Braunschweig. Immer mehr Patienten in Deutschland erwägen eine Behandlung im Ausland. Doch nicht immer können sie dabei Geld sparen.

Unsere Leserin Liyan Diren schreibt auf unserer Facebook-Seite:

Ich habe meine Zahnimplantate im Ausland machen lassen. Es ging alles ganz schnell und war viel günstiger als hier in Deutschland. Ich bin sehr zufrieden.

Zu dem Thema recherchierte Katrin Schiebold

Kurt Steffens reist gerne nach Ungarn, der Gesundheit wegen. In dem EU-Land gibt es viele Heilbäder, im Thermalsee Hévíz kann man das ganze Jahr über schwimmen – für Menschen mit Knochen- und Gelenkproblemen oder rheumatischen Beschwerden eine Wohltat, wie der Vechelder sagt. Gerade im März sei er wieder mit seiner Frau dagewesen. „In den Hotels gibt es unzählige Behandlungsmöglichkeiten, Massagen, Anwendungen und medizinische Beratung“, schwärmt er. Alles sei sehr preiswert, 170 Euro pro Woche für das Komplettpaket.

Wie Kurt Steffens zieht es etliche Deutsche ins Ausland, sei es um eine Kur zu machen oder auch, um sich von einem Arzt behandeln zu lassen. Vor allem osteuropäische Länder werben seit Jahren gezielt um deutsche Gesundheitstouristen. Das Tourismusamt in Ungarn etwa weist gerne darauf hin, dass deutsche Krankenkassen Behandlungskosten für Kuraufenthalte erstatten und lockt auch mit günstigen Zahnbehandlungen im EU-Mitgliedsland. Zusammen mit Zahnklinik-Ungarn.de als Partner startete es 2011 eine ungewöhnliche Facebook-Kampagne unter dem Motto „Ungarn lässt Ihre Zähne strahlen“: Kandidaten konnten sich für eine kostenlose Komplett-Zahnsanierung bewerben. Auch Polen und Tschechien sind beliebte Ziele für Gesundheitstouristen: Mediziner dort bieten eine gute Behandlungsqualität an und sind mitunter bis zu 70 Prozent günstiger als Ärzte hierzulande.

Wie viele Patienten sich tatsächlich für eine Behandlung ins Ausland locken lassen, ist unklar. Nach einer Umfrage der EU-Kommission aus dem Jahr 2014 haben sich lediglich fünf Prozent der EU-Bürger in einem anderen Mitgliedstaat medizinisch behandeln lassen. In der Mehrzahl der Fälle war die Behandlung nicht geplant. Nur zwei Prozent der Patienten sind gezielt zu einem Arzt jenseits der Grenze gereist. Aber das Interesse an einer Auslandsbehandlung ist deutlich größer: Fast jeder zweite EU-Bürger kann sich demnach vorstellen, einen Mediziner in einem anderen Land aufzusuchen.

Seit 2013 sind für alle Patienten in Europa die Rechte klar geregelt, wenn sie im EU-Ausland Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen wollen: Jeder Bürger bekommt die Kosten erstattet, sofern er im Heimatland einen Anspruch auf die betreffende Gesundheitsdienstleistung hat. Insbesondere Patienten, die auf langen Wartelisten stehen oder die im eigenen Land keinen entsprechenden Spezialisten finden, sollen von einer Behandlung im Ausland profitieren.

Deutschland hat das Recht auf Kostenerstattung bei Auslandsbehandlungen nach einem entsprechenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs schon 2004 gesetzlich verankert. Einen Mehrwert bietet die EU-Richtlinie trotzdem: Jedes Mitgliedsland musste eine nationale Kontaktstelle einrichten. Diese soll den Patienten, die eine Behandlung im Ausland planen, Informationen zur Verfügung stellen oder bei auftretenden Problemen helfen.

Nach Angaben von „EU-Patienten.de“, der Beratungsstelle in Deutschland, ist das Interesse an Beratung seitdem stetig gestiegen. „2014 sind wir mit 1600 Gesprächen im Jahr gestartet, jetzt sind wir schon bei rund 3000 Anfragen“, sagt Leiter Bernd Christl. Für Patienten sei es oft sehr kompliziert, sich Informationen zu einer Behandlung im Ausland zusammenzusuchen, zumal häufig sprachliche Barrieren dazu kommen. Die Einrichtung arbeitet unabhängig und wird von den gesetzlichen und privaten Krankenkassen finanziert.

Besonders groß ist die Nachfrage nach ambulanten Kuren, für die Krankenkassen einen bestimmten Zuschuss zahlen, hat die Techniker Krankenkasse (TK) ermittelt. Die meisten Patienten seien ältere Menschen jenseits der 60. Um Aussagen zu den Gründen von geplanten Behandlungen im Ausland zu bekommen, hat sie mehrmals ihre Versicherten befragt – das letzte Mal im Jahr 2012. Viele gaben an, gute Erfahrungen mit einer Behandlung im Ausland gemacht zu haben, außerdem hätten sie Kosten sparen und die Behandlung mit einer Urlaubsreise kombinieren können. Als Grund für die Reise nannten die meisten eine Erkrankung der Muskeln, Knochen oder Gelenke, an zweiter und dritter Stelle stehen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und Zahnbeschwerden.

„Die Versicherten haben großes Interesse an Zahnersatz im Ausland“, sagt TK-Sprecherin Ulrike Fieback. „Letztendlich gibt es pro Jahr bei der TK allerdings nur rund 1000 Behandlungsfälle – Tendenz leicht steigend.“

Einen Trend zum Gesundheitstourismus hat die nationale Beratungsstelle außerdem bei seltenen Krankheiten ausgemacht. „Die Zahl der Spezialisten ist bei bestimmten Krankheitsbildern rar gesät“, sagt Bernd Christl. „Da ist man als Patient auch bereit, weite Wege auf sich zu nehmen und in ein Land zu reisen, in dem man die Sprache nicht versteht.“

Doch bevor man sich auf die Reise macht, sollte man sich in jedem Fall ausführlich bei seiner Krankenkasse informieren – auch, um am Ende nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben. Außerdem sollte jeder sorgfältig die Risiken abwägen. „Die medizinische Qualität einer Versorgung im Ausland kann von den gesetzlichen Krankenkassen nicht überprüft werden“, warnt Carsten Sievers, Sprecher der AOK Niedersachsen.

Manche Kassen haben inzwischen Verträge mit Kliniken im EU-Ausland geschlossen, damit die Versicherten auch in anderen Ländern eine Behandlung nach deutschen Qualitätsstandards bekommen. Der Vorteil solcher Programme: Der Patient muss nicht in Vorleistung treten, die Anbieter rechnen bei der Versicherung direkt ab.

Doch ein Risiko bleibt in jedem Fall: „Sind nach einem Eingriff noch Nachbehandlungen notwendig oder tritt ein Problem auf, dann kann es schnell teuer werden“, sagt Christl von der nationalen Beratungsstelle. Das vermeintliche Schnäppchen wird dann womöglich zur Kostenfalle.