Wolfsburg. Der Zukunftspakt steht, doch in der wichtigen Phase für den Konzern geraten mächtige Akteure wegen des Abgasskandals immer wieder aneinander.

Unser Leser Horst Gerike aus Hannover fragt:

Sehen die Verantwortlichen bei VW eigentlich nicht, dass die Konkurrenten von diesem Durcheinander in der Konzernführung profitieren?

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Wolfsburg. Beim Genfer Autosalon präsentierte sich der VW-Konzern unter der Woche von seiner schönen, PS-starken Hochglanz-Seite. Hinter den Kulissen aber rumort es. Zum Teil tragen die Mächtigen im Konzern ihren Konflikt wegen des Abgasskandals auch auf offener Bühne bei Pressekonferenzen aus. Was seit dem Jahreswechsel an Wahrheiten, Spekulationen und Vorwürfen bei den Medien durchgesteckt wurde, um anderen im VW-Konzern zu schaden, ist in dieser geballten Form in der deutschen Industriegeschichte ziemlich einmalig. „Diesen Eindruck kann ich nachvollziehen. Und glauben Sie mir: Mich ärgert das sehr. Es muss doch möglich sein, dass bestimmte Themen erst einmal intern diskutiert und geregelt und nicht gleich in die Öffentlichkeit getragen werden, um Druck zu erzeugen“, sagte VW-Konzernchef Matthias Müller im Interview mit unserer Zeitung.

Die dunklen Wolken über dem Autoriesen scheinen sich zu lichten: Gerichtliche Auseinandersetzungen in den USA nach dem Abgasskandal hat VW beigelegt. Der Zukunftspakt, mit dem sich VW strategisch neu ausrichtet, steht. Zwischen VW-Markenchef Herbert Diess und Betriebsratschef Bernd Osterloh herrscht ein Burgfrieden. Und doch sind die Geschichten der vergangenen Monate noch sehr präsent, in denen es um beheizbare Koi-Teiche, Dumpingmieten, Abfindungen oder den israelischen Geheimdienst ging – statt um die wieder erfreulichen Absatzzahlen.

All dies sind Abfallprodukte, denn es geht im Kern um die Frage, wer wann was im Abgasskandal wusste. Die Nebengeräusche lassen den Konzern aber nicht zur Ruhe kommen. Über allem schwebt auf einmal wieder „der Alte“, VW-Patriarch und Großaktionär Ferdinand Piëch. Öffentlich schweigt Piëch, doch seine kolportierten Aussagen gegenüber Ermittlern genügen, um in Wolfsburg Panik zu verbreiten.

Das noch junge Jahr begann mit unschönen Geschichten über Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn. VW gönnte ihm neben einem Rekordgehalt angeblich auch eine Dumpingmiete für seine Luxusimmobilie in Groß Schwülper im Landkreis Gifhorn. Außerdem kümmerte sich der Konzern um ein extravagantes Hobby des Managers. Diese Geschichte wurde dem „Spiegel“ gesteckt. Offensichtlich, um Winterkorn zu kompromittieren.

Laut dem Magazin profitierte Winterkorn von der Billigmiete in Höhe von fünf Euro pro Quadratmeter, die ihm die VW Immobilien GmbH gewährte. Auf diesen Mietpreis kam die VW-Immobilienfirma angeblich, weil sie festhielt, dass Winterkorn nur gut die Hälfte der etwa 400 Quadratmeter großen Villa privat nutzte und die anderen Räume für die Bewirtung von Gästen des Konzerns zur Verfügung stellte. Winterkorn wohnte in der Villa mit seiner Frau Ursula, war wegen seiner durchschnittlichen 70-Stunden-Woche und seinen vielen Dienstreisen aber kaum zu Hause. Auf die fünf Euro Miete kommt man jedoch nur, wenn die kompletten 400 Quadratmeter herangezogen werden. Da Winterkorn aber nur etwa die Hälfte der Villa nutzte, liegt sein tatsächlicher Mietpreis bei neun oder sogar zehn Euro, wie unsere Zeitung erfuhr.

Zu diesen Vertragsdetails und auch zu den Kois wollte sich ein VW-Sprecher nicht äußern. Dass die VW-Immobilienfirma für 60 000 Euro eine Heizanlage in den Gartenteich einbauen ließ, sorgte für Aufsehen und passte zu gut ins Bild eines nimmersatten Top-Managers. Winterkorn hielt im Gartenteich seine Kois. Diese Fische reagieren empfindlich auf plötzliche Temperaturstürze.

Wenige Tage zuvor sorgte Winterkorn wegen seiner üppigen Betriebsrente für Schlagzeilen. Er bekommt 3100 Euro – pro Tag.

Autokrat Ferdinand Piëch soll sich auf dem Rachefeldzug befinden

Ebenfalls im Januar wurde publik, dass Ex-Aufsichtsratschef Piëch bereits Wochen zuvor, am 16. Dezember, vor der Staatsanwaltschaft Braunschweig zum Abgas-Skandal aussagte und neben Winterkorn auch mehrere Aufsichtsratsmitglieder belastet haben soll. Vom „Rachefeldzug“ war schnell die Rede, vom abservierten Autokraten, dessen Aussagen zu weiteren Milliardenzahlungen führen würden – vielleicht sogar in einer Höhe, wegen der VW zerschlagen werden könnte.

