Braunschweig. Der kunstsinnige Bestseller-Autor erklärt, wo und warum Motive aus dem Harz in berühmten Gemälden des romantischen Malers auftauchen.
Im Jahr seines 250. Geburtstags erreicht Deutschlands bedeutendster romantischer Maler neue Gipfelpunkte der Popularität. Die Caspar-David-Friedrich-Schau in der Hamburger Kunsthalle („Kunst für eine neue Zeit“) werden bis zum 1. April mehr als 300.000 Menschen besucht haben – alle Tickets sind mittlerweile ausverkauft. Am 19. April eröffnet die nächste Großausstellung – „Unendliche Landschaften“ – in der Alten Nationalgalerie Berlin. Die „Spiegel“-Sachbuch-Bestsellerliste führt seit Wochen Florian Illies‘ Friedrich-Buch „Zauber der Stille“ an. Wir fragten den 52-jährigen Publizisten, Kunsthistoriker und Kunst-Podcaster, was für ihn die Faszination Friedrichs ausmacht – und warum es in Friedrichs Werk immer wieder Bezüge zum Harz gibt.
Mit „Die Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo gestalten Sie zusammen den überaus erfolgreichen Kunst-Podcast „Augen zu“. Di Lorenzo behauptet, dass Sie „ganz verliebt“ in Friedrich seien. Hat er Recht?
Es ist sogar schlimmer, man kann direkt von Liebe sprechen. Allerdings war es keine auf den ersten Blick. Früher habe ich eher einen Bogen um Friedrich gemacht. Mit ihm ging es mir so wie mit Goethe in der Literatur: Man hatte ihn zu lieben, Widerstand zwecklos. Schließlich war er doch der größte deutsche Maler mindestens des 19. Jahrhunderts. In solchen Fällen entwickele ich oft einen gewissen Trotz. Das hat sich geändert, als ich während meiner Tätigkeit für das Auktionshaus Grisebach dreimal das Glück hatte, Aquarelle von Friedrich verkaufen zu dürfen. Als ich seine Arbeiten selbst in der Hand hatte, merkte ich, dass sie über allem stehen, was die Kunst in Deutschland im 19. Jahrhundert geleistet hat. Es liegt etwas Magisches, Überirdisches in diesen Bildern und Zeichnungen, selbst wenn sie manchmal etwas Ungelenkes haben, etwa in der Figurendarstellung. Deshalb wollte ich ein Buch vor allem über die Wirkung Friedrichs schreiben. Wie gelingt es einem Maler, der vor 250 Jahren geboren wurde, uns heute noch so zu berühren?
Vordergründig hat Friedrich ja vor allem Landschaften gemalt. Aber in Ihrem Buch schreiben Sie, eigentlich verleihe er seinen Gedanken und Gefühlen Ausdruck. Ist das sein Geheimnis?
Mein Lieblingsbild von Friedrich ist ein ganz kleines Gemälde, „Ziehende Wolken“, das in der Hamburger Kunsthalle hängt. In einem Brief hat er es einmal als „Erinnerung an den Brocken von der Höhe aus“ bezeichnet. Es ist etwa zehn Jahre, nachdem er im Juni 1811 den Harz bereiste, entstanden und trotz seiner Anmerkung geografisch nicht eindeutig zuzuordnen. Das erlebt man häufig bei Friedrich, dass er zwar Details der Wirklichkeit haargenau übernimmt, sie aber mit Eindrücken aus ganz anderen Gegenden collagiert. Das Zentrale an diesem kleinen Gemälde sind eben die Wolken. Sie ziehen umher, wie für mich Gedanken in unseren Köpfen umherziehen. Deswegen habe ich das Gefühl, das ist eigentlich ein Abbild unseres Inneren. So bringt Friedrich Natureindrücke, die er einige Zeit in sich trägt, Jahre später auf die Leinwand. Symbolisch steckt oft viel mehr darin. Man versteht es nicht immer, muss man aber auch nicht. Friedrich selbst hat gesagt: Was da aus mir aufsteigt, ist mir selbst das größte Rätsel.
Gibt es mehrere Gemälde oder auch Motive in Friedrichs Gemälden, die man dem Harz zuordnen kann?
Es gibt ein sehr schönes Buch, wenn auch nur noch antiquarisch, das ich Ihren Lesern ans Herz legen möchte: „Caspar David Friedrich im Harz“ von Herrmann Zschoche. Zschoche hat ziemlich plausibel die Nähe von einigen Friedrich-Gemälden zu konkreten Harzlandschaften nachgewiesen. Da geht es etwa um Hintergründe der Bilder von Grabmälern gefallener Helden, die Friedrich während der Freiheitskriege malt. Diese Hintergründe übernimmt er oft von Zeichnungen, die er in den Felsschluchten des Bodetals gefertigt hat.
Ein Stück Harz soll auch in Friedrichs berühmtem Alpen-Gemälde „Der Watzmann“ zu sehen sein.
