Wiesbaden/Berlin. Weitere mit „NSU 2.0“ unterzeichnete Drohschreiben sind verschickt worden. Zu den prominenten Empfängern gehören viele Politikerinnen.

Die Serie rechtsextremer Drohmails mit der Unterschrift „NSU 2.0“ reißt nicht ab. In der Nacht zum Dienstag haben mehrere Politikerinnen und Politiker und andere Persönlichkeiten rechtsextremistische Mails mit Morddrohungen erhalten.

Betroffen von den neuerlichen Drohschreiben sind zum Beispiel Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne), die Linken-Vorsitzende Katja Kipping, Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, die Abgeordneten Martina Renner (Linke) und Karamba Diaby (SPD) sowie die Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei, Sawsan Chebli (SPD).

Unter den Adressaten einer Sammelmail, die der Deutschen Presse- Agentur vorliegt, sind auch der „Welt“-Journalist Deniz Yücel, der Publizist und TV-Moderator Michel Friedmann und die frühere Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth. Sie werden dort als „Menschendreck“ verunglimpft.

Drohmails gegen Politiker und Prominente

„Wir wissen alle genau, wo ihr wohnt“, heißt es weiter. „Wir werden euch alle abschlachten.“ Unterzeichnet ist die Mail wie schon andere zuvor mit „NSU 2.0“ und „Der Führer“. Seit Tagen gibt es immer neue Meldungen über derartige Drohschreiben. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main ermittelt. Bei mindestens drei der bislang bekannt gewordenen Fälle waren vor dem Versand der Mails persönliche Daten der Empfänger von hessischen Polizeicomputern abgefragt worden.

Ein anonymer Verfasser hatte am Freitag bereits mindestens zwei E-Mails mit identischem Inhalt an insgesamt 15 Adressaten geschickt, berichtete die „Welt am Sonntag“.

Zu den Empfängern sollen demnach neben Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) auch die Linken-Politikerin Janine Wissler und die Kabarettistin Idil Baydar gehören. Die beiden Frauen hatten schon früher Drohschreiben erhalten. Auch nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ging eine neue derartige E-Mail an eine Reihe von in der Öffentlichkeit bekannten Empfängern.

Die „Welt am Sonntag“ berichtete, in dem ihr vorliegenden Schreiben tauche erstmals der Name des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel auf. Nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ sind neben den bislang bekannten Fällen auch zwei weitere Frauen Ziel von Drohschreiben gewesen.

Eine Berliner Kolumnistin sowie eine Strafverteidigerin aus München hätten der Zeitung gesagt, die hessische Polizei habe sie im vergangenen Jahr informiert, dass Briefe abgefangen worden seien, die derselben Quelle zugerechnet würden. Beide Frauen wollten zu ihrem Schutz anonym bleiben.

Yücel klagt über Informationspolitik nach „NSU 2.0“-Drohmail

Ein Sprecher des hessischen Innenministeriums in Wiesbaden sagte, bei solchen Drohmails entscheide die zuständige Staatsanwaltschaft, was der Öffentlichkeit mitgeteilt werden könne. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt sagte am Sonntag auf Anfrage, die Ermittlungsbehörde könne frühestens am Montag Auskunft zu diesen Informationen erteilen. In Hessen wurde mittlerweile ein Sonderermittler eingesetzt, weil Spuren auch zur hessischen Polizei führen.

Der Journalist Yücel sagte der „Welt am Sonntag“: „Ich finde es verstörend, dass ich erst durch die Recherchen meiner Welt-Kollegen von diesem Drohschreiben erfahren habe.“ Weder die Polizei in Hessen noch in Berlin, wo Yücel lebt, habe sich bislang mit ihm in Verbindung gesetzt.

Wegen des Vorgehens der türkischen Justiz gegen Yücel stand der Journalist immer wieder in den Schlagzeilen – jüngst wurde er in Abwesenheit wegen Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu zwei Jahren und fast zehn Monaten Haft verurteilt. Das Urteil stieß auf scharfe Kritik der Bundesregierung. Lesen Sie hier: Deniz Yücel verurteilt – So kritisiert Maas die Türkei

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Auch Deniz Yücel war unter den Adressaten neuer „NSU 2.0“-Drohmails. Der „Welt“-Journalist beklagte, davon erst über Umwege erfahren zu haben.
Auch Deniz Yücel war unter den Adressaten neuer „NSU 2.0“-Drohmails. Der „Welt“-Journalist beklagte, davon erst über Umwege erfahren zu haben. © dpa | Marlene Gawrisch

Deutscher Journalisten-Verband (DJV) kritisiert Ermittler

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte in einer Mitteilung vom Sonntag die deutschen Ermittlungsbehörden auf, die Serie von Morddrohungen gegen Journalisten, Künstler und Politikerinnen mit Hochdruck aufzuklären. „Wenn einzelne Betroffene, darunter „Welt“- Korrespondent Deniz Yücel, von der Polizei nicht über eine gegen sie gerichtete Morddrohung informiert werden, stimmt etwas nicht mit der Sorgfalt der Ermittlungen“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mahnt angesichts der Serie rechtsextremer Drohmails und steigender Gewaltbereitschaft besseren Schutz für ehrenamtliche Politiker an. „Es ist notwendig, dass ein Zeichen gesetzt wird, dass Gewalt nicht akzeptabel ist. Nicht gegen Menschen, nicht gegen Sachen. Und egal gegen welche Gruppe sie sich richtet“, sagte Kramp-Karrenbauer der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Ich möchte vor allem diejenigen auch in die Solidarität aufnehmen, die ehrenamtlich Politik machen. Etwa die vielen Kommunalpolitiker, die oft auch gefährdet sind. Auch sie müssen Schutz erfahren.“

Der Sprecher des hessischen Innenministeriums sagte, mit rechtsextremistischen Mails bedrohte Bürger, die überwiegend in Hessen lebten, würden vom Landeskriminalamt (LKA) des Bundeslandes kontaktiert. Die Behörde bewerte die Bedrohung und treffe „die entsprechenden Schutzmaßnahmen“. Bei Bürgern anderer Bundesländer würden gegebenenfalls die dort zuständigen Behörden informiert.

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Polizeiforscher: Extremismus in der Polizei wird es immer geben

Die Staatsanwaltschaft ermittelt in Deutschland bereits wegen mehrerer Fälle von rechtsextremen Drohschreiben. Einige der Mails waren mit „NSU 2.0“ unterzeichnet. In mindestens drei Fällen waren zuvor persönliche Daten der Betroffenen von hessischen Polizeicomputern abgefragt worden. Landesinnenminister Beuth schließt nicht aus, dass es ein rechtes Netzwerk in der hessischen Polizei geben könnte.

Der Hamburger Polizeiforscher Rafael Behr sagte der Deutschen Presse-Agentur, schon jetzt werde in der Ausbildungsphase bei der Polizei viel getan, etwa mit interkulturellem Lernen. Behr dämpfte aber zugleich die Erwartungen: „Es ist sehr schwer, jede Form von Extremismus bei der Polizei durch Ausbildung zu eliminieren. Es wird sie immer geben.“

Die Bezeichnung „NSU 2.0“ bezieht sich auf die Terrorgruppe NSU („Nationalsozialistischer Untergrund“), die zwischen 2000 und 2007 in Deutschland zehn Menschen ermordete. Bei den Opfern handelte es sich um acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin.

(dpa/ba/les)