Hannover. Die Wut von vor einem Jahr scheint nicht verflogen. Volkswagens Kleinanleger kommen trotzdem gern zur Hauptversammlung.

Vom angekündigten Protest ist erstmal nicht viel zu spüren. Nur vier betroffene Kunden sind dem Aufruf des Bündnisses „Gerechtigkeit im VW-Abgasskandal“ gefolgt, ihrem Ärger vor den Toren der VW-Hauptversammlung Luft zu machen. Doch das bedeutet keineswegs, dass das Thema auf dem Messegelände in Hannover abgehakt ist. Am meisten beschäftigt die Kleinaktionäre offenbar auch eineinhalb Jahre nach Bekanntwerden des Abgas-Betrugs ebendieser.

Rund 3000 Anleger sind laut Volkswagen am Mittwoch in die Messehallen gekommen. Dort reihen sich wie bereits im vergangenen Jahr schmucklos je ein Fahrzeug der Konzernmarken aneinander. Auch wenn der knallgelbe Lamborghini wieder ein beliebtes Fotomotiv bildet und mancher Besucher aufs Probesitzen warten muss, sind die Zeiten des einstigen Pomps nicht zurück.

„Ich verstehe nicht, dass man in 13 Monaten so viel leistet, dass man 12 Millionen verdient.“
„Ich verstehe nicht, dass man in 13 Monaten so viel leistet, dass man 12 Millionen verdient.“ © Ulrich Sollmann über Christine Hohmann-Dennhardt

Umso mehr Platz bleibt für die Tische, an denen die Aktionäre zu den Reden von Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und Vorstandschef Matthias Müller – übertragen auf meterhohen Monitoren – belegte Brötchen oder Braunschweiger Kartoffelsuppe genießen können. Die VW-Currywurst wird als Ragout gereicht. Die Atmosphäre sei entspannt und angenehm, loben einige Anleger, gerade im Vergleich zu anderen Hauptversammlungen.

Ansonsten hält sich das Lob allerdings in Grenzen. Am besten schneidet noch Müller ab. „Er hat die Ruhe, die es braucht, um solche Dinge zu bewältigen“, sagt etwa Ulrich Sollmann aus dem Kreis Gifhorn. „Der Vorstand hat nicht klare Kante gezeigt“, kritisiert hingegen Arnd Gaulke. Auch wenn das US-Justizministerium zu einem anderen Ergebnis kam, scheint die Vermutung verbreitet zu sein, der Betrug sei bis in die oberste Management-Etage bekannt gewesen. „Mir kann keiner sagen, dass der Vorstand das nicht wusste“, empört sich seine Frau. „Ausbaden müssen es die Ingenieure“, bedauert der 48-Jährige, der selbst als Ingenieur bei einem Autozulieferer arbeitet.

„Die Strafzahlungen in Amerika sind meiner Meinung nach in der Höhe nicht in Ordnung.“
„Die Strafzahlungen in Amerika sind meiner Meinung nach in der Höhe nicht in Ordnung.“ © Volker Wesche aus Hamburg

Sollmann sieht das anders. Die Medien bauschten immer wieder die gleichen Themen auf, obwohl der Betrug bereits abgearbeitet sei. Schließlich sei das Problem technisch gelöst. Dabei konnte sich auch der 64-Jährige nicht vorstellen, dass „so etwas“ passiert. „Auf die Idee, die Behörden zu bescheißen, wären wir nie gekommen“, sagt Sollmann, der bei VW lange die Abteilung leitete, die sich um Umweltfragen der Produktionsanlagen und Werke kümmert.

Und noch etwas kann der Rentner nicht verstehen: Dass Christine Hohmann-Dennhardt – die das infolge des Skandals geschaffene Vorstandsressort Integrität und Recht übernommen hatte – „in 13 Monaten so viel leistete, dass sie zwölf Millionen Euro verdient“. Volker Wesche aus Hamburg ärgert sich über die „Schieflage im Land“: Winterkorn erhalte täglich 3100 Euro Rente, während andernorts „abgewrackte Menschen“ lebten. Das neue Vergütungssystem für Vorstände, dem die Stammaktionäre wenige Stunden später zustimmen, begrüßt Sollmann deshalb. „Die Führungskräfte hatten schon immer eine Deckelung“ – so sei diese auch für Vorstände richtig.

