Berlin. Die Corona-Maßnahmen in Deutschland wurden bereits etwas gelockert. Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hält das für keine gute Idee.

Nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor zu forschen Lockerungen in der andauernden Corona-Krise gewarnt. Auch Experten wie der Virologe Christian Drosten meldeten in den vergangenen Tagen Zweifel an, dass das Öffnen von Schulen, Möbelhäusern und Gotteshäusern der richtige Weg sei. Bei Markus Lanz schließt sich auch der SPD-Bundestagsabgeordnete und Epidemiologe Karl Lauterbach dieser skeptischen Haltung an.

Laut dem Politiker sei man bei den Schulöffnungen zu forsch gewesen. Im schlimmsten Fall könnten die aktuellen Lockerungen die Infektionszahl wieder exponentiell wachsen lassen, so Lauterbach. Das könnte man dann in zwei oder drei Wochen schon beobachten, wenn neue Corona-Infektionsherde in Deutschland entstehen würden.

Lauterbach bei Lanz: Neue Corona-Welle schon in zwei Wochen möglich

SPD-Politiker und Epidemiologe Karl Lauterbach wäre für einen längeren Lockdown gewesen, um das Coronavirus zu bekämpfen.
SPD-Politiker und Epidemiologe Karl Lauterbach wäre für einen längeren Lockdown gewesen, um das Coronavirus zu bekämpfen. © Svea Pietschmann | ZDF

„Die Diskussion um weitere Lockerungen ist völlig daneben“, meint der SPD-Politiker, „und wenn ich ganz ehrlich bin, ich als Epidemiologe hätte den Lockdown fortgesetzt.“ Lauterbach zeigt sich bei Lanz sichtlich empört über den Kurs vieler Ministerpräsidenten, die immer schneller zur Normalität zurückkehren wollen, obwohl dies derzeit keine Option sei.

„Der einzige Grund, weshalb wir besser aussehen als andere Länder liegt daran, dass wir schnell testen konnten und begrenzte, wenige Herde hatten“, sagt der studierte Epidemiologe. Das könne jetzt mit einem Schlag verloren gehen, wenn beispielsweise bei den Schulöffnungen nicht wirklich exakt alle Hygienevorschriften umgesetzt werden würden.

„Markus Lanz“: Kretschmer will in der Coronakrise auf Disziplin der Bürger setzen

Die zügigen Lockerungen seien nämlich auf Kante genäht, erklärt Lauterbach. Alles müsse nun nach Plan und Vorschriften laufen, damit keine neue Gefahr durch das Coronavirus entstehe. „Wir haben ein Riesenglück gehabt und es kann sein, dass wir das jetzt verspielen“, meint er.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mahnt zwar zur Vorsicht an, glaubt aber, dass der Zeitpunkt für Lockerungen gerechtfertigt ist: „Es gibt große Eingriffe in die Grundrechte, deshalb ist es richtig, dass wir über Lockerungen diskutieren.“ Solange es keinen Impfstoff gebe, müsse man eben weiter auf die Eigendisziplin der Bürgerinnen und Bürger setzen.

Corona-Talk bei Lanz: In einem Punkt muss Lauterbach Kretschmer widersprechen

Kretschmer sagt: „Wir haben es geschafft, den Flächenbrand auszutreten.“ Da muss ihm Lauterbach ganz klar widersprechen: „Der Flächenbrand hat noch gar nicht stattgefunden.“ Vielmehr stehe nun ins Haus, dass sich durch die Lockerungen Infektionsherde unkontrollierbar ausbreiten – dafür sei man nicht gerüstet.

Der sächsische CDU-Politiker gibt sich dennoch überzeugt, dass die neue Situation nicht ganz so viel Gefahr birgt, wie Lauterbach vorhersagt: Die Menschen hätten in den vergangenen auch viel gelernt, zum Beispiel, dass man beim Bäcker wie selbstverständlich mit eineinhalb Metern Abstand anstehe. Trotzdem bereite man die Öffnung von Schulen und Betrieben wie Friseur- und Kosmetiksalons gründlich vor, um kein Risiko einzugehen.

Pädagogin bei „Markus Lanz“: Schulen hatten fast keinen Vorlauf

Wie gründlich ist unklar. Zuletzt war aus Sachsen zu hören, dass Masken fehlten und Abstandsregeln öfter nicht eingehalten wurden. Maike Finnern, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen, kann Ähnliches berichten.

„Die Schulen in Nordrhein-Westfalen waren sehr schlecht vorbereitet. Die ersten Mails vom Kultusministerium kamen erst am Wochenende vor der Öffnung der Schulen für die Abschlussklassen am Montag“, berichtet die Pädagogin. Ihre Kolleginnen und Kollegen stünden nun vor einer gewaltigen Aufgabe.

„Markus Lanz“: Waren die Schulöffnungen verfrüht?

Die Gewerkschaftlerin hält die Öffnungen nach wie vor für verfrüht: „In vielen Klassenzimmern gibt es gar kein Waschbecken oder Seife“, erzählt Finnern, „dann müssen die Schüler nacheinander auf die Toilette gehen.“ Für die Schulen hätte es mehr Vorlauf geben müssen – auch um ein Hygienekonzept zu entwickeln.

Zumal in diesem außergewöhnlichen Schuljahr eh keine gleichen Prüfungsvoraussetzungen geschaffen werden könnten. Das sei eine Illusion, jede Schule würde die Unterrichtszeiten ja nun anders regeln. Michael Kretschmer beharrt trotzdem darauf, dass es eine ordentliche Prüfung für alle, kein Notabitur geben soll.

Das größte Problem an den Schulen seien aber nicht die Prüfungen, meint Lauterbach: „Es gibt auch viel Unsicherheit unter den Lehrern, einige wenden sich auch an mich.“ An Finnerns Berichten aus NRW sehe man ja schon, dass dem Händewaschen eine höhere Priorität zukomme als dem Abstandhalten. Dabei sei Letzteres viel wichtiger. Ob sich die improvisierten Hygienekonzepte und Schicht-Stundenpläne der Schulen bewähren werden, steht also weiterhin in Frage.

So wurde die Corona-Krise bisher bei „Markus Lanz“ diskutiert: