Braunschweig. Der VW-Konzernchef spricht im Interview über die Aufarbeitung des Abgasskandals, Mitbestimmung und die Ära Piëch-Winterkorn.

VW-Konzernchef Matthias Müller landet mit dem Flugzeug am Braunschweiger Flughafen. Gerade hat er beim Genfer Autosalon die VW-Modelle der Zukunft präsentiert. Doch in der Gegenwart muss er nicht nur neue Autos entwickeln, sondern das gesamte Unternehmen reformieren. Von den Herausforderungen berichtete er Armin Maus und Christina Lohner.

Seit eineinhalb Jahren sind Sie nun Vorstandschef in Wolfsburg. Wie geht es Ihnen in der Region?

Ich habe mich schon in meiner ersten Zeit hier wohlgefühlt – und das ist jetzt wieder so. Beruflich ist Wolfsburg meine Heimat. Das ist natürlich geprägt von den Herausforderungen dieser Aufgabe. Die Aufarbeitung der Vergangenheit fällt nicht immer leicht, weil sie mit sehr vielen negativen Botschaften in der Öffentlichkeit verbunden ist. Aber Sie haben ja gesehen, dass wir 2016 betriebswirtschaftlich sehr erfolgreich waren, mit vielen tollen Fahrzeugen aller Marken. Das macht natürlich Riesenspaß, genauso wie den Konzern für die Zukunft zu reformieren. Aber für mich gilt immer: Das Glas ist mindestens halb voll, nicht halb leer.

Sie wandeln VW auch zum Mobilitätsdienstleister. Gerade haben Sie die Studie Sedric vorgestellt, voll autonom und elektrisch angetrieben. Wann kann man in unserer Region damit fahren?

Wenn ich Ihnen diese Frage beantworten könnte, wäre ich Hellseher. Wir haben jetzt mal einen ersten Schritt gemacht, wie so ein selbstfahrendes Auto aussehen könnte, damit die Menschen ein Gefühl dafür bekommen. Die Reaktionen auf Sedric waren sehr positiv. Wir glauben an das Potenzial des vollautomatisierten Fahrens. Aber solch ein technologischer Paradigmenwechsel vollzieht sich nicht über Nacht. Wir werden zunächst mit Pilotprojekten und Kleinstserien starten, voraussichtlich in Hamburg, weil wir dort eine Mobilitätspartnerschaft haben. Wenn wir dann erste Lösungen haben, kann man das auch in Wolfsburg ausprobieren. Da liegt uns Niedersachsen natürlich sehr am Herzen. Aber das Ganze ist eine Evolution, die sich wahrscheinlich über zwei, drei Jahrzehnte hinziehen wird. Auch, weil es noch einige rechtliche, technische und ethisch-moralische Fragen zu klären gibt.

Wie groß ist denn die Bereitschaft der Fahrer? Laut Studien gibt es eine große Skepsis.

Das ist für jeden von uns natürlich eine neue Erfahrung. Aber wir setzen uns auch in ein Flugzeug und lassen uns überwiegend per Autopilot von A nach B fliegen. Da ist Aufklärungsarbeit zu leisten, nur so kann Vertrauen wachsen. Das ist mit der Elektromobilität ganz ähnlich. Wir sind hier vielleicht noch etwas reservierter als andere Länder. Das liegt natürlich noch an den Themen Preis, Reichweite und Infrastruktur. Aber daran arbeiten wir intensiv. Ich bin auch irgendwann elektrisch gefahren – und habe gemerkt, das macht richtig Spaß (lacht).

War es ein Porsche?

Ja, das mag geholfen haben. Aber das ist nicht der Maßstab. Es geht uns um individuelle Mobilität, die zum Leben der Menschen und ihren Bedürfnissen passt. Das kann auch ein Kleinwagen wie der up! sein, den ich auch regelmäßig fahre. Ich glaube, wir Manager tun gut daran, am ganz normalen Leben teilzunehmen und den Blick für den Alltag der meisten Menschen nicht zu verlieren.

Warum sind Sie überzeugt, dass sich die E-Mobilität durchsetzt? Es gibt ja auch Skeptiker.