Ja, das ist der vielleicht kurioseste Eingang, den der Harz in Friedrichs Werk gefunden hat. „Der Watzmann“ ist das größte Gemälde, das er je malt. Und vor diesen gewaltigen Gipfel setzt er den Trudenstein. Er verlegt eine Granitklippe bei Schierke 576 Kilometer nach Süden, weil sie ihn so fasziniert hat, und weil er offenbar das Gefühl hat, diesem Watzmann, dem fehlt etwas, dem fehlt ein bisschen Harz vor der Brust. Er hat die Harzlandschaft 1811 sehr genau studiert, in Zeichnungen festgehalten und diese Zeichnungen dann für die verschiedensten Gemälde verwendet. Die Harzreise war sehr wichtig für sein Repertoire an Motiven, vor allem an Fels- und Schluchtmotiven.
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Das Herzog-Anton-Ulrich-Museum zeigt gerade eine Ausstellung über den Braunschweiger Vorromantiker Pascha Johann Friedrich Weitsch, der eine Generation vor Friedrich lebte. Weitsch hat auch so einige Harzlandschaften in Öl und auf Porzellan gebannt. Wissen Sie, ob Friedrich ihn kannte?
Ich finde es wunderbar, dass man Weitsch eine eigene Ausstellung widmet, denn er ist eine noch viel zu wenig bekannte Ausnahmefigur unter den deutschen Künstlern des 18. Jahrhunderts. Man kann bei seinen Harzlandschaften etwas finden, was in der Zeit um 1750/60 völlig einzigartig ist: ein sehr feines Naturempfinden und eine Eroberung der Wirklichkeit samt genauer Wiedergabe der Formationen und Perspektiven, die er vorgefunden hat. Das sind nicht mehr die erfundenen Wirklichkeiten des Rokoko. Ich habe ein Bild vor Augen, auf dem arbeitet Weitsch mit geradezu Friedrich-haften Rückenfiguren, die eine Schlucht überblicken...
„Das Bodetal mit der Rosstrappe“.
Richtig. Wenn man überhaupt von Vorläufern Friedrichs sprechen kann, dann ist Weitsch unbedingt zu nennen. Er hat auch schon das Motiv germanischer Grabstätten in Verbindung mit Eichenhainen aufgegriffen. Das ist vor ihm und Friedrich beispiellos. Es wäre faszinierend zu wissen, ob Friedrich ihn kannte. Es gibt eine mögliche Beziehungsebene: die Malerin Caroline Bardua, die zeitweise in Ballenstedt lebte. Friedrich besuchte sie dort, und es ist möglich, dass es am Hof von Ballenstedt Werke von Weitsch gab, die er damals gesehen hat. Es gibt so wenige Verbindungslinien von Friedrich zur Malerei des 18. Jahrhunderts – Weitsch könnte eine sein.
Friedrich studierte einerseits die Natur sehr genau. Andererseits malte er auch Landschaften, die er nie persönlich gesehen hatte, oder collagierte sie frei zusammen. Was sagt das über ihn?
Dass er ein ungeheuer interessanter Maler ist. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchen alle Künstler, die Landschaft zu überhöhen oder komplette Fantasielandschaften mit mythologischen oder biblischen Figuren zu malen. Aber Friedrich ist mit so großer Akribie dabei, etwa die Details des Trudensteins zu erfassen, dass man ihn als einen Vorläufer des Realismus sehen kann. Im gleichen Atemzug nimmt er sich die Freiheit, eine gewachsene Naturformation mit einer anderen zusammenzubauen. Er ist zwar ein bescheidener, scheuer Mensch, aber in seiner Kunst ungeheuer kühn.
Eines seiner berühmtesten Gemälde ist „Der Wanderer über dem Nebelmeer“. Könnte auch das vom Harz inspiriert sein? Und wie passt eigentlich die gleichsam über den Wolken thronende Figur des Wanderers mit Friedrichs Gläubigkeit und Demut zusammen, die sich etwa im geradezu gegensätzlichen Gemälde „Der Mönch am Meer“ ausdrücken?
Das ist wirklich irritierend. Deswegen gibt es immer wieder Stimmen, die in Zweifel ziehen, ob „Der Wanderer“ tatsächlich von Friedrichs Hand gemalt ist, oder ob zumindest diese für ihn ungewöhnlich große Rückenfigur in ihrer sehr gekonnten Körperlichkeit von einem befreundeten Künstler gemalt wurde. Es ist schwierig, seinen Glaubensbegriff mit dieser Ästhetik zu vereinbaren. Aber eben das macht Friedrichs Größe aus, dass er nicht einfach zu erklären ist, dass er uns irritiert und große Fragen stellt. Die Landschaft und die Klippe, auf der der Wanderer steht, waren bisher nicht eindeutig zuzuordnen. Da gibt es ein paar Möglichkeiten im Riesen- und im Elbsandsteingebirge, aber auch im Harz. Ich glaube, es ist das imaginäre Bild des deutschen Mittelgebirges, und da fließt für Friedrich eben das alles ineinander.
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