Berlin. Die verschärften Corona-Maßnahmen sind eine historische Zumutung, aber sie sind auch notwendig, meint unser Kommentator Jörg Quoos.

Das hatten die wenigsten erwartet: Der harte Lockdown in Deutschland zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wird nicht nur bis Ende Januar verlängert – er wird auch noch deutlich verschärft.

Ministerpräsidenten und Bundesregierung haben sich doch sehr überraschend auf noch weitergehende Einschränkungen der Grundrechte geeinigt und auch die Einstimmigkeit beim Schließen von Schulen und Kindergärten war so nicht zu erwarten.

Es sind historische Einschnitte, die die Politik, die Bürger – und wahrscheinlich auch Verfassungsrechtler – noch lange beschäftigen werden.

Verschärfte Corona-Maßnahmen läuten Paradigmenwechsel ein

Mit den drakonischen Maßnahmen vollzieht die Politik endgültig einen Paradigmenwechsel in der Pandemiebekämpfung. Vorbei sind die laxen Zeiten, in denen lockerungsfreudige Ministerpräsidenten die strenge Kanzlerin ausbremsten. Vorbei die Zeit, in der sich Angela Merkel über "Lockerungsorgien" empören musste.

Jetzt erlebt das Land "Verschärfungsorgien", in denen bemitleidenswerte Polizeibeamte berechnen müssen, wie weit das Zuhause von Bürgern entfernt ist, die in eine Corona-Kontrolle geraten.

Es sind sicher nicht nur die hohen Infektionszahlen, die zu diesem Umdenken geführt haben. Sicher ist allen Verantwortlichen in den vergangenen Tagen auch klar geworden, dass die Hoffnung auf schnelle Herdenimmunität durch die Massenimpfungen sich nicht erfüllen wird. Es wird noch quälend lange dauern, bis der Großteil der Bevölkerung seine zweite Impfung erhalten hat und der gewünschte Effekt erzielt ist.

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Der Corona-Winter ist noch lange nicht vorbei

Der Corona-Winter ist noch lang und wird hart. Die Zahl der Toten wird noch dramatisch steigen und die Situation auf den Intensivstationen der Kliniken wird sich weiter verschärfen. Schon jetzt müssen Patienten mit Helikoptern in Deutschland verlegt werden, um überforderte Kliniken zu entlasten.

Daher sind die Beschlüsse – so bitter sie für alle Betroffenen sind – wohl richtig. Das Gemeinwesen in Deutschland hat über viele Jahrzehnte einen hohen sozialen Standard und hohe ethische Ansprüche entwickelt. Dazu würde nicht passen, wenn die Gesellschaft in Kauf nähme, dass mehr Menschen sterben – nur um Reisen, Shoppen oder Restaurantabende schnell wieder möglich zu machen.

Es braucht endlich einen Corona-Plan für Schulen und Kitas

Gravierender ist sicher die Schließung der Schulen und Kindertagesstätten. Hier entsteht bei Kindern und Jugendlichen ein Schaden, der schwerer wieder zu beheben sein wird. Daher muss endlich ein Plan her, wie die Kinder nach der langen Phase ohne Unterricht den versäumten Stoff nachholen können.

Auf diesem Feld liegt das größte Politik-Versagen der vergangenen Monate und es ist bitter, dass weder Ministerpräsidenten noch die Kanzlerin nach ihrer historischen Runde auf diese Frage eine vernünftige Antwort hatten. Den Eltern im Homeoffice die E-Mail-Fächer mit noch mehr Hausaufgaben vollzustopfen, kann keine dauerhafte Lösung sein.

Schonzeit für Corona-Sünder muss enden

Jetzt heißt es also „Augen zu und durch“ und darauf hoffen, dass der Hammer-Lockdown zum gewünschten Erfolg führt. Für diese bitteren Wochen, die uns jetzt bevorstehen, muss aber auch eines klar sein: Wenn die Politik bereit ist, ihren Bürgern solche Härten aufzuerlegen, müssen auch die notorischen Corona-Sünder härter angepackt werden.

Denn es darf nicht sein, dass Grundrechte kassiert werden, weil Corona-Leugner demonstrativ auf Masken verzichten oder weil ein leichtsinniges Partyvolk heimlich feiern muss. Diese historische Herausforderung und Zumutung besteht das Land nur in großer Solidarität – und mit maximaler Disziplin.