Wie gesagt: Elektroautos machen unheimlich viel Spaß. Wenn die Reichweite steigt und der Preis weiter sinkt, werden sich immer mehr Menschen dafür entscheiden. Für uns als Unternehmen ist die E-Mobilität sehr wichtig, um die immer anspruchsvollen politischen CO2-Vorgaben erfüllen zu können. Dadurch werden die Verbrennungsmotoren in den nächsten Jahren technisch aufwendiger und damit teurer. Irgendwann gibt es einen Punkt, an dem sich das Kundenverhalten ändern wird – wenn ein Elektroauto so viel kostet wie ein Diesel.

Das hat auch Folgen für die Arbeitsplätze in der Region. Wird es eine Batteriezellenfertigung in Salzgitter geben?

Unsere Branche steht vor einem fundamentalen Strukturwandel. Pauschal betrachtet hat ein E-Auto einen Wertschöpfungsanteil von etwa 70 Prozent eines Autos mit Verbrennungsmotor. Also fällt zunächst einmal Arbeit weg – gleichzeitig entstehen aber neue, andere Aufgaben. Die Marke VW hat im Zukunftspakt verabredet, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen. Gewisse Arbeitsplätze, etwa in der Motorenfertigung, werden entlang der demografischen Kurve abgebaut. Gleichzeitig ersetzen wir alte durch neue Arbeitsplätze, etwa in der Digitalisierung.

Das Thema Batterie wird in diesem Zusammenhang gern herausgehoben. Eine Zellfertigung ist in Deutschland aber schwierig, weil hier die Energiekosten so hoch sind. Wir wollen uns erst einmal mit der Batterietechnik vom Rohstoff bis zur Fertigung beschäftigen und Defizite aus der Vergangenheit aufholen, in der sich Deutschland insbesondere zu wenig um die Zellchemie gekümmert hat. Dazu dient dieses Pilotprojekt in Salzgitter, zu dem viel Entwicklung und Forschung gehören. Heute montieren wir die Batterien in Braunschweig.

In fernerer Zukunft müssen wir überlegen, ob wir die Fertigmontage nicht dorthin verlegen, wo die Autos gebaut werden. Denn die Batterien sind sehr groß und schwer, wodurch zusätzliche Transportkosten entstehen. Wenn wir uns mit der Transformation und den Auswirkungen auf die Arbeitsplätze frühzeitig beschäftigen, wie wir es jetzt begonnen haben, werden wir das Thema auch gut managen können. Da haben wir anderen Unternehmen etwas voraus, denn in den nächsten Jahren muss sich die gesamte Automobilindustrie damit intensiv auseinandersetzen.

Die kurz- und mittelfristige Perspektive hat noch viel mit Verbrennungsmotoren zu tun. Warum wird hier so defensiv kommuniziert?

Ich habe gerade auf den Automobilsalon in Genf wieder sehr klar gesagt, dass uns die Verbrennungsmotoren noch mindestens 20 Jahre begleiten werden. Wir werden sie weiter verbessern und immer effizienter machen. Derzeit wird Stimmung gegen den Diesel gemacht. Wir müssen da mehr Aufklärungsarbeit leisten, denn das ist eine tolle Technologie. Autos, die die Abgasnorm EU 6 erfüllen, sind hochmodern und sauber. Und ich möchte anfügen: Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge in Innenstädten, wie sie etwa in Stuttgart geplant sind, halte ich für das falsche Instrumentarium. Wir müssen die Diskussion wieder versachlichen.

Beim Zukunftspakt flammte erneut ein öffentlicher Konflikt zwischen VW-Markenchef Herbert Diess und Betriebsratschef Bernd Osterloh auf. Woran liegt das?

Dass Vorstand und Betriebsrat in so einem Veränderungsprozess um den besten Weg ringen, ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Unterschiedliche Auffassungen unter den Teppich zu kehren, bringt nichts. Schädlich ist nur, wenn solche Dinge in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Es geht darum, dass wir konstruktiv und sachlich zu Ergebnissen kommen, die gut sind fürs Unternehmen und die Belegschaft. Dafür steht der Zukunftspakt, den die Beteiligten jetzt mit Nachdruck umsetzen.

Also kein Grundkonflikt?

