Berlin. Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt über ihre Corona-Erkrankung, Infektionsschutz und die Aussicht ihrer Partei im Superwahljahr.

Katrin Göring-Eckardt verbringt die ersten Tage im neuen Jahr im Brandenburgischen, wo sie zusammen mit Freunden einen Rückzugsort gefunden hat. Die Fraktionschefin hat Corona gerade erst am eigenen Leib erlebt - und sagt im Interview, welche Schlüsse sie daraus gezogen hat.

Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben den Lockdown weiter verschärft, obwohl es nach den Feiertagen keine klare Datenlage gibt. Müssen die Bürger das hinnehmen?

Katrin Göring-Eckardt: In der Tat gab es Verzögerungen bei der Übermittlung von Corona-Daten. Aber wir haben sehr hohe Todeszahlen und weiterhin hohe Zahlen bei den Neuinfektionen. Das muss uns aufrütteln. Ich finde es notwendig, den Lockdown zu verlängern und sich über weitere Maßnahmen zu verständigen. Lesen Sie auch: Göring-Eckardt: „Ich wurde beim Joggen schon angespuckt“

In Corona-Hotspots soll die Bewegungsfreiheit auf einen 15-Kilometer-Radius beschränkt werden. Ist Ihnen klar, was das für Menschen gerade auf dem Land bedeutet?

Göring-Eckardt: Klar ist doch, dass wir unsere Kontakte wie im ersten Shutdown deutlich runterfahren müssen. Aber der 15-Kilometer-Radius ist für viele nicht nachvollziehbar und lässt sich wohl schwer umsetzen. Es ist nichts einzuwenden, wenn eine Familie zum Spaziergang oder zum Rodeln in ihrer Heimatregion dorthin fährt, wo sonst keiner ist. Das Problem sind eher traditionelle Wintersportorte, die von sehr vielen Menschen besucht werden. Die könnte man auch zumachen oder den Tourismus dort vernünftig managen.

Wie lange sollen die Schulen noch geschlossen bleiben?

Göring-Eckardt: Wir können die Schulen wegen der hohen Ansteckungszahlen im Moment nicht im Normalbetrieb aufmachen. Aber wir brauchen eine klare Perspektive für die Öffnung. Bis dahin darf die Schließung von Schulen und Kitas nicht allein auf den Schultern der Eltern abgeladen werden. Homeoffice darf nicht als Betreuungsmöglichkeit gewertet werden. Gleichzeitig führt kein Weg an höheren Infektionsschutzmaßnahmen für die Arbeitswelt vorbei.

So froh ich bin, dass viele längst Möglichkeiten der Heimarbeit nutzen: Es muss endlich klar gemacht werden, dass - wo immer es möglich ist - ein Recht auf Homeoffice gilt. Es darf nicht den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern überlassen werden, sich das mühsam zu erkämpfen. Es geht hier um ihre Gesundheit und unseren gesamtgesellschaftlichen Erfolg im Kampf gegen die Pandemie. Lesen Sie auch: Göring-Eckardt: „Deutschland ist kein gerechtes Land“

Worauf wollen Sie hinaus?

Göring-Eckardt: Arbeitsminister Heil muss sich hinstellen und angesichts der kritischen Lage ein deutliches Signal an uneinsichtige Arbeitgeber senden: Wer Mitarbeitern ohne dringende Notwendigkeit das Arbeiten von zuhause verweigert, obwohl auch Homeoffice möglich wäre, verletzt Fürsorgepflicht und Arbeitsschutz - und riskiert ein Bußgeld. Vor allem Großraumbüros sind Risikogebiete. Eine halbherzige Bitte an die Arbeitgeber, wie sie von der Regierung kommt, reicht da nicht aus. Es ist brandgefährlich, dass die Bundesregierung sich nicht traut, mehr zur Verhinderung von Infektionen am Arbeitsplatz zu unternehmen.

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    Und der Schulunterricht?

    Göring-Eckardt: Es ist eine Vollkatastrophe, dass so viele Schulen immer noch keinen vernünftigen Digitalunterricht hinbekommen - drei Jahre, nachdem der Digitalpakt mit fünf Milliarden Euro ins Leben gerufen wurde. Ganz normaler Unterricht wird an vielen Orten noch lange nicht möglich sein. Daher müssen wir andere, kreative Lösungen finden. Es kann nicht nur darum gehen, Schulen ganz zu öffnen oder ganz zu schließen. Die Beschlüsse der Kulturminister bleiben weit hinter dem zurück, was vielerorts an neuen Sachen ausprobiert wird. Eigeninitiativen von Schulen sollten unterstützt, nicht ausgebremst werden. Warum sollen geschlossene Museen und leere Theatersäle nicht für den Unterricht genutzt werden? Warum holt man nicht das Technische Hilfswerk und Messebauer in die Schulen, um Luftfilter einzubauen? Außerdem haben wir einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk…

    … der welche Rolle spielen soll?

    Göring-Eckardt: In anderen Ländern wird das Lernen in der Coronakrise auch über das Fernsehen unterstützt. Das hatten wir im Frühjahr schon einmal bei uns, und die Öffentlich-Rechtlichen erweitern ihre Bildungsprogramme wieder. Das ersetzt keinen Unterricht, aber hilft gerade auch da, wo Kinder leider immer noch kein anständiges Endgerät haben. ARD und ZDF sollten besonders ihre interaktiven Angebote weiter ausbauen. Lesen Sie auch: Göring-Eckardt: Union hat Ideen aus dem letzten Jahrhundert

    Sollten Lehrer und Erzieher schneller geimpft werden, als das vorgesehen ist?

    Göring-Eckardt: Es ist richtig, die Hochbetagten als Erste zu impfen. Aber wenn Impfstoff übrig bleibt, dann sollten natürlich auch andere geimpft werden. Lehrerinnen und Lehrer sollten unterrichten können, ohne sich selbst zu gefährden. Das muss auch mit regelmäßigen Tests in Schulen sichergestellt werden.

    Bei den Impfungen hinkt Deutschland hinterher - obwohl das erste Präparat in Mainz entwickelt wurde. Wie erklären Sie das den Bürgern?

    Göring-Eckardt: Ja, es war ein ruckeliger Start. Aber so großflächig haben wir noch nie geimpft, zudem gibt es unterschiedliche Herangehensweisen in den Ländern. Das hätte einheitlicher organisiert werden können, damit nicht jedes Bundesland seinen eigenen Weg geht. Wir brauchen jetzt dringend eine Task Force, in der nicht nur Regierungsmitglieder sind. Um das Impfmanagement zu optimieren, müssen wir bundesweit diejenigen zusammenholen, die wissen, woran es in der Praxis mangelt. Außerdem brauchen wir eine Kommunikation, die das Vertrauen in die Impfstoffe stärkt. Wir haben eine viel zu große Impfzurückhaltung - gerade auch beim Personal von Pflegeheimen.

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      Und wie kommen wir schneller an Impfstoff?

      Göring-Eckardt: Diese Frage hat zu einer absurden politischen Auseinandersetzung auch innerhalb der Koalition geführt. Die SPD als Teil der Bundesregierung schickt Gesundheitsminister Spahn einen Fragenkatalog. Wie reden die eigentlich sonst miteinander? Durch ein solches Hickhack beschädigt man auch Vertrauen bei den Menschen in die Impfungen. Es ist wichtig, dass die Produktionskapazitäten und die Impfstoffmengen rasch erhöht werden, das geht nicht auf Knopfdruck, aber ich bin sicher: Wir werden in wenigen Monaten sehr viel Impfstoff zur Verfügung haben. Und lassen Sie mich noch eines sagen: wenn irgendetwas unverantwortlich ist, dann die Forderung der FDP nach einem Untersuchungsausschuss.

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      Verteidigen die Grünen jetzt den CDU-Gesundheitsminister gegen die die FDP?

      Göring-Eckardt: Ich bin die letzte, die Herrn Spahn in Schutz nehmen muss. Natürlich hat er auch Fehler gemacht. Aber wenn wir jetzt einen Untersuchungsausschuss einrichten, bindet das Kräfte, denn genau diejenigen, die das Impfen organisieren sollen, müssten sich stattdessen in Bereitstellung von Akten vertiefen. Ich bin total dafür, dass wir uns anschauen, was schiefgelaufen ist - aber bitte erst, wenn wir es leichter haben, was die pandemische Lage angeht. Mit Vorschlägen, wie es besser gehen würde, nicht mit dem Ruf nach einem Untersuchungsausschuss, zeigt man Regierungsfähigkeit.

