Berlin. Virologe Kekulé greift bei „Markus Lanz“ Gesundheitsminister Spahn und das RKI an: In der Corona-Krise sei viel Zeit vergeudet worden.

Die Corona-Krise hat ihn bekannt gemacht: Der Virologe Alexander Kekulé gilt als so kompetent wie verbindlich. Bei „Markus Lanz“ am Dienstagabend machte er allerdings seinem Ärger Luft und griff Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und das Robert-Koch-Institut an.

„Wenn Sie mich als Gesundheitsminister gehabt hätten, hätte Karneval nicht stattgefunden“, sagte Medizinier Alexander Kekulé, seit Wochen einer der gefragtesten Experten in Talkshows. Am Dienstag schlug der sonst so besonnene Wissenschaftler aus Halle in Sachen Coronavirus andere Töne an.

„Markus Lanz“: Virologe Kekulé wegen Coronavirus-Experten aufgebracht

So aufgebracht hat man den Experten noch nicht erlebt. Er spricht von „Fehleinschätzung“ und „Missmangement“ bei der Bewältigung der Infektion. „Wir rennen der Krankheit hinterher.“

Der Virologe teilte in Richtung Robert-Koch-Institut (RKI) aus, der zentralen Einrichtung des Bundes zur Krankheitsüberwachung und -vorbeugung, aber auch gegen seinen Kollegen Christian Drosten, Professor für Virologie an der Berliner Charité: ein ebenfalls viel gebuchter Talkshowgast, der mit seinen Analysen regelmäßig für Schnappatmung sorgt.

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Coronavirus: Experten uneinig über zu erwartende Todesfall-Zahlen

Jüngst erst schreckte Drosten mit seinem Horrorszenario auf, als er sagte: 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung werde sich mit dem Virus anstecken. „Bei einer Sterblichkeitsrate von 0,5 bis einem Prozent käme man auf eine Summe von 250.000 bis 500.000 Toten“, zitierte Kekulé seinen Kollegen.

Er sieht das aber ganz anders als Drosten. Sein „worst case“ bezieht sich auf Zahlen aus Wuhan, die sorgfältig von der WHO geprüft worden seien. Demnach sei „in Deutschland im schlimmsten Fall mit 40.000 Todesfällen zu rechnen“.

Virologe wirft bei „Markus Lanz“ RKI Fehler in Corona-Krise vor

Kekulé distanziert sich nicht nur vom Robert-Koch-Institut, sondern hält ihm Fehler vor. Noch im Januar, sagt er, sprach das RKI davon, „dass sich das Virus nicht stark ausbreiten“ werde. Erst Wochen später, nämlich am 10. März, gab es die Einschätzung einer „ernsten Situation“ ab und forderte Ärzte und Kliniken auf, sich vorzubereiten. Viel zu spät, meint Kekulé.

Dieses „Missmangement“ führe laut Kekulé dazu, dass wertvolle Zeit verloren gehe. Durch die Widersprüche passiere genau das, was nicht passieren sollte: Dass die Menschen Angst bekommen, vielleicht sogar Panik, „weil sie sich schlecht regiert fühlen“.

Virologe bei „Markus Lanz“: Nächste Woche wohl massive Zunahme der Zahlen

Ein weiteres Problem, so Kekulé, ist: „Die aktuellen Zahlen, die wir jetzt haben, sind die Zahlen von vor zehn Tagen. Wir blicken also in die Vergangenheit.“ Ein Infizierter sei ja erst symptomlos infiziert, dann zeige er Krankheitszeichen, gehe dann zum Arzt, dort werde der Test gemacht, dann werde das Gesundheitsamt informiert – all das benötige etwa zehn Tage Zeit. Wir müssten uns also auf etwas gefasst machen. „Nächste Woche werden wir eine ganz massive Zunahme der Zahlen haben.“

Für ihn noch dringender die Warnung vor Massenveranstaltungen. Was ihn ein bisschen bitter wirken lässt. Er sei es nämlich gewesen, der dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schon früh geraten habe, Großveranstaltungen abzusagen. Er habe aber eine klare Absage erhalten. Unverständlicherweise.

Ob er denn nicht mit dem Gesundheitsminister rede, er sei doch schließlich einer der führenden Virologen Deutschlands, fragt Lanz. „Nein, wir reden eher übereinander“, sagt Kekulé ein wenig suffisant. Wie er das gemeint hat, bleibt offen. Dann fällt noch die Bemerkung, dass der Bundesgesundheitsminister ein „ehrgeiziger Typ“ sei – als Lob schien das nicht gemeint zu sein.

Gegen Coronavirus: Medizinier rät zu Händewaschen und Brille tragen

Wie er die Lage einschätze, fragt Lanz. Auch im Vergleich zu den jährlichen Grippetoten. „Dieses Jahr verstarben etwa 300 Menschen, bei Corona liegt die Zahl bei zwei. Im Jahr 2017/18 starben etwa 25.000 Menschen an der Grippe. Darüber redet kein Mensch“, so Lanz. Eine wirkliche Erklärung blieb der Virologe schuldig.

Was man denn nun tun könne, will Lanz wissen. Großveranstaltungen absagen, ganz klar, meint der Medizinier. Und Hygiene-Regeln befolgen. Wobei Kekulé lachen muss bei dem Thema „In die Armbeuge niesen“. Es erinnere ihn ein bisschen an die hilflosen Versuche, als man glaubte, sich mit einer Aktentasche auf dem Kopf vor dem Atomkrieg schützen zu können.

Dennoch sei Händewaschen dringend nötig. Vor allem, wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sei. Er würde sich nach so einer Fahrt niemals mit den Händen ins Gesicht fassen. Erst natürlich Hände waschen. Außerdem trage er bei Zugfahrten Brille und keine Kontaktlinsen. Denn Brille schützt vor Tröpfcheninfektion, die ja nicht nur auf Mund auf Nase abzielt, sondern auch auf die Augen.

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Allerdings brauche man auch keine übergroße Angst zu haben. Die Gefahr lauere nicht einfach so in einem Raum. „Sie müssen schon angehustet werden.“ Ein Abstand von etwa zwei Metern sei aber ausreichend, um sicher zu sein. Wenn nicht gehustet wird, reiche auch ein Abstand von einem Meter.

Kekulé sagt, wir müssen jetzt dringend in die Zukunft gucken – und zwar beim Thema Hygiene: Es müsse klare Richtlininien geben, zum Beispiel darüber, wie oft Geländer in Bahnhöfen gereinigt werden. Oder Türklinken in Hotels. Oder Tische im Restaurant. Das müsse jetzt passieren. Er sagt das mit dem Unterton, als hätte man hier auch schon wieder Zeit vergeudet.