Nein, den sehe ich nicht. Volkswagen ist ein mitbestimmtes Unternehmen. Und es gibt im Management überhaupt keinen Zweifel, dass wir diese Mitbestimmung bei allen relevanten Entscheidungen zu berücksichtigen haben.

Bei wohl keiner anderen deutschen Firma wird so durchgestochen.

Den Eindruck kann ich nachvollziehen. Und glauben Sie mir: Mich ärgert das sehr. Es muss doch möglich sein, dass bestimmte Themen erst einmal intern diskutiert und geregelt und nicht gleich in die Öffentlichkeit getragen werden, um Druck zu erzeugen. Das gilt übrigens für alle Seiten, ich schaue da niemanden an.

Scheinbar gibt es an verschiedenen Stellen verschiedene Kreise, die versuchen, so Politik zu betreiben. Was kann ein Vorstandsvorsitzender dagegen tun?

Zum einen, dass meine unmittelbare Umgebung und ich uns anders verhalten und so ein Beispiel geben. Zum anderen habe ich als Konzernchef auch sicher eine gewisse Mediatorenfunktion und suche das direkte Gespräch, wenn ich solche Zusammenhänge erkenne.

Sie gehen nicht in die Öffentlichkeit – das hat Ihnen allerdings den Vorwurf eingebracht, Sie hätten zu wenig eingegriffen.

Ich habe das zur Kenntnis genommen. Aber wie ich schon sagte, bin ich eher dafür, die Dinge erst einmal intern anzusprechen. Und Sie können sicher sein: Genau das mache ich. Grundsätzlich stehe ich dafür, dass ich den Konzern dezentralisieren möchte. Wenn jede Entscheidung in Wolfsburg vom CEO getroffen wird, entsteht ein riesiger Entscheidungsstau. So kann man solch einen Konzern in den aktuellen Zeiten nicht mehr führen. Wir müssen mehr Verantwortung abgeben. Deshalb hat die Marke VW ja auch einen eigenen Vorstandsvorsitzenden.

Wenn zwischendurch wieder Situationen entstehen, in denen ich glaube, eingreifen zu müssen, werde ich das aber tun. Ich denke, dass ich schon ein Gespür habe, wann dafür der richtige Zeitpunkt ist.

Volkswagens Struktur ist auch auf der Arbeitnehmerseite zentralistisch. Wer ist eigentlich der natürliche Gesprächspartner von Herrn Diess? Wäre die Marke VW ein eigenes Unternehmen, gäbe es das Problem so wohl nicht.

Der Betriebsrat hat die neuen Strukturen des Konzerns aktiv mitgestaltet. Herr Osterloh und ich sind uns einig, dass man weiter darüber sprechen muss, wie wir die Organisationen und Verantwortlichkeiten auf beiden Seiten erfolgreich weiter dezentralisieren. Ich weiß, dass auch er seine Vorstellungen hat, wie er Verantwortungen neu verteilt. Das ist aber seine Angelegenheit und Aufgabe. Da werde ich mich nicht einmischen. Er führt den Betriebsrat. Ich das Unternehmen. Und gemeinsam wollen wir das Bestmögliche für Volkswagen erreichen.

Wann kommt der Monitor, der vom US-amerikanischen Justizministerium für Volkswagen entsandt wird?

Wir hoffen, dass er in Kürze benannt wird. Auf unserer Seite laufen die Vorbereitungen bereits auf Hochtouren. Der Monitor wird hier eine Organisation vorfinden, die ihm zuarbeitet, geleitet vom Vorstandsressort für Integrität und Recht.

Wie viele Mitarbeiter sind das?

Das hängt von den Ansprüchen des Monitors ab. Im Moment ist das eine Handvoll, aber da müssen wir flexibel sein.

Sie halten das Unternehmen also in dieser Form für reformfähig.

Das beweisen wir jeden Tag. Wir haben sowohl im Konzern als auch bei der Marke schon sehr viel reformiert. Der Konzernvorstand hat sich personell erneuert und verschlankt. Wir haben die Marken gruppiert und den Konzernvorständen zugeordnet. Wir haben das neue Vorstandsressort „Integrität und Recht“ geschaffen, eine ganz wichtige Entscheidung. Und wir werden auch in diesem Jahr Bürokratie abbauen, unsere Strukturen weiter verbessern, dezentraler und schlanker gestalten.

