Wolfsburg. Das 0:2 des Bundesligisten in Leverkusen überdeckt, wie groß die Überlegenheit des Tabellenführers war. Jetzt wird auch Kovac deutlich.

Zu Jahresbeginn mussten Spieler und Verantwortliche des VfL Wolfsburg nach den Spielen immer wieder erklären, warum es nur zu einem Punkt gereicht hatte. „Nur“ – weil unter anderem gegen die Kellerkinder aus Mainz und Köln nicht mehr als ein magerer Zähler heraussprang. Und „nur“, weil für die Wölfe oft mehr drin war. Aber nach dem verdienten 2:3 gegen Stuttgart folgte nun in Leverkusen ein denkwürdiger Auftritt der Grün-Weißen. Nicht mal den Hauch einer Chance hatte das Team beim 0:2 beim vermutlich kommenden deutschen Meister. Und jetzt dürfte es auch mit der zwischenzeitlich eingekehrten Ruhe in der Trainerfrage vorbei sein.

Dass Leverkusen diese Saison attraktiven Ballbesitz-Fußball spielt und den Gegner oft nicht zur Entfaltung kommen lässt, ist nichts Neues. Doch am Sonntagabend waren die Zahlen erdrückend: 76 Prozent der Zeit gehörte das Spielgerät den Bayer-Profis, das ist selbst für den Spitzenreiter absolute Spitze und deutlich über dem Schnitt von 63 Prozent. Die Alonso-Elf spielte sich die Kugel im Trainingsstil locker hin und her. Die Zahl der Ballkontakte: 899. Der VfL kam auf 280. Welten schienen zwischen beiden Mannschaften zu liegen, nicht nur in der Statistik. Hier der selbstbewusste und souverän wirkende Tabellenführer, dem derzeit alle Fußballherzen zufliegen. Dort die gebeutelte Sieglos-Truppe, die nur deswegen noch nicht akut um die Ligazugehörigkeit bangen muss, weil drei Teams seit Wochen auf keinen grünen Zweig kommen.

Wolfsburg kommt in Leverkusen anfangs zu Chancen

Mit ausreichend gutem Willen lässt sich auch aus einer solchen Partie Positives herausziehen. Schließlich hatte der VfL 25 Minuten ordentlich gespielt. Die Spielkontrolle hatten auch dort schon die Gastgeber an sich gezogen, doch die Gäste setzten geschickte Spitzen nach vorne. Ridle Baku ging nach Arnold-Pass über rechts durch, verzog jedoch beim Abschluss. Cedric Zesiger feuerte einen zweiten Ball etwas unorthodox per Innenrist-Volley auf das Bayer-Tor und zwang Keeper Lukas Hradecky zu einer Glanztat. Und dann war da noch Lovro Majer, der in einer Szene den Abschluss verpasste. „Relativ okay“ sei diese Phase gewesen, meinte VfL-Sportdirektor Sebastian Schindzielorz. „Gut gemacht“ habe es die Mannschaft da, so Trainer Niko Kovac.

Doch Wolfsburgs Kapitän Maximilian Arnold war nach dem Schlusspfiff wenig motiviert, aus einem abermals enttäuschenden Auftritt die kleinen Perlen herauszupicken und Mutmachendes hervorzuheben. „Ich finde, dass wir das Spiel so schnell wie möglich abhaken müssen“, erklärte der Routinier bloß auf die Frage, welche positiven Aspekte er aus den 90 Minuten ziehen könne.

Wolfsburgs Kapitän Maximilian Arnold ist die vielen Fehler leid

Der 29-Jährige, ohnehin ein Freund der klaren Worte, ist seit Wochen in der schwierigen Rolle, die Fehler seiner Mitspieler kommentieren zu müssen. Diesmal waren es zwei Aktionen von Moritz Jenz, die dem Spiel eine Wendung gaben: Der in den vergangenen Wochen und Monaten so wichtig gewordene Innenverteidiger entschied sich in der zwölften Minute zu einem taktischen Foul an Wirtz und sah für das Halten zurecht die gelbe Karte. Rund eine Viertelstunde später foulte er am eigenen Strafraumeck Patrik Schick und musste mit der Ampelkarte runter. Eine dumme Aktion? „Ob dumm oder nicht – wir machen einfach zu viele Fehler. Damit bestrafen wir uns schon die ganze Saison“, hielt Arnold fest und sprach davon, dass sich die Mannschaft auf diese Weise nach zuvor riesigem Aufwand „selbst zerstöre“.

Selbst Kovac, der Mängel im Wolfsburger Spiel schon in der Hinserie immerzu mit dem fehlenden Quäntchen irgendwas relativiert hatte, fand in der Analyse diesmal deutliche Worte. Hier war es allerdings eher Landsmann Lovro Majer, der abgewatscht wurde. „Es fängt schon mit dem Pass von Lovro an. Der war schlampig gespielt, zu kurz“, kritisierte der Coach die Szene, die zu dem Platzverweis-Foul geführt hatte. Der von ihm verpflichtete Edeltechniker habe den Ball schlecht angenommen und schlecht gespielt, so der Trainer. Ein kurzer Moment mit großer Wirkung. Nach der roten Karte sei „das Spiel erledigt“ gewesen, sagte Kovac und hatte damit bedauerlicherweise recht. Die Begegnung spielte sich die Folgestunde fast ausschließlich in der Wolfsburger Hälfte ab, in die sich die Gäste fast ehrfurchtsvoll einigelten. Die Überzeugung, dass eine Sensation in Unterzahl nur noch äußerst schwer möglich sei, machte jegliche Offensivambitionen zunichte und erstickte das Risikobewusstsein.

Ist Augsburg ein Endspiel für Wolfsburg-Coach Niko Kovac?

Sicherheit vor Wagnis, bloß keine Demontage. Lieber taktisch diszipliniert bleiben und knapp verlieren als mit wehenden Fahnen untergehen – auch das ist der VfL Wolfsburg in der Saison 2023/24. Kovac selbst hatte dies allein schon mit seinem Wechsel nach einer guten halben Stunde vorgegeben: Sturmspitze Jonas Wind raus, Verteidiger Sebastiaan Bornauw rein. Für den Coach könnte es jetzt wieder eng werden. Wo er in der Vergangenheit die Bedeutung von Spielen nicht zu hoch gehängt haben und von einem „Endspiel“ nichts hören wollte, da wurde er in Leverkusen deutlich. Es ärgere ihn zutiefst und er sei „maßlos enttäuscht“ über die Anzahl der bislang geholten Punkte, kommentierte der Coach die Gesamtsituation. Das Duell gegen Augsburg am Samstag sei schon ein „sehr, sehr wichtiges Spiel“ und habe eine „sehr große Bedeutung für uns“. Die Einschätzung dürfte jetzt auch wieder in Bezug auf seine eigene Person zutreffen.