Wolfsburg. Weil nach Ansicht der Kommission Mitgliedsländer zu lasch auf Abgas-Verstöße reagiert haben, drohen diesen nun Verfahren.

Unser Leser Herbert Reinecke aus Braunschweig bemerkt:

Wann immer gesetzliche Regelungen auf die (Auto-) Industrie zukommen, greift der lange Arm der Lobbyisten zu und zieht die politische Führung zur Instruktion heran.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle

Volkswagen hat bei Millionen von Diesel-Fahrzeugen die Abgaswerte verfälscht. Wie konnte das passieren? Und schauen die Aufsichtsbehörden in den Mitgliedstaaten bei der Typgenehmigung wirklich hin? Die EU-Kommission hat offenbar große Zweifel. Brüssel will nun Konsequenzen aus dem Skandal ziehen: Deutschland und sechs anderen Staaten stehen Vertragsverletzungsverfahren bevor.

Die zuständige EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska hatte einen solchen Schritt bereits im September angedroht. Sie ist der Ansicht, dass einige EU-Mitgliedstaaten die europäische Abgasgesetzgebung aus dem Jahr 2007 nicht durchsetzen. Nun wird es mit Blick auf die EU-Verfahren offenbar konkret, wie der Europaabgeordnete Jens Giesecke (CDU) unserer Zeitung sagte. Gieseke ist als Berichterstatter des EU-Abgas-Untersuchungsausschusses nah am Thema dran. Die Kommission selbst will sich erst am Donnerstag äußern.

Für Jürgen Resch, den Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, kommt der Vorstoß von EU-Kommissarin Bienkowska zwar knappe zehn Jahre zu spät, „aber er kommt“, sagte Resch unserer Zeitung. Nicht nur VW, praktisch sämtliche Hersteller seien mittlerweile überführt. Die Umwelthilfe, aber auch das Bundesverkehrsministerium und das französische Umweltministerium hatten bei eigenen Test große Unterschiede zwischen Abgas-Werten auf dem Prüfstand und realen Werten auf der Straße festgestellt. Renault und Fiat schnitten mit einigen Diesel-Modellen besonders schlecht ab. Das sei ein klarer Beweis für Abschalteinrichtungen, sagte Resch.

Die EU-Kommission soll planmäßig an diesem Donnerstag ihre monatliche Entscheidungen zu Verfahren wegen Verletzung europäischen Rechts bekanntgeben. Das Bundesverkehrsministerium erklärte auf Anfrage lapidar: „Uns liegt dazu keine Mitteilung der EU-Kommission vor.“ Zur Kritik aus Brüssel wollte sich eine Sprecherin nicht äußern.

EU-Parlamentarier Gieseke erwartet neben einem Verfahren gegen Deutschland auch Konsequenzen für die Mitgliedsländer Großbritannien, Spanien, Griechenland, Tschechien, Luxemburg und Litauen.

Brüssel eröffnete regelmäßig Vertragsverletzungsverfahren, in den meisten Fällen enden sie in einer Einigung, sagte der Göttinger Europarechtler Alexander Thiele unserer Zeitung. In einem weiteren Schritt werde es womöglich zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof kommen, wenn die Staaten nicht einlenken. Im schlimmsten Fall hätten die Staaten mit einer Strafe von bis zu 20 Millionen Euro für die zurückliegenden Jahre zu rechnen. Hinzu kämen Tausende von Euro für jeden weiteren Tag, an dem die Mitgliedstaaten das EU-Recht nicht anwenden. Auch wenn eine solche Strafe finanziell nicht allzu schwer wiegen würden, sagte Thiele: „Die Sanktionen zeigen Wirkungen.“ Denn der Imageschaden sei enorm. Das sei zuletzt auch beim Verfahren zu Nachbesserungen bei der PKW-Maut so gewesen.

Die EU-Abgeordnete Rebecca Harms von den Grünen sagte unserer Zeitung zum geplanten Verfahren: „Es wird wirklich Zeit, dass die EU-Kommission wegen der Versäumnisse der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der europäischen Gesetzgebung zu Dieselemissionen aktiv wird. Viel zu lange haben die zuständigen Behörden die deutliche Überschreitung der Grenzwerte einfach hingenommen.“

Volkswagen hatte als bisher einziger Hersteller eingeräumt, mit einer speziellen Software Abgaswerte von Millionen Diesel-Wagen geschönt zu haben. Im normalen Verkehr stießen die Autos dann weit mehr Stickoxid aus als erlaubt. Die EU-Kommission hatte nach dem Skandal Berichte der nationalen Aufsichtsbehörden eingefordert. Die deutsche Antwort vom April schätzt sie als lückenhaft ein.

Um Abgaswerte zu schönen, hatte VW in großem Stil Abschalteinrichtungen eingesetzt. Diese sind aus Sicht der EU laut der Verordnung von 2007 verboten. Der Wolfsburger Konzern allerdings hatte erklärt, dass die Abschalteinrichtungen in den manipulierten Dieselmotoren in der EU nicht illegal gewesen seien: „Die in Fahrzeugen mit einem EA 189-Motor enthaltene Software stellt nach Auffassung von Volkswagen keine unzulässige Abschalteinrichtung nach europäischem Recht dar.“

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hält die EU-Regeln für unpräzise und dringt auf eine Verschärfung. Die EU-Kommission hält diese Kritik für unbegründet. Laut EU-Parlamentarier Gieseke will sie die anstehenden Verfahren damit begründen, dass Deutschland und die anderen Staaten nicht wirksam gegen Verstöße vorgegangen seien.

Gieseke hält den Vorstoß der EU-Kommission übrigens für verfrüht. Erste Ergebnisse des Abgas-Ausschusses lägen erst Mitte Januar vor. So lange hätte man auch noch warten können.