Es ist nun mal so, dass die Marke VW betriebswirtschaftlich schwach war. Natürlich muss man das in Angriff nehmen, das sehen alle Beteiligten im Unternehmen übrigens genauso. Es ist meiner Ansicht nach nicht damit getan, in die Fabriken zu gehen und zu sagen, ihr müsst schneller arbeiten. Ich plädiere dafür, die gesamte Wertschöpfungskette zu optimieren. Übrigens betrifft das alle Marken und uns in den Konzernfunktionen.

Dafür haben Sie auch viele Vorschläge aus der Belegschaft bekommen, die auf die Umsetzung warten.

Nicht mehr viele. Die Vorschläge hat mir Bernd Osterloh am ersten oder zweiten Arbeitstag überreicht. Die kleineren Themen sind weitestgehend abgearbeitet, und an den großen Dingen sind wir dran. Diese finden sich teilweise auch im Zukunftspakt der Marke wieder. Spätestens bis Ende des Jahres wird das abgearbeitet sein. Es gibt allerdings Themen, die sich nicht über Nacht lösen lassen, weil sie sich über Jahrzehnte entwickelt haben; zum Beispiel die Plattformstrategie, die früher sehr diszipliniert eingehalten wurde. Die Baukastenstrategie sollte dann mehr Flexibilität bringen, das ist aber leider mit der Zeit aus dem Ruder gelaufen. Daran müssen wir intensiv arbeiten und wieder zu unseren Tugenden zurückkehren.

Gleichzeitig fordern Sie Dezentralisierung, Entscheidungen bei den Marken. Da gibt es neben dem Entwicklerstolz auch die Notwendigkeit, auf Kundenwünsche in bestimmten Marktsegmenten einzugehen. Wie bekommt man das unter einen Hut?

Die Frage ist berechtigt. Das ist Teil des kulturellen Wandels. Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn haben vieles richtig gemacht zu ihrer Zeit und großen Erfolg gehabt, aber eben auch Entscheidungen getroffen, die heute nicht mehr zukunftstauglich sind. Beispielsweise hatten sie zwar eine Plattformstrategie, aber gleichzeitig wurde der Wettbewerb unter den Marken gefördert. Das hat dazu geführt, dass bestimmte Marken nicht mehr willens waren, zusammenzuarbeiten. Ich will hier einen Neubeginn. Wir stellen die Uhren auf Null, setzen uns jetzt an einen Tisch und versuchen, die Dinge gemeinsam zu gestalten. Nicht umsonst heißt unsere neue Strategie „Together“. Aber das geht nicht auf Knopfdruck.

Die Verbesserungen gehen in den Streitigkeiten in der Öffentlichkeit unter – ist das frustrierend?

Ja, klar. Beim Dieselthema zum Beispiel ist im vergangenen Jahr von der ganzen Mannschaft ein super Job gemacht worden, und wir haben mit dem KBA und den amerikanischen Behörden sehr konstruktiv zusammengearbeitet. Das geht vor diesem Hintergrund dann leider ein wenig unter.

Es gab die Forderung, gegen Herrn Piëch rechtlich vorzugehen.

Wir als Konzernvorstand und ich persönlich werden weiter alles tun, damit Volkswagen vor Schaden geschützt wird. Aber wir sprechen hier über komplexe rechtliche Sachverhalte. Schnellschüsse sind nicht zielführend. Daher prüfen wir sehr sorgfältig, was zu tun ist.

Dadurch entsteht allerdings der schädliche Eindruck, dass VW die Aufklärung nicht mit letzter Konsequenz betreibt.

Das stimmt aber eben nicht.

Die Glaubwürdigkeit ist aber unter Druck. Die evangelischen Kirchen zum Beispiel machen sich zurzeit Gedanken, ob man VW als Sponsor haben darf.

Ich kann die Diskussion zunächst einmal nachvollziehen. Bevor man zu so einem Urteil kommt, sollte man aber das „Statement of Facts“ lesen, das ja im Internet jedem zugänglich ist. Dieses Dokument hat niemand Geringeres veröffentlicht als das amerikanische Justizministerium – auf der Basis einer mehr als einjährigen Recherche mit Millionen von Dokumenten und tausenden Interviews. Es gibt keinen Anlass, das Ergebnis in Zweifel zu ziehen.

