Berlin. Nach monatelangem Arbeitskampf geht Weselsky: Im September soll die GDL eine neue Führung erhalten. Das weiß man über den Neuen.

Claus Weselsky hat noch einmal einen richtig großen Auftritt, so wie der GDL-Chef sie ganz offensichtlich mag und regelmäßig zelebriert hat: Die Verkündigung des Tarifabschlusses für die Lokführer mit der Bahn ist das Finale einer Verhandlungsrunde, in der Weselsky das ganze Streikspektakel mit allem Getöse geliefert hat. Nicht weniger als sechsmal haben die GDL-Mitglieder die Arbeit tagelang niedergelegt. Zum Leidwesen von Millionen von Pendlern, Reisenden und der Wirtschaft, die wegen der Unterbrechungen der Lieferketten Abermillionen Euro Verlust verzeichnete.

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Spätestens mit der letzten Streikrunde hatte sich die GDL die Sympathien verscherzt – weil ganz offenbar der Streikgrund im Prinzip kaum noch vorhanden war. Die Bahn war den Forderungen der Gewerkschaft schon weit entgegengekommen.

Weselsky und sein Verhandlungspartner Seiler – keine Sympathien

Nun also – endlich – der Abschluss, der sicherlich auch deshalb so zäh erreicht wurde, weil die verhandelnden Kontrahenten sich ganz sichtbar nicht ausstehen konnten. Es mag daran liegen, dass Weselskys Gegenüber, Bahn-Personalchef Martin Seiler, selbst früher über ein Jahrzehnt Gewerkschaftsfunktionär war – bei der Post und anschließend für Verdi. Im klaren Freund-Feind-Schema Weselskys dürfte jemand wie Seiler, der seit 2003 als Manager arbeitet, als Verräter durchgehen: Jedenfalls fehlte es nicht an drastischen Beschimpfungen, wovon die Aussage, Seiler sei ein notorischer „Schauspieler und Trickser“ noch eine der harmloseren war.

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    Böse Zungen behaupten aber auch, mit dem letzten Crescendo habe sich der Arbeiterkämpfer mit dem CDU-Parteibuch vor allem nochmal ein Denkmal setzen wollen, bevor Weselsky im September den GDL-Vorsitz abgibt.

    Der Nachfolger ist schon ausgedeutet: Das ist Mario Reiß

    Nachfolger soll sein Stellvertreter Mario Reiß werden – nach internen Absprachen. Und die Frage, die daran natürlich geknüpft ist: Setzt der Neue den radikalen Konfrontationskurs seines Vorgängers fort?

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    Weselsky ist seit 2008 Chef der Lokführergewerkschaft mit nach eigenen Angaben 40.000 Mitgliedern. Mit seinem Vorgänger hat er sich überworfen, alte Vorstandsmitglieder wurden aus der Gewerkschaft getrieben. Sie wiederum warfen später Weselsky autoritäre Führung vor. Reiß hingegen ist seit rund zehn Jahren einer der engsten Weggefährten Weselskys. Es darf also als gesichert gelten, dass er dessen Kurs inhaltlich voll mitträgt. Im Habitus allerdings fehlt Reiß die Eitelkeit des Vorgängers, der auch

    eine gewisse Genugtuung daraus zu ziehen schien, der unbeliebteste Gewerkschafter seit Jahrzehnten

    GDL-Vorsitzender Claus Weselsky bei der Kundgebung in Stuttgart.
    GDL-Vorsitzender Claus Weselsky bei der Kundgebung in Stuttgart. © Bernd Weißbrod/dpa
    Eine Anzeigetafel für Fahrgastinformationen informiert im Bahnhof von Wismar über Auswirkungen des GDL-Streiks.
    Eine Anzeigetafel für Fahrgastinformationen informiert im Bahnhof von Wismar über Auswirkungen des GDL-Streiks. © Jens Büttner/dpa
    «Die Züge rollen, und man kann auch während des Streiks reisen», sagt Bahn-Vorstandsmitglied Stefanie Berk in Frankfurt am Main.
    «Die Züge rollen, und man kann auch während des Streiks reisen», sagt Bahn-Vorstandsmitglied Stefanie Berk in Frankfurt am Main. © Helmut Fricke/dpa
    GDL-Chef Claus Weselsky spricht auf einer Kundgebung in Nürnberg.
    GDL-Chef Claus Weselsky spricht auf einer Kundgebung in Nürnberg. © Daniel Karmann/dpa
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    zu sein.

