Hannover. Die Volkswagen-Hauptversammlung am Mittwochabend in Hannover bot viele Emotionen – vor allem beim Thema Abgas-Betrug.

Eine Aktionärs-Hauptversammlung hat etwas von einem Klassentreffen. Stets sind viele bekannte Gesichter zu treffen – auf der Hauptversammlung, weil es über Jahre gesehen meist dieselben Aktionäre sind, die ans Mikrofon drängen. Gemeinsam übersteht man hier wie dort Höhen und Tiefen, gemeinsam wird man älter. Ein großer Unterschied zum Klassentreffen: Auf der Hauptversammlung geht es nicht um das Auffrischen von Erinnerungen, sondern am Ende immer ums Geld. Deshalb ist der Ton kritischer, schärfer als beim Wiedersehen alter Klassenkameraden.

Das galt auch für das Treffen der VW-Aktionäre gestern in Hannover. Zentrales Thema war auch in diesem Jahr der Abgas-Betrug. Der Saarbrücker Anteilseigner Manfred Klein musste nach wenigen Sätzen gar sein Sakko ablegen, um vor Empörung – ob echt oder gespielt, blieb unklar – nicht zu platzen. Zielscheibe seiner ebenso emotionalen wie unsachlichen Wutrede war VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch.

Klein warf ihm vor, weder „Anstand noch Moral“ zu kennen. „Bevor Herr Pötsch nicht verschwindet, gibt es bei VW keine Ruhe“, giftete er. Klein gewann noch an Temperatur, als Pötsch ihm drohte, wegen des Überziehens der Redezeit das Mikrofon abzuschalten und dies schließlich auch tat. Kleins eingangs gestellte Frage, ob Volkswagen ein kriminelles Unternehmen sei, beantwortete Konzernchef Matthias Müller übrigens in einer der späteren Antwortenrunden wenig überraschend mit einem Nein.

Weitaus sachlicher, in der Sache aber härter, traten die Vertreter von Aktionärsvereinigungen und Investment-Gesellschaften auf. Andreas Thomae von der Fondsgesellschaft Deka Invest etwa kritisierte, dass VW anders als ursprünglich angekündigt bisher keinen Bericht mit Untersuchungsergebnissen zum Abgas-Betrug veröffentlicht hat.

VW hatte die US-Kanzlei Jones Day mit der Aufklärung des Falls beauftragt. Thomae: „Es wurde zugesichert, dass die Ermittlungsergebnisse von Jones Day veröffentlicht werden sollten.“ Dass dies nicht geschehen sei, „lässt vermuten, dass die Ergebnisse VW nicht gefallen“, sagte er.

Deka Invest ist der Musterkläger im Reigen der Anlegerklagen gegen VW, die beim Landgericht Braunschweig eingegangen sind. Das Musterverfahren wird ab nächstem Jahr vor dem Oberlandesgericht Braunschweig verhandelt. Der zentrale Vorwurf der Kläger: VW habe die Anleger nicht rechtzeitig über den Abgas-Betrug informiert, daher sei ihnen wegen des Kursverlusts der VW-Aktien finanzieller Schaden entstanden.

Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz kritisierte die Dividende, die VW in diesem Jahr ausschüttet. Inhaber der mit Stimmrecht ausgestatteten Stammaktien erhalten 2 Euro je Wertpapier, Inhaber der stimmrechtlosen Vorzugsaktien 2,06 Euro. Eben weil sie über kein Stimmrecht verfügen, erhalten Vorzugsaktionäre eine höhere Dividende. Den geringen Unterschied zwischen den VW-Dividenden in diesem Jahr bezeichnete Hocker „als wenig erfreulich“. Unterstützung erhielt er von Aktionär Christian Strenger. Der polterte mit Blick auf die Vorzugsaktionäre: „Das ist eine unangemessene Entschädigung dafür, dass Sie nichts sagen können.“

Vergleichsweise moderat äußerte sich Gerd Kuhlmeyer von den VW-Belegschaftsaktionären. „Volkswagen hat Toyota überholt, das ist ein Vertrauensbeweis unserer Kunden“, sagte er. Allerdings habe es VW versäumt, seinen Kunden dafür prominent zu danken – zum Beispiel in Zeitungsanzeigen. „Warum ist niemand auf solch eine naheliegende Idee gekommen?“, fragte er. Kuhlmeyer schlug vor, zum 80-jährigen Bestehen des VW-Konzerns im nächsten Jahr Jubiläumsaktien an die Mitarbeiter auszugeben.

Die US-Gewerkschaft UAW, die sich auf dem Podium vom Dachverband kritischer Aktionäre vertreten ließ, erneuerte ihre Kritik am Wolfsburger Autobauer. So demoralisiere das Unternehmen die Belegschaft im US-Werk Chattanooga, weil es dort keine Tarifverhandlungen zulasse. Zugleich werde US-Recht missachtet.

VW-Personalvorstand Karlheinz Blessing erläuterte später in einem Antwortenteil der Hauptversammlung, dass die UAW nur einen kleinen Teil der Belegschaft in Chattanooga repräsentiere. Das sei nicht im Interesse des Unternehmens. „Wir wollen keine Addition von einzelnen Lokführer-Gewerkschaften“, spielte Blessing auf harte und langwierige Tarifauseinandersetzungen mit kleinen Einzelgewerkschaften an, wie es sie bei der Bahn und bei der Lufthansa gibt.

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh sagte später am Rande des Aktionärstreffens, er erwarte, dass sich die UAW in der noch nicht entschiedenen juristischen Auseinandersetzung mit VW durchsetzen werde. Deshalb solle sich das Unternehmen mit der Gewerkschaft an einen Tisch setzen. Gleichzeitig müsse die UAW noch stärkere Überzeugungsarbeit im Werk leisten. Anders als in Deutschland entscheiden in den USA die Mitarbeiter in einer Wahl, ob sie sich gewerkschaftlich vertreten lassen. In einer ersten Wahl 2014 hatte die US-Gewerkschaft die Mehrheit in Chattanooga verpasst.

Zur Zusammenarbeit mit VW-Markenchef Herbert Diess sagte Osterloh: „Wir kommen im Moment gut miteinander aus. Der Zukunftspakt läuft.“ Diese Vereinbarung regelt den Umbau der Marke VW und gibt den Sanierungskurs für die Marke vor. Über die Ausgestaltung des „Zukunftspakts“ war vor wenigen Monaten zwischen Osterloh und Diess ein heftiger Streit entbrannt. Gestern sagte der Betriebsratschef: „Wir werden uns beim nächsten Mal nicht mehr öffentlich streiten.“

Einen Kommentar zum Thema finden Sie hier: Abrechnung mit VW