Der Staatsanwaltschaft Braunschweig, so schrieben „Bild am Sonntag“ und die „Süddeutsche Zeitung“, habe Piëch erzählt, dass er im Februar 2015 von den Diesel-Abgasproblemen in den USA erfahren haben soll – von zwei israelischen Ex-Geheimdienstlern. Avi Primor, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, hat Piëch mit den Ex-Geheimdienstlern an diesem Tag im Februar 2015 bekanntgemacht.

„Süddeutsche“ und „Bild am Sonntag“ schrieben, dass Piëch an diesem Tag bereits von den Abgasmanipulationen, vom Betrug also, erfahren haben soll. Nach Informationen unserer Zeitung stimmt das so nicht. Piëch wusste allenfalls von Abgas-Problemen. Dass daraus ein Skandal mit elf Millionen betroffenen Autos weltweit und bis heute über 20 Milliarden Euro an Strafen und Umrüstungskosten werden würde, war damals noch nicht abzusehen.

Auch unsere Zeitung hörte schon vor Monaten, dass es eine Verbindung zwischen VW und dem israelischen Geheimdienst gegeben haben soll. Zu absurd, zu abenteuerlich erschien das. Heute weiß man: Beim Abgasskandal ist nichts unmöglich.

Piëch soll seine Informationen im Februar 2015 aus einem Dokument erhalten haben, das die Ex-Geheimdienstler, die Primor begleiteten, bei sich führten. Es soll sich um ein Schreiben der kalifornischen Umweltbehörde Carb vom 27. Januar 2015 an VW handeln. Darin soll die Drohung enthalten sein, dass VW-Fahrzeuge keine Zulassung für das Modelljahr 2016 bekommen würden.

Staatsanwalt: Es gibt Spatzen, die etwas von den Dächern pfeifen

Der Brief versetzte Piëch in Alarmstimmung. Nur wenige Tage später, am Rande des Genfer Autosalons, soll er Winterkorn darauf angesprochen haben. Dieser beschwichtigte jedoch offenbar. Piëch soll nicht locker gelassen haben und auch Aufsichtsratsmitglieder in Einzelgesprächen informiert haben. Das Präsidium bestand damals aus Betriebsratschef Bernd Osterloh, dem Ex-IG-Metall-Chef Bertold Huber, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Piëchs Cousin Wolfgang Porsche. Sie alle haben die jüngsten Berichte dementiert, jemals von Piëch über den Betrug informiert worden zu sein. Ministerpräsident Weil gab sogar eigens eine Pressekonferenz, sprach entrüstet von „Fake News“. Er deutete einen Rachefeldzug Piëchs als Grund für die Behauptung an, ihn über den Diesel-Betrug informiert zu haben.

Dieser Verdacht steht jetzt im Raum, weil Zeitungen darüber berichteten, obwohl Piëch selbst im Februar/März noch gar nichts vom vollen Ausmaß des Abgas-Skandals wusste. Doch woher erfuhren die Medien überhaupt von der Aussage Piëchs vor der Staatsanwaltschaft Braunschweig? Gibt es eine undichte Stelle bei VW? Haben Piëch oder seine Anwälte Geschichten lanciert? Oder gibt es womöglich sogar bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig ein Leck?

Letzteres ist ein Gerücht, das sich durch nichts erhärten lässt. Auf Anfrage wies Klaus Ziehe, der Sprecher der Staatsanwaltschaft, dies weit von sich. Er sagte: „Es gibt keinerlei Hinweise darauf. Die Erfahrung aus dem ersten VW-Verfahren 2005 lehrt vielmehr, dass bisweilen Verfahrensbeteiligte außerhalb der Justizbehörden Informationen an die Presse geben, wenn es ihrer Interessenlage dienen könnte.“ Mit dem ersten VW-Verfahren meint Ziehe die Korruptionsaffäre um den Ex-Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert.

Ziehe ist sich also durchaus bewusst, dass die Beteiligten auch im aktuellen Skandal ihr eigenes Süppchen kochen. Er sagte: „Es gibt immer wieder Spatzen, die irgendetwas von den Dächern pfeifen. Wir lassen uns aber nicht aus der Reserve locken, denn das Ermittlungsverfahren ist nicht öffentlich.“

Wie unsere Zeitung erfuhr, erhalten die Verteidiger der 37 Beschuldigten im Betrugsverfahren in wenigen Monaten Akteneinsicht von der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Womöglich geschieht das schon im Frühjahr. Dann erfahren Martin Winterkorn und all die anderen, was zum Beispiel Piëch tatsächlich über sie ausgesagt hat. Es dürfte wenig überraschen, wenn dann weitere Einzelheiten an die Öffentlichkeit gelangen. Dem Konzern schaden diese Indiskretionen, wie unser Leser richtig feststellt. Das Ausmaß lässt sich schwer beziffern.

VW wird noch eine ganze Weile die Schlagzeilen beherrschen. Doch dafür sorgt der Konzern auch selbst. Erinnert sei an die Trennung von Vorstandsfrau und Ex-Ethik-Chefin Christine Hohmann-Dennhardt. Auch diese ist erst wenige Wochen her. Frau Hohmann-Dennhardt saß gerade mal ein Jahr lang bei VW im Vorstand. Die ehemalige hessische Justizministerin sollte dafür sorgen, dass sich der Konzern ethisch einwandfrei verhält – Compliance heißt das heute. Nach 13 Monaten hatte sie keine Lust mehr, vielleicht gab es Ärger, ganz genau weiß man es nicht. Jedenfalls hat sie VW verlassen, mit 12 Millionen Euro als Abfindung. „Hohmann-Deinhard“ nennen Spötter sie seitdem – nach der Sektmarke.