„Die Aufarbeitung mit den betroffenen Kunden ist schlecht gelaufen.“
„Die Aufarbeitung mit den betroffenen Kunden ist schlecht gelaufen.“ © Benedikt Schippmann aus Osnabrück

„Ich erwarte, dass die Vorstände auch mal auf etwas verzichten“, empört sich eine Hannoveranerin. Ihren Namen will die 62-Jährige nicht in der Zeitung lesen, denn ihr Mann hat auch für VW gearbeitet. „Das hat mich im letzten Jahr maßlos geärgert. Sie haben auf etwa ein Drittel verzichtet, das sie sich später nachzahlen lassen.“ Die Aktionäre mussten sich unterdessen mit 17 Cent Dividende begnügen. Die Hannoveranerin hatte vor Bekanntwerden des Betrugs Aktien gekauft - und dann rund 100 000 Euro Verlust gemacht. Da tröstet auch die diesjährige Dividende von 2,06 Euro je Vorzugsaktie nicht.

Auf Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ist die Privatiere ebenfalls sauer: Wie die anderen Aufsichtsratsmitglied habe er „völlig versagt“. Wenn „die Kriegskasse nicht voll gewesen wäre, würden heute Chinesen hier sitzen“, ergänzt ihr Mann. Der 62-Jährige vermisst einen Abschlussbericht der US-Kanzlei Jones Day, die der Aufsichtsrat mit der internen Aufklärung beauftragt hat. „Unter Transparenz verstehe ich etwas anderes.“ Benedikt Schippmann aus Osnabrück berichtet von Bekannten, dass VW-Mitarbeiter auch mit der internen Kommunikation dazu unzufrieden seien.

Am Stand mit den Werbegeschenken laufen die Süßigkeiten laut einer Mitarbeiterin am besten. Sie sollen ja gut für die Nerven sein. Einig sind sich mehrere Kleinaktionäre aber auch darin, dass nicht nur Volkswagen betrogen hat. „Es wird vertuscht, wo man kann - nicht nur bei VW“, glaubt Gaulke. Möglich mache es die Gesetzgebung. „Die Bundesregierung bereitet das nicht auf.“ Das zeige, wer im Staat das Sagen habe: Großkonzerne. Volker Wesche ärgert unterdessen, dass die Politik sich bei der Abgas-Diskussion nur um Autos und nicht auch LKW kümmert. Die Strafzahlungen für VW in den USA hält er für zu hoch.

Trotz des Grolls eint die Aktionäre anscheinend auch die Zuversicht. Schippmann ist beeindruckt, wie erfolgreich VW bereits so kurz nach Bekanntwerden des Betrugs wieder ist. Auf dem Monitor im Hintergrund werden Milliardengewinne angezeigt. Doch der Student glaubt, dass lokale Märkte wie Deutschland einen Schaden davontrügen, gerade bei Kunden, die eine emotionale Bindung zu VW haben. Sammelklagen, wie sie etwa über das niederländische Recht versucht werden, begrüßt der 23-Jährige trotzdem. Sowohl seine Eltern als auch Großeltern sowie Freunde seien vom Abgas-Betrug betroffen. Mit der Kommunikation von VW seien sie nicht zufrieden, so hätten sich etwa immer wieder Termine zur Nachrüstung verschoben.

„Wenn VW Autos verkauft, schaffen wir das“, sagt Sollmann. Er hat das Gefühl, es sei erkannt worden, „was in Zukunft zu tun ist“. Selbst der wütende Hannoveraner ist optimistisch. Schließlich hätten einst die Japaner bei Roadstern die Nase vorn gehabt und später die Amerikaner bei SUVs – beide Male habe VW aufgeholt. Wesche, der mit 73 Jahren noch als selbständiger Ingenieur arbeitet, kritisiert hingegen, dass VW bei den alternativen Antrieben zu wenig auf Wasserstoff setze. Draußen packen die protestierenden Kunden ihre Schilder für „Gerechtigkeit im VW-Abgasskandal“ weg. Hinter dem Bündnis steckt Hartmut Bäumer (Grüne), unterstützt von den Betreibern der Plattform My-right.de, die nach eigenen Angaben für inzwischen rund 25 000 Kunden in Europa Entschädigung fordert, unter anderen Bäumer. Der frühere Spitzenbeamte und Richter ist zuversichtlich, dass sich viele andere Betroffene anschließen wird. Falls er sich bis dahin nicht mit VW einigen kann, will er in einem Jahr wieder zur Hauptversammlung kommen - als Aktionär. Dann könnte er sich einen Redebeitrag in der Halle sichern.