Neapel. Die Corona-Pandemie fördert das organisierte Verbrechen. Im Süden Italiens unterwandern die Mafia-Clans sogar das Gesundheitssystem.

„Dieses Coronavirus ist wirklich ein gutes Geschäft“, freut sich der vorbestrafte Neapolitaner Salvatore Emolo in einem von der italienischen Finanzpolizei abgehörten Telefongespräch. Der Bruder des wegen Mafia-Kriminalität verurteilten Ferdinando Emolo steigt im Frühjahr auf dem ersten Höhepunkt der Pandemie in das Geschäft mit Desinfizierungen ein.

Er selbst ist den Ermittlern seit der „Operation Drugstore“ von 2014 bekannt. Damals fiel er im Zusammenhang mit der Aufdeckung eines florierenden Drogenhandels in seiner Wahlheimat an der Adria zwischen den Stränden von Rimini und Pesaro auf.

Mitten im harten Lockdown mit strengen Ausgangssperren steigen die Umsätze der Firma „D.G. Vapor“ aus Pesaro im April plötzlich sprunghaft an. Das auf die Reinigung von Autos, Hotels, Bars und Restaurants spezialisierte Unternehmen steigt in großem Stil in das wegen der Corona-Epidemie florierende Geschäft mit Desinfizierungen ein. Bis zu 1,50 Euro pro Quadratmeter sollen die Einsätze mit versprühtem Desinfizierungsmittel gekostet haben.

Die hohe Nachfrage nach Corona-Schutzprodukten hat in Italien auch die Mafia auf den Plan gerufen. Foto: Erika Moreira/dpa
Die hohe Nachfrage nach Corona-Schutzprodukten hat in Italien auch die Mafia auf den Plan gerufen. Foto: Erika Moreira/dpa © dpa | Erika Moreira

Steckt die neopolitanische Mafia hinter Desinfektionsfirma?

Salvatore Emolo war nach der Rekonstruktion der Ermittler der amtierende Geschäftsführer, obwohl er wegen seiner kriminellen Vergangenheit offiziell nicht Mitinhaber sein konnte. Die Staatsanwaltschaft Rimini wirft Emolo und der Geschäftsleitung vor, die wahren Eigentumsverhältnisse der Reinigungsfirma verschleiert zu haben. Im Rahmen der Operation „Dirty cleaning“ durchsuchten Carabinieri daraufhin Büros der Firma in Pesaro, Rimini und in Trient.

Die Geschäftsleitung weist die Vorwürfe, die Firma der neapolitanischen Mafia überlassen zu haben, zurück. Emolos kriminelle Vergangenheit sei dort nicht bekannt gewesen, teilen die Anwälte des Firmeninhabers Giuseppe Di Guido mit. Der Napolitaner sei nicht stiller Teilhaber gewesen und die Firma sei nicht von ihm geführt worden. Vielmehr habe er seit April Kunden angeworben, ohne dafür an den Einnahmen beteiligt zu werden.

Mafia versucht von Corona-Hilfen zu profitieren

Bereits auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle warnten Innenministerin Luciana Lamorgese und Experten für organisierte Kriminalität, die Epidemie werde den Appetit der Clans wecken. „Es ist wichtig, dass die Mittel rasch ankommen, aber wir werden genau über ihre Verteilung wachen“, sagte die parteilose Ministerin angesichts der umgehend aktivierten Finanzhilfen der Regierung, darunter auch Lebensmittelbons.

Zwischen Januar und September wurden rund 1.600 Firmen wegen Verdachts der Beteiligung von Mafia-Clans von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen rund zwanzig Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahrs.

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    Mafia-Clans unterwandern Gesundheitssystem in Kalabrien

    „Mafia-Organisationen sind überall da, wo Geld und Macht verteilt werden“, sagt Nicola Gratteri trocken. Als Oberstaatsanwalt hat er in seiner Heimatregion Kalabrien Ermittlungen über den fehlenden Katastrophenplan eröffnet. Ausgaben für das Gesundheitswesen stellten durchschnittlich drei Viertel des Haushalts der italienischen Regionen dar, stellt der 62-Jährige klar.

    In Kalabrien steht das Gesundheitswesen seit zehn Jahren wegen Unterwanderung durch Mafia-Clans unter kommissarischer Leitung. Ohne Erfolg, wie das Fehlen des dringend erforderlichen Katastrophenplans zeigt. Derzeit gelingt es der Regierung nicht einmal, einen Nachfolger für den letzten Amtsinhaber zu finden. Dieser musste zurücktreten, nachdem er das Tragen von Masken als völlig nutzlos bezeichnet hatte.

    Mafia-Geschäfte blühen wegen Corona-Pandemie auf

    In Zeiten der Corona-Pandemie stellen die Clans dem Mafia-Experten Gratteri zufolge nicht zum ersten Mal ihre „Anpassungsfähigkeit“ unter Beweis. Wie in früheren Notlagen etwa bei Erdbeben liefern die Clans unbürokratisch Hilfen auch in Form von Nudelpaketen und Dosentomaten. Anstelle sozialstaatlicher Einrichtungen schaffen sie mit Nudeln und Pasta Vertrauen und durch Verpflichtung zu Dank Abhängigkeiten. Gleichzeitig stärken sie auf diese Weise die für sie wichtige Kontrolle über das Territorium ihres jeweiligen Herrschaftsbereichs.

    Familien, die in Zeiten des Lockdowns ihre Arbeit verlieren, und Inhaber von Bars, Restaurants und kleiner Betriebe in Geldnöten, lassen derweil das Geschäft der Kredit-Haie florieren. Diese bieten anstelle von Banken, die Garantien fordern und Anträge erst prüfen, schnelles Geld. Wer die Wucherzinsen nicht zahlen kann, verliert sein Geschäft an die Clans.

    In Momenten wie diesen blühe deren Geschäft, erklärt Gratteri. Denn so können sie illegale Einnahmen aus dem Drogenhandel in bislang saubere Firmen investieren.

    „Covid und die Clans sind wie füreinander gemacht“

    Besondere Sorge bereitet den Ermittlern die sprunghaft angestiegene Nachfrage nach Masken, Kitteln und Ausrüstung für Krankenhäuser sowie der ebenfalls angestiegene Berg an Sondermüll. Die neapolitanische Mafia-Organisation Camorra verdient seit Jahrzehnten an der illegalen Entsorgung von Giftmüll. Sie dürfte auch versuchen, sich an Ausschreibungen für die Herstellung von Produkten für Covid-Krankenhäuser und für die teure Entsorgung des in diesen zusätzlich anfallenden Sondermülls zu beteiligen.

    Das italienische Kriminalamt zur Bekämpfung von Mafia-Kriminalität warnte bereits im vergangenen Juli vor einer Unterwanderung des Gesundheitssystems durch die Ndrangheta. Die kalabresische Mafia ist demnach vor allem an der Entsorgung von Sondermüll aus Krankenhäusern und an Beerdigungsunternehmen interessiert, die in Covid-Kliniken von anhaltend hohen Opferzahlen profitieren.

    Covid und die Clans sind wie füreinander gemacht“, sagt Luigi Ciotti bitter. In einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Bericht beschreibt von dem Priester gegründete Anti-Mafia-Organisation Libera die Chancen, die die Epidemie den Clans bietet. Der italienische Staat habe 42.000 Firmen aus der Klemme geholfen. Aber weitere 100.000 hätten Liquiditätsprobleme, heißt es in dem Bericht über die Mafia zu Corona-Zeiten. Für Clans aus Neapel und Kalabrien, die längst auch in Norditalien investieren, sind das goldene Aussichten.