Braunschweig. TU-Germanist Jan Röhnert analysiert in Braunschweigs Anton-Ulrich-Museum den Harz in der Literatur - von der Romantik bis heute.

Von Luther bis Klopstock, von Goethe bis Kafka, die Liste der prominenten Harz-Geborenen oder seiner Gäste ist lang. Gemälde mit vorromantischem Gestus hinterließ Pascha Weitsch, der seit seiner Geburt 1723 bei Osterwieck den Harz vor Augen hatte und wandernd erkundete. Der richtige Romantiker Caspar David Friedrich folgte ihm nach und erfasste 1811 bei seiner Wanderung das mystisch-religiöse Potential auch dieses Naturgebildes.

Eines bereits seit dem 3. Jahrhundert nach Christi bergbaulich genutzten Naturgebildes. „Für uns ist der Harz heute selbstverständlich ein Naherholungsgebiet, ein Nationalpark mit starken ökologischen Problemen“, erläutert Jan Röhnert, Literaturwissenschaftler an der TU Braunschweig im Gespräch. „Aber im 18. Jahrhundert wurde er vor allem als Bergbaugebiet wahrgenommen. Die ersten Harzreiseführer um 1770 stellten die Schächte und Fördertürme in den Vordergrund, das war es, was man besichtigte. Es ging nicht um Naturerlebnis und Erholung.“

Natur empfinden, nicht ausbeuten

Aus Anlass der Jubiläums-Schau zu Pascha Weitsch im Anton-Ulrich-Museum hat Röhnert nochmal die literarischen Harzreisen an die von Weitsch so emblematisch erfassten Orte wie Brocken und Rosstrappe vorgenommen. „Auch Goethe kam 1777/78 und 84 zunächst mal aus bergbaulichem Interesse. Als auch für den Ilmenauer Bergbau zuständiger Minister von Sachsen-Weimar hatte er Probleme mit der Entwässerung der Stollen und schaute sich die Wasserkünste in Goslar, Clausthal und Andreasberg an.“ Allerdings zeuge sein ausgerechnet im Winter angetretener Ritt auf den Brocken dann auch von seinem Gespür für Naturmystik.

Johann Wolfgang Goethe gehört zu den berühmtesten Harz-Reisenden, er wanderte 1777 sogar im Winter auf den Brocken.
Johann Wolfgang Goethe gehört zu den berühmtesten Harz-Reisenden, er wanderte 1777 sogar im Winter auf den Brocken. © picture-alliance / dpa | Reproduktion_Sigrid_Geske

Einer der Ersten, der im Harz vor allem schöne Natur sah, sei Weitsch gewesen, findet Röhnert. Er habe nicht die Erz-Förderanlagen, sondern die Landschaft gezeichnet und gemalt. Das entspreche dem Zeitalter der Empfindsamkeit und den Dichtungen seines Halberstädter Freundeskreises um Ludwig Gleim und Klopstock. Mit Klopstocks Ode „Die Rosstrappe“ 1771 werde der Harz sozusagen außerhalb der Industriegeschichte eingebürgert und idyllisiert: „Die schöne Natur wird empfunden statt ausgebeutet.“

Zugleich beginne auch die germanisch-mythologische Aufladung. Mit einem Sprung vom Hexentanzplatz rüber zur Rosstrappe, wo der entsprechende Hufabdruck (Rosstrapp) zurückbleibt, rettet sich die Prinzessin vor dem heidnischen Riesenfürsten Bodo, der in die Bode stürzt und dem Fluss so den Namen gibt.

Arnims Liebeleben im Bodetal

Die Romantiker Novalis, Eichendorff und Tieck folgen auf diesen Harz-Pfaden, machen Naturerfahrung und Mythos aber auch zum Spiegel des Seelenlebens ihrer Protagonisten. Dafür nutzten sie durchaus auch wieder die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und drängen tief ein in den Berg wie die Psyche, so Röhnert. Wobei etwa Tiecks „Runenberg“ nicht ausdrücklich im Harz verortet wird, Tieck aber zum Beispiel im „Märchen vom Rosstrapp“ eine eigene Variante vorlege, bei der die Prinzessin abstürzt.

