Berlin/Stuttgart. Der baden-württembergische Verfassungsschutz beobachtet als erste Behörde Deutschlands „Querdenken“ wegen extremistischer Bestrebungen.

Es wird immer deutlicher, dass sich Extremisten unter die Proteste gegen die Corona-Auflagen mischen. Deshalb beobachtet der baden-württembergische Verfassungsschutz nun als erste Behörde in Deutschland die Bewegung „Querdenken“.

Es seien hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung festgestellt worden, teilten Innenminister Thomas Strobl (CDU) und die Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz, Beate Bube, am Mittwoch in Stuttgart mit.

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Auf einer „Querdenker“-Demonstration in Göppingen (Baden-Württemberg) ist ein Schild zu sehen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Sträflingskleidung zeigt.
Auf einer „Querdenker“-Demonstration in Göppingen (Baden-Württemberg) ist ein Schild zu sehen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Sträflingskleidung zeigt. © dpa | Christoph Schmidt

Verfassungsschutz ordnet „Querdenken“-Akteure „Reichsbürgern“ zu

„Die fortgeschrittene Radikalisierung von ‚Querdenken‘ macht eine Beobachtung ihrer Organisationsebene durch das Landesamt für Verfassungsschutz unabdingbar“, so Strobl. Der legitime Protest gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie weiche zusehends einer grundsätzlichen Staats- und Politikfeindlichkeit in bedenklichem Ausmaß.

Mehrere maßgebliche Akteure der „Querdenken“-Bewegung, die seit Monaten Demonstrationen gegen die staatlich verordneten Corona-Maßnahmen organisiert haben, ordnet Baden-Württembergs Verfassungsschutz dem Milieu der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zu.

Diese leugneten die Existenz der Bundesrepublik und negieren demokratische und rechtsstaatliche Strukturen, hieß es. Hinzu komme die bewusste, überregionale Zusammenarbeit mit anderen bekannten Akteuren aus diesem Milieu sowie aus dem Rechtsextremismus.

„Querdenken“-Gründer wehrt sich gegen Extremismus Vorwürfe

Die Stuttgarter Gruppe „Querdenken 711“, die nun ebenso wie ihre regionalen Ableger als Beobachtungsobjekt eingestuft wird, wurde von dem Unternehmer Michael Ballweg gegründet und gilt als Keimzelle der bundesweiten Bewegung von Gegnern der Corona-Schutzmaßnahmen.

Ballweg hat sich immer wieder gegen die Vorwürfe gewehrt. Zuletzt hatte der Unternehmer Ende vergangener Woche gesagt: „Wir sind eine friedliche Bewegung und keine politische Partei.“ Extremismus, Gewalt, Antisemitismus und menschenverachtendes Gedankengut hätten ebenso wenig Platz bei den „Querdenkern“ wie die Symbole dieser Denkweisen.

„Querdenken 711“ wurde von dem Stuttgarter Unternehmer Michael Ballweg gegründet. Die Gruppe gilt als Keimzelle der bundesweiten Proteste gegen die Corona-Auflagen.
„Querdenken 711“ wurde von dem Stuttgarter Unternehmer Michael Ballweg gegründet. Die Gruppe gilt als Keimzelle der bundesweiten Proteste gegen die Corona-Auflagen. © dpa | Sebastian Gollnow

„Querdenker“: Im Umfeld der Corona-Demos kommt es immer wieder zu Gewalt

Anhänger der Initiative „Querdenken 711“, das Kürzel kommt von der Stuttgarter Telefonvorwahl 0711, und Ableger der Bewegung haben Demonstrationen in zahlreichen deutschen Städten gegen die Corona-Beschränkungen organisiert.

Die Mischung der Teilnehmer ist vielfältig: Sie reicht von eher bürgerlichen Demonstranten, Esoterikern, Friedensbewegten bis hin zu Reichsbürgern und offen Rechtsextremen. Zuletzt war es auch im Umfeld der Demonstrationen immer wieder zu Gewalt gekommen. Auflagen wie das Tragen einer Maske, wurden nicht eingehalten.

„Querdenker“ unter Beobachtung: Zustimmung von Grünen und SPD

Uli Sckerl, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion in Baden-Württemberg, unterstützt die Entscheidung des Landesamts. „Der zunehmende Einfluss von Rechtsextremisten aller Couleur macht uns ebenso viel Sorge wie die wachsende Radikalisierung und Gewaltbereitschaft von Anhängern von Verschwörungsmythen.“ Es brauche Angebote für Menschen, die aus Verunsicherung in diese Kreise geraten sind und aussteigen möchten.

Die SPD-Bundestagsfraktionsvize Katja Mast sagte: „Gut, dass der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg durchgreift. Rechtsextreme wollen unsere Demokratie zersetzen und nutzen dafür auch den Protest gegen Corona-Einschränkungen.“ Die „Querdenken“-Bewegung habe sich nie „anständig distanziert“. Laut der Pforzheimer Abgeordneten ist der parlamentarische Arm der Demokratiezersetzer die AfD.

Auch Innenministerkonferenz will sich mit „Querdenken“ befassen

Laut „Spiegel“ prüft auch das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Querdenken-Bewegung zu beobachten. Es sei wegen einer angekündigten Demonstration zu Silvester in Berlin alarmiert, für die unter Rechtsextremisten und Reichsbürgern massiv geworben werde.

Die Innenministerkonferenz will sich an diesem Donnerstag mit dem Thema befassen. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte bereits eine schnelle Beobachtung der Bewegung gefordert. (afp/dpa/jtb)