Berlin. Minijobber haben im Lockdown keinen Anspruch auf Entschädigung, urteilte das Bundesarbeitsgericht. Debatte um Reform nimmt Fahrt auf.

Als vor eineinhalb Jahren die Corona-Pandemie in Deutschland ankam, ging es für viele Beschäftigte in Deutschland ins Homeoffice. Für andere hingegen war das keine Option. Betriebe wurden im Lockdown geschlossen, das Land in den Stand-by-Modus versetzt. Knapp sechs Millionen Menschen befanden sich im April 2020 in Kurzarbeit.

Für eine wichtige Säule der Wirtschaft galt das aber nicht: Für die knapp acht Millionen Minijobberinnen und Minijobber, die pro Monat nicht mehr als 450 Euro verdienen. Wer in einem solchen geringfügigen Beschäftigungsverhältnis steht, muss keine Steuern und Sozialversicherungsleistungen von seinem Einkommen abziehen – dafür zahlt man aber auch nicht in die Arbeitslosenversicherung ein und hat entsprechend keinen Anspruch auf Kurzarbeit.

Corona-Krise: Minijobberin scheitert mit Klage vor Bundesarbeitsgericht

Die Folge: In vielen Branchen wurden die Minijobber gefeuert. Insgesamt sind laut der Bundesagentur für Arbeit 555.000 Minijobs verloren gegangen. Allein unter Studierenden gab einer jüngsten Umfrage zufolge fast jeder Dritte an, einen Job verloren zu haben. Viele mussten daraufhin wieder zu ihren Eltern ziehen.

Auch viele andere Minijobberinnen und Minijobber hatten Probleme, über die Runden zu kommen. Eine Bremer Verkäuferin, die in einem Nähmaschinen- und Zubehörhandel arbeitete, wollte sich nicht damit abfinden, leer auszugehen. Ein halbes Jahr lang arbeitete sie in dem Laden, verdiente pro Monat 432 Euro. Dann kam der Lockdown, der Laden musste im April schließen, die Verkäuferin erhielt keinen Lohn.

Sie verlangte von ihrem Arbeitgeber eine Entschädigung – schließlich gehöre die Ladenschließung während einer Pandemie zum Betriebsrisiko, so ihre Argumentation. Vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen hatte sie damit noch Erfolg. Doch am Mittwoch hob das Bundesarbeitsgericht in Erfurt die Entscheidung auf. Lesen Sie hier: Hartz IV: Wie viel Geld dürfen Empfänger dazuverdienen?

Mittelstand begrüßt Urteil

Angeordnete Geschäftsschließungen während der Pandemie sind kein unternehmerisches Betriebsrisiko, urteilten die Richter (5 AZR 211/21). Es sei Sache des Staates, für einen Ausgleich der finanziellen Nachteile zu sorgen. Damit hat sich die Hoffnung vieler Minijobber auf eine nachträgliche Entschädigung zerschlagen.

Erleichtert zeigten sich dagegen die Arbeitgeberverbände. „Die Rechtsprechung ist im Sinne der Wirtschaft, da sie dem Verursacherprinzip Rechnung trägt und die Unternehmen so vor weiteren Belastungen schützt“, sagte Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), unserer Redaktion.

Zugleich forderte er, dass die Bundesregierung Benachteiligungen der geringfügig Beschäftigten gegenüber den Kurarbeitergeld-Empfängern entschärfen solle. Auch interessant: Minijobs: Mittelstand will 100 Euro höhere Verdienstgrenze

DGB will Minijobber in die Sozialversicherungspflicht holen

Damit rückt die Debatte um die Zukunft der Minijobs wieder in den Fokus. „Minijobs sind nicht krisenfest und können sehr schnell zur Armutsfalle werden“, sagte Anja Piel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), unserer Redaktion. Die Pandemie habe diese Situation verschärft, Tausende seien ohne Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld „in schlimmer Not gelandet“, sagte Piel.

Vor allem für Frauen, die 70 Prozent der ausschließlich geringfügig Beschäftigten ausmachen würden, seien Minijobs problematisch. Sie forderte eine Umwandlung der Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.

Umwandlung könnte sich positiv auf Konjunktur auswirken

Auch Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), steht den Minijobs kritisch gegenüber. „Minijobs schaffen viele Fallen für Geringverdiener“, sagte der Ökonom unserer Redaktion.

Die Krise habe „die suboptimale soziale Absicherung“ aufgezeigt. Eine Umwandlung der Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse – mit Ausnahme der Privathaushalte – könne auch die Konjunktur beflügeln. Lesen Sie hier: Von Minijob bis Bafög: Die besten Spartipps für Studenten

Studie: Reform könnte bis zu 124.000 Jobs bringen

Gestützt wird Dulliens These unter anderem von einer neuen Berechnung des Ifo-Instituts, die die Bertelsmann Stiftung im Rahmen einer Studie am Mittwoch veröffentlichte. Würde der Gesetzgeber sowohl das Ehegattensplitting als auch die Minijobs reformieren, könnten 124.000 Menschen in sozialversicherungs- und steuerpflichtige Jobs gebracht werden – darunter 108.000 Frauen.

Die Kombination aus Ehegattensplitting und Minijob wirkt sich für viele Frauen nachteilig aus. Aktuell haben laut der Bertelsmann-Untersuchung von 7,6 Millionen Ehefrauen zwischen 25 und 60 Jahren etwa drei Viertel – rund sechs Millionen Frauen – ein geringeres Einkommen als ihr Partner. Zugleich unterliege die Zweitverdienerin im Ehegattensplitting in der Regel demselben Steuersatz wie der Erstverdiener – der Anreiz, mehr zu verdienen, sei damit nicht gegeben.

40 Prozent der unteren Einkommen könnten entlastet werden

„Eine solche Steuerregelung ist unzeitgemäß, demotivierend und unterm Strich eine Diskriminierung per Lohnzettel – und gehört daher so schnell wie möglich abgeschafft“, sagte Johannes Bungart, der als Geschäftsführer des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerks (BIV) einer Branche mit vielen Minijobberinnen und Minijobbern vorsteht.

Die Bertelsmann-Stiftung schlägt vor, dass Ehepartner künftig separat veranlagt werden. Zugleich dürfe der besser verdienende Ehepartner einen Betrag in Höhe von 13.805 Euro auf die Ehepartnerin oder den Ehepartner abführen. Würden zudem Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen mit einem ansteigenden Steuerbeitragssatz umgewandelt, würden laut den Bertelsmann-Zahlen die unteren 40 Prozent der Einkommen entlastet werden.