Der Literaturwissenschaftler Jan Röhnert von der TU Braunschweig schreibt auch selbst Harzliteratur, so das Buch „Vom Gehen im Karst“. 
Der Literaturwissenschaftler Jan Röhnert von der TU Braunschweig schreibt auch selbst Harzliteratur, so das Buch „Vom Gehen im Karst“.  © Alexander Paul Englert | Alexander Paul Englert

Bei Achim von Arnim wird der mythische Ort dann zum Liebesnest, in dem „Hollins Liebeleben“ zur Erfüllung kommt. Dazu steigen Hollin und die einem anderen versprochene Maria den gefährlichen Weg von der Rosstrappe hinab ins Bodetal, wo sie zwar nicht die sagenhafte in die Bode gefallene Krone der Prinzessin finden, aber des Lebens Krone: „Sie glaubten sich im Paradiese und die einzigen Menschen auf Erden; sie lagerten sich unter einer Laube; die Schranken des Lebens öffneten sich, er fand und raubte die Myrtenkrone, der ewige Bund wurde geschlossen.“

Gesellschaftliche Abgründe, gespiegelt in der Natur

Heinrich Heines „Harzreise“ 1824, die gehörig gegen romantisches Empfinden stichelt, nutze den Harz und seine Wanderung vor allem, um seine Gesellschaftskritik zu platzieren, erklärt Röhnert: „Die Landschaft ist eher Vorwand.“ Schauten die Romantiker angesichts der Naturphänomene in den Abgrund der Seele, so schaue Heine in den Abgrund der Gesellschaft.

Hans Christian Andersen wandelt 1831 dann schon auf Heines Spuren. Und Fontane erlebt die Sommerfrische in Thale und dichtet mit „Cécile“ zwischen Rosstrappe und Altenbrak eine Dreiecksgeschichte nach Arnims Art, nur wilhelminisch zugeknöpfter.

Zeitgenössische Harzwanderung zur Wiedervereinigung

Röhnert nimmt ausdrücklich zeitgenössische Autoren in den Blick. So hat er Hans-Jürgen von der Wense (1894-1966) wiederentdeckt, dessen „Routen“ wohl damals unzeitgemäß Landschaftskunde von romantisch-naturwissenschaftlicher Art betrieben. Wohingegen Thomas Rosenlöchers „Wiederentdeckung des Gehens beim Wandern“ eine in Heines Sinn politisch-satirische Ost-West-Wanderung von Dresden nach Goslar am Tag der Währungsunion 1990 darstellt.

„Der Harz bleibt literarisch von hoher Dichte“, resümiert Röhnert und zitiert noch „Der Wald im Zimmer“ des Büchner-Preisträgers Jan Wagner und von Björn Kuhligk oder die „Harzwanderungen“ des Briten Paul Scraton.

Auch Röhnert selbst ist Schriftsteller. Seine Sieben-Tage-Wanderung „Vom Gehen im Karst“ folgt nicht den romantischen Plätzen, sondern dem Karstwanderweg von Osterode über Nordhausen bis kurz vor Lutherstadt Eisleben. „Löns hat auch schon darüber geschrieben, aber eigentlich wurde der slowenische Begriff Karst für eine Landschaft im Balkan geprägt und wird erst seit dem Zweiten Weltkrieg als geologischer Name auch auf das Harzer Phänomen angewandt“, erläutert Röhnert.

Modernes „Nature Writing“ gegen den Ökozid

Auch Peter Handke meine den Harzer Karst, wenn er in seinem autobiografischen Roman „Die morawische Nacht“ die Heimat des Vaters aufsuche, Handkes leiblicher Vater sei aus der Gegend von Walkenried gekommen, so Röhnert.

Der Karst sei eine stetig sich verändernde Kalklandschaft, bedroht vom industriellen Gipsabbau, erklärt Röhnert weiter. Darum rechne er sein eigenes Buch zum „Nature Writing“, das solche Naturphänomene überhaupt erst wieder benennen, wahrnehmbar machen und bewahren will. Dem Harzer Karst drohe der Ökozid, insofern sei sein Schreiben eine Form der littérature engagée.

Harz-Lesungen im Museum:
Am Donnerstag, 18.30 Uhr, liest Jan Röhnert im Anton-Ulrich-Museum aus seinem Buch , das auch den Gipskarst bei Osterode und die Teufelsmauer bei Quedlinburg behandelt, zwei Orte, die auch Pascha Weitsch gezeichnet hat.
Am Donnerstag, 18.30 Uhr, findet im Anton-Ulrich-Museum eine Dichterlesung mit Wilhelm Bartsch statt. Der Harz und sein gerade heute so radikaler Wandel spielen eine wichtige Rolle in seinem neuem Gedichtband . Eintritt jeweils frei.