Washington/Berlin. Der US-Präsident Trump schwächt seine Drohung gegen Russland im Syrien-Konflikt ab. Doch Anzeichen für einen Militärschlag bleiben.

Nach der mutmaßlichen Chemiewaffen-Attacke in der syrischen Stadt Duma am Sonnabend überschlagen sich die Ereignisse. „Russland, mach dich bereit“, hatte US-Präsident Donald Trump noch am Mittwoch getwittert und mit Raketen gedroht. „Ich habe niemals gesagt, wann ein Angriff auf Syrien stattfinden würde“, verkündete er am Donnerstag. Wie groß ist die Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation zwischen Amerika und Russland? Wer würde die USA unterstützen? Wie verhält sich Deutschland? Die wichtigsten Fragen:

• Kann Donald Trump hinter seine Angriffsankündigung noch zurück?

Theoretisch ja. Der US-Präsident ist bekannt dafür, dass er seine Positionen in kurzer Zeit ändert – und das mehrfach. Oft ist ausschlaggebend, wer zuletzt mit ihm gesprochen hat. Oder was er gerade in seinem Lieblings-TV-Sender „Fox News“ gesehen hat. Dass die Drohung, den Giftgaseinsatz in Syrien zügig mit Raketen zu bestrafen, nicht in Stein gemeißelt ist, wurde bereits am Donnerstag deutlich. „Ich habe niemals gesagt, wann ein Angriff auf Syrien stattfinden würde“, schrieb Trump auf Twitter, „es könnte sehr bald sein oder überhaupt nicht so bald.“ Dahinter steht Trumps Grundüberzeugung.

US-Präsident Donald Trump.
US-Präsident Donald Trump. © dpa | Evan Vucci

Bereits 2013 hatte er Vorgänger Barack Obama gewarnt, auf eine Vergeltungsaktion für einen damaligen Giftgasangriff der syrischen Truppen zu verzichten: „Wir sollten uns, zum Teufel noch mal, aus Syrien raushalten. Was werden wir für unsere Leben und Milliarden Dollar bekommen? Null.“ Experten rechnen jedoch mit einem Militärschlag. „Nach der massiven Warnung wird Trump nicht mehr hinter seine Drohungen zurück können“, sagte John Kornblum, früherer US-Botschafter in Deutschland, dieser Redaktion.

„Jetzt gar nichts zu machen, käme einem Gesichtsverlust gleich. Ich gehe davon aus, dass es eine US-Militäraktion in der einen oder anderen Form geben wird.“ Trump habe aus „Verärgerung“ über den mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz in Duma gehandelt. „Er hat sich von seinen Emotionen leiten lassen und dabei verbal zu schnell geschossen.“

• Würde ein russischer Angriff auf ein US-Schiff oder -Flugzeug den Nato-Bündnisfall auslösen?

Nicht zwingend. Die USA können sich selbst und allein verteidigen. Wenn sie politisch oder militärisch Beistand wünschen, könnten sie unter Verweis auf Artikel 5 des Nato-Vertrags den Bündnisfall ausrufen. Dort heißt es, „die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird“.

Im aktuellen Fallbeispiel wäre die Zuordnung von Angreifer (Russland), Opfer (US-Schiff oder -Flugzeug) und geografischem Raum (Mittelmeer) grundsätzlich mit den Kriterien des Nato-Bündnisfalls vereinbar.

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    Die Nato würde die militärischen Maßnahmen klären. Ob und wie die Bundeswehr sich militärisch daran beteiligen würde, entscheidet allerdings allein der Bundestag. Es gibt keinen Automatismus. Die völkerrechtliche Legitimation wäre Artikel 51 der Satzung der UN. Er garantiert das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung. Die Nato hat bisher einmal den Bündnisfall ausgerufen: am 12. September 2001, einen Tag nach den Terroranschlägen in New York und Washington.

    • Gefährdet eine Eskalation die Fußball-WM in Russland?

    Bislang hat sich bis auf den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko kein Staats- oder Regierungschef für einen WM-Boykott ausgesprochen. Das gilt auch für die USA, die sich im Übrigen für das Turnier nicht qualifiziert haben. All dies bezieht sich jedoch auf die Zeit vor Trumps neuester Drohung.

