiver machen? Als konstruktiven Vorschlag steuert Frank Plasberg die Idee bei, Impf-Einladungen mit einem konkreten Terminvorschlag per Post zu verschicken – wie es bei der Brustkrebsvorsorge schon seit Jahren in Deutschland problemlos praktiziert wird.

„Toller Vorschlag“, fand auch Eckart von Hirschhausen, der sich wenigstens darüber begeistern konnte, wie schnell ein Impfstoff gegen Corona gefunden wurde. Und „hochgradig sinnvoll“, befand er, weil doch „wer über 70 ist und auf die Impfung wartet, der wird doch auch seine Termine drum herum legen können“, war er sich sicher. Lesen Sie auch das Interview: Hirschhausen: "Der Nutzen der Impfung ist glasklar belegt“

EU-Impfvergleich: Deutschland nur auf Platz 15

Anette Dowideit, die für die „Welt am Sonntag“ die bisherige Chronologie der Impfung recherchiert hatte, erklärte an einigen Beispielen, warum Deutschland mit aktuell 2,3 Prozent Geimpfter im EU-Vergleich nur auf dem „bescheidenen 15. Platz“ stehe: „Italien zum Beispiel hat erst das ganze medizinische Personal geimpft, das hatte den Vorteil, dass es zentral erreichbar war“, erläuterte sie.

Und dann, international betrachtet, Israel natürlich, wo die Hälfte der neun Millionen Einwohner schon durchgeimpft sei: „Das ist wie ein riesiges Testlabor“, erklärte sie. Um früher dran zu kommen, habe die Regierung nicht nur eher bestellt und pro Impfdosis mehr bezahlt als die EU, sie gäbe zur Auswertung auch anonymisierte Patientendaten an Biontech/Pfizer weiter, weil die ohnehin zentral gespeichert seien. In Deutschland würde stattdessen der Datenschutz hochgehalten.

Zwischendurch wurde auch noch Han Steutel aus Berlin zugeschaltet, der am „Impfgipfel“ der Bundesregierung teilgenommen hatte.

Der Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), warb um Verständnis: Die Zulassung sei so schnell gekommen, dass nicht ausreichend Impfstoff vorproduziert werden konnte. Es sei keine Frage des Preises, versicherte er, und die Weitergabe von Lizenzen an andere Produzenten bloß eine „romantische Idee“, denn nur wenige Firmen hätten überhaupt die nötige Erfahrung, um den hochmodernen mRNA-Impfstoff herzustellen.

„Ich persönlich bin sehr guter Dinge“, schätzte er dann, „dass wir schon Ende des zweiten Quartals sehr gut bevorratet sein werden“. Das wäre Juni.