      Lassen Sie sich selber impfen? Seit Ihrer Corona-Erkrankung müssten Sie immun gegen das Virus sein.

      Göring-Eckardt: Ich lasse mich impfen, wenn ich dran bin und das sinnvoll ist. Das gehört für mich zweifelsfrei dazu - auch weil es größeren Schutz für andere bietet. Bei mir war das ein sogenannter milder Verlauf. Trotzdem hat mich die Krankheit ganz schön in Anspruch genommen. Ich habe noch nie so viele Symptome auf einmal gehabt und war noch nie so lange ausgeknockt wie mit Corona. 14 Tage war ich nicht nur weg vom Job, sondern auch vom Nachdenken. Ich bin sehr dankbar, dass mir eine Behandlung im Krankenhaus erspart blieb.

      Haben Sie Angst bekommen, als Sie krank geworden sind?

      Göring-Eckardt: Nein. Ich bin kein besonders angstvoller Mensch. Ich habe mir rational überlegt, bei welcher Entwicklung ich was machen müsste. Große Atemnot war bei mir zum Glück kein Problem.

      Haben Sie sich vollständig erholt?

      Göring-Eckardt: Ich gehe wieder Joggen. Das ist für mich das wesentliche Kriterium. (lacht)

      Die Grünen rütteln am Zaun des Kanzleramts. Wie realistisch ist eine grüne Bundeskanzlerin?

      Göring-Eckardt: Eine grüne Bundeskanzlerin oder ein grüner Bundeskanzler - das ist das Ziel. Wenn man auf Platz zwei ist, will man auf Platz 1. Die Union wird in eine ganz andere Situation kommen, wenn den Menschen klar wird, dass Angela Merkel tatsächlich geht. Deswegen halten wir unser Ziel auch für realistisch.

      Annalena Baerbock oder Robert Habeck - mit wem haben die Grünen die besseren Chancen?

      Göring-Eckardt: Beide können es. Das ist ein Luxusproblem. Die Entscheidung wird im Frühjahr getroffen.

      Und wie? Warten Fraktion und Basis einfach ab, bis aus der Parteizentrale weißer Rauch aufsteigt?

      Göring-Eckardt: Naja, es geht ja nicht um das Papstamt. Die beiden werden miteinander sprechen, aber sich auch mit anderen beraten.

      Welches Bündnis ist besser für Deutschland? Schwarz-Grün oder Grün-Rot-Rot?

      Göring-Eckardt: Generell ist immer ein Bündnis besser, bei dem Grün vorne steht. Aber ich halte wenig davon, im Wahlkampf über Koalitionen zu reden. Wir arbeiten darauf hin, möglichst stark zu werden.

      Eignet sich die Linkspartei, die eine Trotzkistin aus Hessen an die Spitze wählen will, überhaupt als Regierungspartner?

      Göring-Eckardt: Um ihre Regierungsfähigkeit muss sich die Linkspartei selber kümmern.

      Die Union sucht einen Kanzlerkandidaten. Könnten die Grünen mit allen Bewerbern zusammenarbeiten - auch mit Friedrich Merz?

      Göring-Eckardt: Es geht in der Politik darum, dass man Sachen umsetzt. Jede Regierung mit den Grünen ist besser, als eine Regierung ohne die Grünen. Das kann man in den Ländern gut sehen - Rot-Rot-Grün in Thüringen, Grün-Schwarz in Baden-Württemberg - und das gilt dann auch im Bund. Aber nochmal große Koalition, nochmal kleinster gemeinsamer Nenner - das darf es nicht geben. Es geht darum, endlich echte Veränderungen umzusetzen. Wir machen ein Angebot an die Breite der Gesellschaft mit konkreten Vorschlägen. Dazu werden sich die anderen verhalten müssen. Lesen Sie auch: Merz im Interview: Gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland

      Friedrich Merz als schwarz-grüner Kanzler ist für Sie also keine Horrorvorstellung.

      Göring-Eckardt: Noch mal, über Koalitionsoptionen entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Und klar: Auch Herr Merz wird sich bei seiner Bewerbung um den CDU-Vorsitz schon mal Gedanken machen, wie er sich als Vizekanzler aufstellen würde.