    Der Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB), der CDU-Politiker Reinhard Grindel, will Russland nicht mit dem „erhobenen Zeigefinger“ gegenübertreten. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), lehnt einen WM-Boykott ebenfalls ab. „Es gibt einen breiten Konsens, internationale Sportereignisse nicht infrage zu stellen. Sie tragen zur Völkerbegegnung bei, deswegen käme man erst am Ende einer Eskalation dazu, sie politisch zu instrumentalisieren“, sagte Röttgen dieser Redaktion.

    • Wie positionieren sich die Verbündeten der USA zu einem Militärschlag?

    Für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist der Fall klar: „Wir haben den Beweis, dass Chemiewaffen zum Einsatz kamen und dass es das Regime von Baschar al-Assad war, das sie verwendete.“ Damit hat Macron deutlich gemacht, dass sich sein Land an einer Militär-Aktion in Syrien beteiligen würde. Er hatte in der Vergangenheit mehrfach betont, dass er im Falle einer erwiesenen Giftgasattacke mit militärischen Mitteln reagieren werde. Einen Zeitpunkt wollte Macron jedoch nicht nennen.

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      Zugleich versicherte er, dass sein Land keinesfalls eine Eskalation zulassen werde, die die Stabilität der Region weiter beschädigen könnte. Ginge es nur nach dem Willen der britische Premierministerin Theresa May, würde sich London an Militärschlägen beteiligen. Doch sie muss vorsichtig agieren. Abgeordnete aller Parteien verlangen, dass das Parlament die Entscheidung treffen müsse.

      • Wie verhält sich die Bundesregierung?

      Die Position von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist klar: „Deutschland wird sich an eventuellen – es gibt ja keine Entscheidung, ich will das noch mal deutlich machen – militärischen Aktionen nicht beteiligen“, sagte sie am Donnerstag. Ohne konkret zu werden, kündigte Merkel Unterstützung für mögliche Aktionen der USA, Großbritanniens und Frankreichs an. „Wenn die ständigen Vertreter im UN-Sicherheitsrat über das diplomatische Maß hinaus Schritte einleiten sollten, dann sind wir in der Sache selbst unterstützend tätig“, fügte sie hinzu. Es müsse alles getan werden, um zu zeigen, dass „dieser Einsatz von Chemiewaffen nicht akzeptabel ist“.

      Die Bundesregierung macht das syrische Regime für den mutmaßlichen Giftgasanschlag am Sonnabend verantwortlich. Für Röttgen besteht die größte Gefahr nicht in einem bewussten Konflikt, „sondern dass in einer derart aufgeladenen Situation etwas unbeabsichtigt passiert, ein Unfall, dass etwas außer Kontrolle gerät.“ Hinzu kommt die öffentliche Stimmungslage, die ihm wohl bewusst ist: „Wir können Assad keinen Freibrief geben, irgendetwas muss geschehen.“

      • Welche Waffen könnten bei einem US-Angriff zum Einsatz kommen?

      Amerika hat bereits zwei Zerstörer im östlichen Mittelmeer. Sie sind mit insgesamt 48 Tomahawk-Marschflugkörpern bestückt. Der Flugzeugträger „U.S.S. Truman“ wurde aus Norfolk im US-Bundesstaat Virginia in die Region entsandt. Mit ausgelaufen ist die deutsche Fregatte „Hessen“. Der Einsatz ist Teil eines seit 2017 geplanten Seemanövers, das nichts mit Syrien zu tun hat. Käme es zu einem Militärschlag ohne ein deutsches Mandat, würde die Fregatte abgezogen werden, heißt es in der Bundesregierung. Amerika hat zudem B-1B- und B-52-Langstreckenbomber im Golfstaat Katar stationiert.

      Russische Techniker warten SU-Bomber auf der syrischen Luftwaffenbasis Hmeimym.]
      Russische Techniker warten SU-Bomber auf der syrischen Luftwaffenbasis Hmeimym.] © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Sergei Chirikov

      Im türkischen Stützpunkt Incirlik haben die Amerikaner F-22-Kampfjets. Die französische Fregatte „Aquitaine“ kreuzt im östlichen Mittelmeer. Britische U-Boote sind nach übereinstimmenden Medienberichten bereits in Position und Reichweite, um Marschflugkörper nach Syrien zu starten. Auch der Zerstörer „HMS Duncan“ befindet sich in der Region. Darüber hinaus haben die Briten GR4-Tornado-Bomber auf Zypern.

