Genf. VW-Finanzvorstand Witter spricht im Interview über Optimismus, Sparziele, neue Geschäftsfelder und warum VW auf einem guten Weg ist.

Mit den Rückstellungen von rund 22 Milliarden Euro werden voraussichtlich alle wesentlichen Kosten, die der Abgas-Betrug für VW verursacht hat, getragen werden können. Das sagte VW-Finanzvorstand Frank Witter im Interview mit unserer Zeitung. Im Gespräch mit Andreas Schweiger erläutert Witter, an welchen Stellen der Konzern noch sparen kann, warum die Marke VW auf einem guten Weg ist und was sich der Autobauer vom neuen Geschäftsfeld Mobilitätsdienstleistungen erhofft.

Über Jahre hat Witter die Braunschweiger VW Financial Services als Vorstandschef geprägt. Zu Beginn der Krise um den Abgas-Betrug wechselte er als Finanzchef in den Vorstand des VW-Konzerns.

Herr Witter, wie hat sich die Rendite der Marke VW im vergangenen Jahr entwickelt?

Ich kann nicht der Jahrespressekonferenz in der nächsten Woche vorausgreifen. Es ist aber klar, dass das vergangene Jahr wie erwartet kein einfaches für die Marke war. Lag die Rendite 2015 noch bei 2 Prozent, waren es 2016 zum 30. September 1,6 Prozent. Da haben wir noch viel Arbeit vor uns. Inhaltlich sind wir aber schon gut vorangekommen.

Inwiefern?

Ein ganz wichtiger Schritt war dafür die Unterzeichnung des Zukunftspakts mit den verschiedenen Modulen im Inland und Ausland. Jetzt muss natürlich auch von allen Beteiligten geliefert werden. Das ist für die Marke Volkswagen eine große Herausforderung.

Wann sollen sich die Ergebnisse des Zukunftspakts im Ergebnis der Marke VW zeigen?

Dafür haben wir einen ganz klaren Fahrplan: Bis 2020 soll die Rendite mindestens 4 Prozent erreichen, bis 2025 dann 6 Prozent - gerne auch etwas mehr. Uns ist klar, dass das ehrgeizige Ziele sind und vor uns ein langer Weg liegt. Insbesondere auch, weil wir auf den schwierigen Märkten USA und Brasilien die heutigen Verluste schnellstmöglich reduzieren müssen. Auch der Markt Russland hat eine lange Durststrecke hinter sich.

Sind diese Ziele erreichbar?

Ich bin von Haus aus Optimist und hoffe, dass wir alle gemeinsam die Ziele erreichen werden. Von diesem Optimismus lasse ich mich nicht abbringen. Die Mannschaft der Marke hat schon in früheren Krisen bewiesen, dass sie Krisenmanagement beherrscht. Es dauert wegen der Größe der Marke zwar manchmal etwas länger, aber kommt die Marke erstmal ins Schwingen, dann kann sie nichts mehr aufhalten. VW PKW kann Krise!

Das öffentliche Ringen um den Zukunftspakt hat der Marke VW nicht gut getan. Sind die Konflikte nun überstanden?

Entscheidend ist, dass wir die Diskussionen intern führen und wir eine entsprechende Streitkultur miteinander entwickeln. In der Außenwirkung sollten wir uns auf unsere überzeugenden Produkte konzentrieren. Das wird die Marke voranbringen, sie hat nach wie vor eine starke emotionale Substanz. Positiv ist doch, dass viele Millionen von Kunden der Marke weiterhin die Treue halten. Sie sind unverändert von deren emotionalen Produkten und Dienstleistungen überzeugt. Sie wissen, dass Volkswagen weit mehr ist als das Diesel-Thema. Diese Aspekte gilt es wieder deutlich mehr in den Vordergrund zu bringen.

VW hat im Schlussquartal des Vorjahres erneut Rückstellungen für die Aufarbeitung des Abgas-Betrugs gebildet. Die belaufen sich nun insgesamt auf rund 22 Milliarden Euro. Werden weitere Rückstellungen erforderlich?

Die bisherigen Rückstellungen und Wertberichtigungen sind das Ergebnis sorgfältiger Bewertungen, die fortlaufend überprüft werden. Wir gehen derzeit davon aus, dass wir damit ausreichend Vorsorge getroffen haben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass auch die bisher gebildeten Rückstellungen wie immer im Leben auch hier natürlich Einschätzungsrisiken unterliegen.