    In Habitus und Sprache ein Gegenentwurf zum Vorgänger

    Reiß trat in den seltenen Interviews, die er bisher gab, zurückhaltender auf, weniger aggressiv. Seine Biografie allerdings ähnelt der Weselskys durchaus: Der bald 58-Jährige stammt ebenfalls aus Sachsen, wo er bis heute in der Nähe Torgaus seinen Lebensmittelpunkt hat. Er hat bei der Reichsbahn gelernt, wurde Anfang der 80er Jahre zum Lokführer ausgebildet, seit 1990 ist er bei der GDL, seit Ende der 90er Jahre hauptamtlich. 20 Jahre lang war er Tarifexperte der Gewerkschaft und seit 2022 stellvertretender Bundesvorsitzender.

    In Gesprächen äußert er sich sehr bodenständig, gibt als Hobbys Angeln und Motorradfahren sowie handwerkliche Arbeiten an, er ist seit vielen Jahren verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Von daher könnte man ihn beinahe für den Gegenentwurf des etwas quecksilbrigen Weselsky halten.

    Ohne Gesichtsverlust kann der Neue nicht vom Kurs abweichen

    Allerdings hat der das Profil der GDL so verändert, die Latte des Arbeitskampfs so hoch gehängt, dass der neue Chef nicht ohne Gesichtsverlust von dieser Linie abweichen kann. Reiß wird sich immer am Vorbild messen lassen müssen und von daher nicht weniger kämpferisch vorgehen.

    Haben sich nach langem Arbeitskampf geeinigt: GDL-Chef Claus Weselsky (links) und Martin Seiler, DB-Personalvorstand.
    Haben sich nach langem Arbeitskampf geeinigt: GDL-Chef Claus Weselsky (links) und Martin Seiler, DB-Personalvorstand. © DPA Images | Fabian Sommer

    Und: Mario Reiß ist eine der treibenden Kräfte für das Projekt der Leiharbeitergenossenschaft Fair Train. Deren Geschäftsmodell ist es, Lokführerinnen und Lokführer unter anderem bei der Bahn abzuwerben, um sie dieser dann anschließend wieder als Leiharbeiter anzubieten – aber nun zu Konditionen, die Fair Train zuvor mit der GDL ausgehandelt hat. Die Bahn hatte im Tarifkonflikt geklagt: Die Gewerkschaft sei durch Fair Train auch Arbeitgeber und habe sozusagen mit sich selbst einen Tarifvertrag ausgehandelt. Deswegen könne sie im Prinzip nicht mehr Verhandlungspartner sein.

    Mit dieser Klage ist die Bahn gescheitert – aber der Rechtsstreit dürfte noch nicht abschließend beigelegt sein. Arbeitsrechtler attestieren der GDL immerhin, mit der Gründung der Genossenschaft kreativ Neuland beschritten zu haben. Sollte das Modell Erfolg haben, dürfte das für die Bahn jedenfalls schmerzhaft werden.

    Das Beispiel zeigt: Möglicherweise wird sich die äußere Form ändern, mit der die GDL ihre Konflikte betreibt. Möglicherweise fällt der Theaterdonner weniger lautstark aus als unter Weselsky, vielleicht konzilianter im Ton – für die Arbeitgeber wird es nicht unkomplizierter und für die Bahnreisenden ebenso wenig. Ob das der angestrebten Verkehrswende hilft, sei dahingestellt.