Ich werde mich jedenfalls weiter dagegen verwahren, dass ein ganzes Unternehmen für kriminell erklärt wird. Die Kritik an Volkswagen ist – nach allem, was passiert ist – nachvollziehbar, berechtigt und okay. Damit müssen und damit können wir leben. Schmähungen oder Versuche, unser Unternehmen in seiner Existenz zu gefährden, müssen wir aber nicht hinnehmen. Und wir werden sie auch nicht hinnehmen.

Wie erklärt man den Kunden, dass die bisherige Ethik-Chefin Christine Hohmann-Dennhardt für ein Jahr Arbeit noch einmal zwölf Millionen Euro erhält?

Wenn es so wäre, könnte man das sicher schwer erklären. Aber so war es nicht. Der überwiegende Teil dieser Summe resultierte aus Ansprüchen aus dem Vertrag mit ihrem vorherigen Arbeitgeber. Dieser wurde auf unseren Wunsch vorzeitig aufgelöst für den Wechsel zu Volkswagen. Und die dann geschlossenen Verträge sind nun mal einzuhalten. Man kann sicher lange streiten, ob solche Beträge in Ordnung sind, auch unsere Vorstandsbezüge. Ich werde als CEO gut bezahlt. Und ich weiß, dass solche Summen für die meisten Menschen unerreichbar sind. Natürlich kann man sich den Kopf zerbrechen, ob die neue rechnerische Obergrenze von zehn Millionen Euro richtig ist – oder ob es besser acht oder fünf Millionen sein sollten. Wer will darüber befinden?

Wer befindet darüber, ob die Bezahlung eines Profifußballers oder eines Popstars angemessen ist? Man muss auch die Verantwortung der Menschen in solchen Positionen sehen. Wir tragen hier Verantwortung für 620 000 Mitarbeiter weltweit. Und wir sind überzeugt, dass mit dem neuen Vergütungssystem bei Volkswagen eine gute Lösung gefunden wurde, die auch unserer Verantwortung in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte gerecht wird.

Auch die Frage der Entschädigung bringt die Volksseele aktuell wieder zum Kochen. Warum geht VW in Europa anders damit um als in Amerika?

Entscheidend ist: Wir müssen uns als Unternehmen in jedem Land, in dem wir agieren, rechtskonform verhalten. In der europäischen Rechtsordnung gibt es ein Recht auf Nachbesserung. Dieses räumen wir unseren Kunden ein und bieten Rückrufaktion an, die die Autos wieder in Ordnung bringen. Unsere Kunden nehmen diese Rückrufe in großer Zahl an und reagieren sehr positiv darauf. In Amerika sind die Gesetze ganz anders und auch die technischen Probleme waren andere. Die beiden Dinge sind insofern nicht vergleichbar.

Was halten Sie von einer symbolischen Entschädigung?

Wir machen uns das wahrlich nicht leicht, diskutieren und wägen ab. Als Unternehmen müssen wir aber auch die rechtliche Situation und die Gesamtlage betrachten. Insgesamt müssen wir doch feststellen, unsere Händler machen weltweit derzeit einen Riesenjob, sie stehen im direkten Austausch mit den Kunden und die Zahlen der schon durchgeführten Umrüstungen beweisen mir, die Kunden sind mit diesen Maßnahmen einverstanden. Mehr als 3,9 Millionen Volkswagen Kunden haben bislang bereits ihr Fahrzeug umgerüstet, wöchentlich kommen 250 000 hinzu. Das zeigt eindeutig: unsere Maßnahmen werden anerkannt.

Wie geht es mit den schwierigen Märkten Nord- und Südamerika sowie Russland weiter, auch vor dem Hintergrund, dass der US-Präsident mit Schutzzöllen droht?