Das heißt, dass damit alle Kosten abgedeckt sind, die der Abgasbetrug verursacht hat?

Nach unserem jetzigen Kenntnisstand decken die Rückstellungen als wesentlicher Teil unserer Sondereinflüsse die heute absehbaren Gesamtkosten ab. Im operativen Tagesgeschäft haben wir uns natürlich unverändert dem intensiven Wettbewerb zu stellen, der für uns nach dem Diesel Thema natürlich noch härter geworden ist. Seit dem vierten Quartal 2015 haben wir unsere Verkaufsförderungsmaßnahmen mit Augenmaß ausgeweitet, auch um die Marke und die Restwerte der Gebrauchtfahrzeuge nicht nachhaltig zu beschädigen.

Die Marke VW ist einerseits durch die Folgen des Abgas-Betrugs gezwungen, Kosten zu sparen. Andererseits muss sie in neue Techniken wie Digitalisierung und Elektroantriebe investieren, um den Anschluss nicht zu verlieren. Wie wird das richtige Gleichgewicht gefunden?

Unbenommen vom Diesel-Thema haben wir im Konzern im Vergleich zu anderen Wettbewerbern in den letzten Jahren überproportional viel Geld für Sachinvestitionen und Forschung und Entwicklung aufgewendet. Das heißt, dass wir hier auch ein großes Potenzial haben. Wir müssen diszipliniert und fokussiert die verschiedenen Aufgaben angehen, aber natürlich unverändert attraktive und qualitativ hochwertige Produkte anbieten. Weiterhin gilt: Alles kommt auf den Prüfstand.

Sie wollen die Forschung aber nicht abwürgen?

Nein, natürlich nicht. Es gibt das gemeinsame Verständnis, dass wir als Konzern den Spagat annehmen und parallel zu unseren Sparzielen entschlossen auch in Zukunftsfelder investieren: Modularer Elektrifizierungsbaukasten, autonomes Fahren und die Anbindung des Autos ans Internet sowie neue Mobilitätsdienstleistungen. Dieser Herausforderung stellen wir uns im Interesse der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns und seiner Marken. Im Übrigen gilt es die heutigen Verbrennungsmotoren weiter zu entwickeln, zumal diese noch auf viele Jahre den Markt dominieren werden.

Wie wollen Sie die Kosten senken?

Wir müssen einerseits die Ausgabedisziplin stärken und andererseits die Komplexität der Produkte und Prozesse verringern. Darin liegt ein Schlüssel für die Zukunft. Das ist für uns ein sehr großer Hebel. Komplexität erhöht signifikant die Kosten. Deshalb müssen wir zum Beispiel genau abwägen, was für den Kunden wirklich wichtig ist und wofür er am Ende auch bereit ist zu bezahlen.

Das Thema Komplexität gibt es bei VW immer wieder. Wurde es nie richtig angegangen?

Doch, ganz sicher. Aber es wurde vielleicht wieder zu sehr aus den Augen verloren. Wir müssen immer hinterfragen, ob wir wirklich so viele Varianten benötigen oder warum wir von gesetzten Standards abweichen müssen. Es geht um ein gesundes Verhältnis von Technik und Kosten. Der Kunde bestimmt im Markt den Preis, den er bereit ist für ein Produkt zu bezahlen. Dabei dürfen wir aber nie unsere Volkswagen-DNA aus den Augen verlieren: Qualitativ hochwertige und technisch überzeugende Fahrzeuge.

VW will mit Mobilitätsdienstleistungen ein neues Geschäftsfeld erschließen. Wann werden sie Geld einspielen?

Wir stehen sicher noch am Anfang, dieses Geschäftsfeld muss erst entwickelt werden. Ich bin aber perspektivisch überzeugt, dass diese Dienstleistungen Umsatz und Ergebnis bringen werden. Deshalb sehen wir die Mobilitätsdienstleistungen als wichtiges Zukunftsfeld.

Werden sie in Zukunft zu einer Säule des Konzerns?

Das schließe ich nicht aus. Gerade in Großstädten hat das neue Geschäftsfeld seine Berechtigung. Da ist sehr viel in Bewegung, zum Beispiel auch in Richtung Lieferverkehr. Das birgt die Chance, neue Ertragspotenziale zu erschließen. Trotzdem werden wir aber die traditionellen Stärken des Konzerns und seiner faszinierenden Marken nicht vernachlässigen.