      Russland hat einen großen Stützpunkt in der syrischen Hafenstadt Latakia. Dort befinden sich unter anderem S-300-, S-400-Raketen und Flugabwehr sowie SU-34-Kampfjets mit SS-N-25-Anti-Schiff-Raketen.

      • Welche Beweise gibt es, dass syrische Regierungstruppen für einen Giftgaseinsatz verantwortlich sind?

      Die USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland machen Syrien für den Angriff am Sonnabend verantwortlich. Doch bislang hat niemand einen wasserdichten Beweis vorgelegt. Syrien und Russland streiten die Vorwürfe ab. Moskau beschuldigt vielmehr islamistische Rebellen, die bislang in Duma gegen Assad-Truppen gekämpft hatten.

      Experten haben bislang keinen Zugang nach Duma. Bilder über den mutmaßlichen Einsatz von Chemiewaffen lassen sich nicht zweifelsfrei verifizieren. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) hatte zuvor angekündigt, ein zehnköpfiges Team für eine Untersuchung nach Duma schicken zu wollen. Das Problem: Rückstände von Chemiewaffen, zum Beispiel Chlor, lassen sich nur eine Woche lang nachweisen. Die Frist würde am Sonnabend auslaufen.

      Dieses Bild aus einem Video wurde von einer Hilfsorganisation veröffentlicht, nachdem mutmaßlich ein Giftgasangriff auf die Stadt Douma verübt worden war.
      Dieses Bild aus einem Video wurde von einer Hilfsorganisation veröffentlicht, nachdem mutmaßlich ein Giftgasangriff auf die Stadt Douma verübt worden war. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | dpa Picture-Alliance / Syrian Civil Defense White Helme

      John Kornblum, der ehemalige US-Botschafter in Berlin, hält die Debatte, ob es 100-prozentige Beweise für den Chemiewaffeneinsatz gebe, für eine „sehr deutsche Frage“. Kornblum wörtlich: „Man weiß ganz genau, dass die Syrer das waren. Die Kette der Indizien ist eindeutig.“ Assads Truppen hätten in den vergangenen Jahren mehrmals Giftgas eingesetzt. Röttgen sieht das genauso. Generell steht für ihn fest, „dass das Assad-Regime mehrfach – mindestens vor einem Jahr – Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat“.

      • Ist die derzeitige Lage ähnlich gefährlich wie die Kuba-Krise?

      Die beiden Szenarien sind nach Einschätzung des US-Politikwissenschaftlers Dan Drezner „nicht einmal annähernd zu vergleichen“. 1962 hatten die Amerikaner Abschussrampen und Atomraketen sowjetischer Herkunft auf der sozialistischen Insel Kuba entdeckt. Die Entfernung zu den zum US-Bundesstaat Florida gehörenden Keys beträgt 170 Kilometer. US-Präsident John F. Kennedy erwog eine Invasion Kubas, entschloss sich dann zu einer Seeblockade.

      Bis der sowjetische Regierungschef Nikita Chruscht­schow einlenkte, gab es Momente, in denen die Welt vor einem Weltkrieg stand. Drezner und Teile des Establishments in Washington glauben, dass weder Putin noch Trump für den „Nebenkriegsschauplatz“ Syrien eine nukleare Katastrophe riskieren würden. Allerdings sei wegen der beispiellosen Impulsivität Trumps nicht grundsätzlich auszuschließen, dass man in eine Eskalationsspirale „hineinstolpert“.

      • Wer kämpft mit wem in Syrien?

      Russland ist die wichtigste Schutzmacht von Syriens Präsident Baschar al-Assad. Beide Länder sind mit dem Iran verbündet, der Militärberater, Revolutionsgardisten und schiitische Milizen in Syrien stationiert hat. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan würde zwar lieber heute als morgen Assad aus dem Amt jagen. Doch trotz gegensätzlicher Interessen in dieser Frage ist er eine Zweck-Allianz mit Russland und dem Iran eingegangen. Er will ein flächendeckendes Autonomiegebiet der Kurden verhindern.

      Israel befürchtet eine Expansion des Irans in der Region. Saudi-Arabien, das sich als Schutzmacht der Sunniten begreift, hegt ebenfalls höchstes Misstrauen gegenüber dem schiitischen Mullah-Regime. Die USA führen ein internationales Bündnis zur Bekämpfung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) an. (mit phe/jwi)