Genf. Die Marke VW zeigt in Genf, wie sie die Mobilität in den nächsten Jahren gestalten will.

Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? So wie an diesem Morgen kann es jedenfalls nicht weitergehen. Das Pendlergrauen, das sich allmorgendlich zwischen Braunschweig und Wolfsburg abspielt, findet sich rund um den Globus. So auch auf der Schweizer Autobahn 1 zwischen Lausanne und Genf. Schon 20 Kilometer vor Genf stockt, stottert und steht der Verkehr immer wieder, während der Wind nassschwere Schneeflocken gegen die Windschutzscheibe peitscht. Um jeden Meter wird gerungen. Was hier wie fast überall auffällt: In den allermeisten Autos sitzt nur der Fahrer im Auto. Was für eine Verschwendung.

Ist das die Zukunft der Mobilität? Ganz bestimmt nicht – das ist die Vorstufe zum finalen Verkehrskollaps. Deshalb arbeiten viele Autobauer – unter ihnen VW – an künftigen Mobilitätskonzepten. Wie sich die Menschen ab etwa 2025 fortbewegen könnten, zeigt die Studie Sedric des VW-Konzerns. Dieses Gefährt fährt vollständig eigenständig, rein elektrisch und ist mit dem Internet vernetzt. Sedric erinnert mehr an ein Zugabteil oder – besser noch – an eine kuschelig-komfortable Seilbahn-Gondel denn an ein Auto. Die Passagiere sitzen sich gegenüber und müssen sich nicht auf den Verkehr konzentrieren, sondern können arbeiten, lesen, spielen oder gar dösen. Wo beim Sedric vorne und wo hinten ist, verrät erst der zweite Blick.

Doch bei der Mobilität der Zukunft geht es nicht nur um das Gefährt. In Ballungsräumen könnte der Besitz eines Autos überflüssig werden, wenn Fahrzeuge wie eben der Sedric per App kurzfristig geordert werden können und dann Passagiere mit dem gleichen Ziel einsammeln. Mobilitätsdienstleistungen, angeboten von Autobauern, gelten daher als sehr ernstzunehmendes Geschäftsmodell – auch bei Volkswagen. Diese Zukunft hat schon begonnen.

Ein Zwischenschritt könnten Autos wie die Studie I.D. Buzz von Volkswagen sein, die in Genf erstmals in Europa präsentiert wird. Dieses Auto ist in etwa so groß wie der aktuelle VW-Bus (T6), verfügt aber über ein großzügigeres Raumangebot und fährt zumindest teilautonom. Die hintere Sitzbank lässt sich auf Schienen frei nach vorne und hinten verstellen, ebenso wie die Vordersitze, die sich zudem drehen lassen. Auch die Mittelkonsole samt integriertem Tablet kann verschoben und als Tisch genutzt werden. Das Tablet-förmige Lenkrad versinkt auf Knopfdruck im sonst instrumentenfreien Armaturenbrett. Der Rückspiegel zeigt Bilder aus dem Innenraum, von außen und die Navi-Karte.

Angetrieben wird dieser Kleinbus von zwei Elektromotoren, die über den Achsen platziert sind und im Verbund sportive 374 PS leisten. Das Batteriesystem ist im Unterboden integriert. Mit einer Ladung soll der I.D. Buzz 600 Kilometer schaffen. 30 Minuten Ladezeit sollen weitere 450 Kilometer ermöglichen.

VW-Markenchef Herbert Diess zeigte gestern Morgen auf dem rund 2760 Quadratmeter großen Messestand in Genf aber auch, wie die Wolfsburger im Hier und Jetzt Marktanteile gewinnen wollen. So setzt die Konzern-Kernmarke unter anderem auf den aktuellen SUV-Trend. Geländelimousinen verkaufen sich rund um den Globus wie geschnitten Brot – das gilt auch für den Tiguan aus Wolfsburg. Der bekommt nun einen größeren, siebensitzigen Bruder, der in Mexiko produziert und in Europa unter dem Namen Tiguan Allspace verkauft wird.

Eine weitere in Genf vorgestellte Neuheit ist der Arteon. Dieses Coupé, das im Werk Emden gebaut wird, ist das neue Spitzenmodell der Marke Volkswagen. Es löst den CC ab, wird aber oberhalb der Passat-Klasse platziert. Dennoch gilt der Arteon nicht als Nachfolger des bisherigen Topmodells Phaeton, der nicht mehr produziert wird.

Diess beschwor – auf Englisch, so will es der neue VW-Internationalisierungskurs – den Erfolg, den die Marke trotz Abgas-Betrugs im vergangenen Jahr erzielt hat. Sechs Millionen verkaufte Autos stehen für einen Zuwachs von 2,8 Prozent. Auch bei ihren Sparzielen sei die Marke vorangekommen, allein in Deutschland seien die Kosten um 300 Millionen Euro gesenkt worden. Diess kündigte weiteres Wachstum und ein Wiedererstarken der Marke in Nord- und Südamerika an. „Die Marke Volkswagen kommt zurück“, versprach er.

Die von den VW-Eignerfamilien gegenüber unserer Zeitung zugesagte Rückendeckung mag Diess bei den Umbauplänen für die Konzern-Kernmarke Rückendeckung geben. Dabei galt seine Position wegen des Dauerkonflikts mit dem Betriebsrat durchaus als gefährdet. Zuletzt war Diess wegen des „Zukunftspakts“ mit den Arbeitnehmervertretern aneinandergeraten. Der gibt den Fahrplan für den Umbau der Marke samt Arbeitsplatzabbau vor.

Zumindest in diesem Jahr könnte der Umbau ohne weitere Konflikte voranschreiten, sagte Personalvorstand Karlheinz Blessing unserer Zeitung. „Ich bin sehr zuversichtlich. Die Gespräche laufen auf einer sachlichen Basis, jetzt geht es in die Umsetzung. Der Zukunftspakt ist auf einem guten Weg.“

Obwohl der Konzern derzeit mit all den Themen rund um Abgas-Betrug und Umbau eigentlich mit sich selbst genug zu tun hat, blieb doch noch Zeit für einen Blick auf den Wettbewerb. Konzernchef Matthias Müller sagte auf dem Konzernempfang vor kleiner Journalistenrunde, dass die Übernahme von Opel durch den französischen Autobauer PSA keine unmittelbaren Folgen auf die Strategie der Wolfsburger haben wird. Müller: „Wir hatten schon vorher zwei große Wettbewerber, die wir respektiert haben.“ Daran ändere sich nichts, wenn die nun unter einem Dach firmierten.

Einen Kommentar zum Thema finden Sie hier: VW im Dauerspagat