Wir stehen als globales Unternehmen mit Produktionsstätten auf der ganzen Welt für Freihandel. Wenn sich das durch den Brexit, grassierenden Protektionismus oder ein Auseinanderbrechen Europas verändern sollte, wird das unsere Position zweifellos schwieriger machen. Der andere Aspekt ist die volkswirtschaftliche Schwäche in bestimmten Regionen wie in Südamerika. Unser Unternehmen hat darauf mit einem Restrukturierungsprozess reagiert. Unsere Situation in Indien könnte besser sein, das muss man bearbeiten. Es gibt außerdem Regionen auf der Welt, die überhaupt noch nicht auf dem Schirm von VW waren, wie etwa der Nahe Osten. Da ergreifen wir jetzt die Initiative. In China dagegen sind wir sehr erfolgreich. Auch in Amerika werden wir wieder erfolgreich sein, wenn wir das Vertrauen der Behörden, Händler und Kunden zurückgewinnen. Und wir sind auf einem guten Weg.

Vor Trump haben Sie also keine Furcht?

Wir haben in Chattanooga gerade 900 Millionen Dollar investiert und viele neue Arbeitsplätze geschaffen. Daran lässt sich klar ablesen, dass für uns der amerikanische Markt ein strategischer Markt ist. Wir produzieren auch seit langem in Mexiko, als Teil unserer Region Nordamerika. Man sollte aber auch gelassen bleiben. Die neue Regierung ist erst seit 2 Monaten im Amt. Und sie muss nun entscheiden, welches der beste Weg für Amerika im Rahmen einer hochvernetzten Weltwirtschaft ist.

Welche Rolle spielt Afrika künftig?

In Südafrika sind wir seit vielen Jahrzehnten etabliert. In Kenia haben wir nun ein kleines, feines Werk eröffnet. Das muss man Schritt für Schritt ausrollen. Das hängt natürlich auch von den politischen Gegebenheiten ab. Ruanda etwa war vor zehn Jahren Kriegsgebiet, heute ist es eines der aufstrebenden Länder in Afrika. Deshalb müssen wir schauen, was wir dort machen können.

Wie sehen Sie in China die Perspektive?

Wichtig ist zunächst einmal, dass die Volkswirtschaft stabil bleibt, dann entwickelt sich auch der Automarkt positiv. Auf der anderen Seite gibt es große Probleme mit der Luftreinheit. Wobei das nicht nur ein Problem des Autoverkehrs ist, sondern zum Beispiel auch der Kohlekraftwerke. Für die progressive Gesetzgebung versuchen wir, nun Lösungen zu finden. Dabei ist es Teil unseres Kulturwandels, dass wir uns für neue Partnerschaften öffnen. So denken wir etwa über ein weiteres Partnerunternehmen mit dem chinesischen Autohersteller JAC nach, der uns helfen könnte, bei preiswerten Elektroautos schnell voranzukommen.

Eine Abhängigkeit vom chinesischen Markt sehen Sie nicht?

Im letzten Jahr haben wir von zehn Millionen Fahrzeugen vier Millionen in China verkauft. China ist für uns also sehr wichtig – und ich bin froh, dass wir den Markt so frühzeitig erschlossen haben.

Ich frage mich aber schon, warum uns das nicht in anderen Regionen in gleicher Weise gelingt. Es ist jetzt eine Aufgabe, aus Volkswagen einen wirklichen Global Player zu machen.

Sie haben bereits gesagt, dass Sie keine Sorge haben, dass der Zusammenschluss von PSA und Opel den europäischen Markt verändert.

Wir haben Peugeot und Opel immer als Wettbewerber respektiert und tun das auch in der neuen Konstellation. Aber wir richten den Blick vor allem auf uns selbst und wollen mit unserer Zukunftsstrategie nach vorne fahren. Auf andere zu schielen, bringt da nicht viel.

Apropos Tabellenplatz – wie viel Rückhalt hat das Engagement für den VfL Wolfsburg beim Vorstandsvorsitzenden?

Viel. Der VfL genießt ganz großen Rückhalt bei uns. Klar, die Entwicklung seit Ende der letzten Saison ist alles andere als

befriedigend. Jetzt heißt es, den Klassenerhalt zu sichern, um in der nächsten Saison den Blick wieder nach vorne richten zu können.

Und wie sehen Sie die Entwicklung der Autostadt?

Sie ist ein Juwel, das nicht mehr wegzudenken ist. Es gibt da noch viele evolutionäre Weiterentwicklungsmöglichkeiten.