Braunschweig. Katharina Schmidts Inszenierung der „Dreigrochenoper“ am Staatstheater gibt sich postapokalyptisch, sitzt aber in der Ästhetikfalle.

Die Bühne sieht aus wie ein heruntergekommener Vergnügungspark: goldene Palmen, Bar und ein längst versandeter Swimmingpool, über dem eine riesige Grinsekatze eben noch winkt und im zweiten Teil endgültig zusammenbricht. Barbieland ist abgebrannt. Aber noch immer dominiert dieses scheußliche Spielzeugrosa die Kostüme der Peachums, Polly sieht aus wie eine hochbeinige Bonbonniere.

Pia Maria Mackerts Ausstattung für die „Dreigroschenoper“ am Staatstheater Braunschweig evoziert, wenn man dem Programmheft folgt, ein postapokalyptisches Weltszenario, die Klimablase ist geplatzt, nun erklären sich auch die hohen Stirne der Spielenden und der Eisbär, der sich da immer mal wieder ins Postkartenmotiv schiebt. Ob das als Hinweis auf die verlorene Klimawandelschlacht hinreicht, ist fraglich, denn natürlich pflegt Mackert da auch eine sehr malerische Trashästhetik, die gar nicht wirklich und bedrohlich wirkt, sondern ziemlich cool und funny.

Kein Klassen- und Umweltbewusstsein

Das trifft auch auf die Inszenierung von Katharina Schmidt zu. Die Figuren werden sehr detailreich und konsequent, oft geradezu choreographisch geführt, aber eben auch sehr comedymäßig überdreht und wirken dadurch nie gefährlich. Wie da jeder noch sein Stück von den Tortentrümmern der Spaßgesellschaft abbekommen will, das gerät höchst unterhaltsam, müsste aber doch schärfer ans Eingemachte gehen.

Wie ein heruntergekommener Vergnügungspark wirkt Pia Maria Mackerts Ausstattung für die „Dreigroschenoper“ am Braunschweiger Staatstheater.
Wie ein heruntergekommener Vergnügungspark wirkt Pia Maria Mackerts Ausstattung für die „Dreigroschenoper“ am Braunschweiger Staatstheater. © Thomas M. Jauk/StagePicture | Thomas M. Jauk/Stage Picture

Diese ganze halbseidene Welt zwischen Bettlerkönig und Kleinclanmafioso geht schließlich über Leichen – die ihresgleichen. Es gibt kein Klassen- und kein Umweltbewusstsein, keinen Weltrettungsidealismus, der nicht gleich wieder diskreditiert würde. Die im Lichte, die glammern heute heller denn je und werden wie Elon Musk oder Trump geradezu zu Popstars, denen all die benachteiligten Peachums und Macheaths unserer Tage wie Idolen huldigen.

Skurriler Sound des Theremin

Es war schon Brechts selbst erkanntes Problem, dass er seine Figuren so plastisch aus der Wirklichkeit heraus formte, dass sie, ob nun Mutter Courage oder Macheath oder der Bettlerkönig, vom Publikum wie Helden des Alltags rezipiert werden statt als Negative zu erscheinen, vor denen das Publikum in kritischer Distanz seine eigene klassenbewusste Haltung entwickeln könnte. So viel Verfremdungseffekte kann man gar nicht auffahren, dass diese Figuren nicht doch Mitgefühl erregten. Und Kurt Weills heute ja bei aller dissonanten Rückung und stimmlichen Extremführung in ihrem rhythmischen Drive mitziehenden Songs tun das schon gar nicht mehr.

Unter Clemens Rynkowski entwickelt das Braunschweiger Dreigroschenorchester einen ziemlich üppigen, von den Saxophonen geprägten Sound, auch unter Einbeziehung des skurrilen Elektro-Instrumentes Theremin mit seinen futuristisch jammernden, glissierenden Tönen.

Androgyner Mackie Messer

Tja, und wer wollte nun diesem katzenhaft geschmeidigen, androgyn und lazy durch den Wüstensand schleichenden Macheath des Roman Konieczny widerstehen? Das ist nicht der machistische Aggro-Rapper der Vorstadt mit seinem Bandennetzwerk, sondern eigentlich ein Loser, der sich wie ein Kleindealer durch die verlorene Welt schummelt. Wenn er mit dem chapstragenden Polizeichef Tiger Brown, den Tobias Beyer entsprechend mit gespielter Sentimentalität anlegt, Wiedersehen feiert, klingt der Kanonensong nicht mehr nach Militärkameraderie, sondern nach den Erinnerungen aus einer Kiffer-WG. Koniecznys Macheath ist verschwenderisch in Zärtlichkeit für seinen Buddy, braucht offenbar die körperliche Anlehnung, die er auch bei den Huren kriegt, die ihn verpfeifen. Nicht von ungefähr ist seine Ex-Geliebte Jenny ein Transvestit: Heiner Take spielt sie trefflich mit charmanter Berechnung und im Salomo-Song doch einer Note Traurigkeit.

Lea Sophie Salfeld als Polly und Roman Konieczny als Macheath in der Braunschweiger „Dreigroschenoper“.
Lea Sophie Salfeld als Polly und Roman Konieczny als Macheath in der Braunschweiger „Dreigroschenoper“. © Thomas M. Jauk/StagePicture | Thomas M. Jauk/Stage Picture

Es ist auch diese genderfluide Körperlichkeit, die die Inszenierung heute so sympathisch und cool wirken lässt. An seiner Braut Polly hat Macheath jedenfalls keinen Halt. Verpackt als rosa Riesenbaby, macht Lea Sophie Salfeld von Anfang mit knappen Gegenfragen klar, dass sie an die Romanze nicht glaubt. Ganz Tochter ihrer berechnenden Mutter, von Saskia Paetzold mit kupplerischer Geschäftigkeit gespielt, und ihres geschäftstüchtigen Vaters, den Götz van Ooyen als bärbeißigen Aufsteiger zeigt.

Peachum leitet Wohltätigkeitskonzern

Vom Bettlerkönig ist er in Braunschweig zum Wohltätigkeitskonzern avanciert, der mit Spendenwerbespots Umsatz macht. Den Polizeichef setzt er mit Handyfotos unter Druck. Dabei wäre er der Kandidat für AfD-mäßige Massenproteste, die Show sind, damit am Ende dieselben Bosse die Macht behalten. Aber in solche unbequemen Assoziationen steigt die Inszenierung nicht ein.

Klar, dass diese alle am Ende Macheath aus Eigennutz hängen lassen. Im Wortsinn. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Und das Mitleid der Zuschauenden ist natürlich auch deshalb auf Macheath’ Seite. Und dann sagt er ja auch noch das mit dem Ausrauben und dem Gründen einer Bank. So isses, denkt man sich, aber wie daraus verändertes Handeln werden könnte, dazu hat auch diese Inszenierung keine Ideen.

Und so bleibt alles Moritat, von dem wie immer höchst wandelbaren Valentin Fruntke mit Luftballon wie eine in Farbe getauchte Banksy-Figur durchs Stück getragen. Die Produktion prägt eine eigenwillige Poesie. Vielleicht zu viel Poesie. Und zu wenig politischen Biss. Aber präzise gemachte Unterhaltung, die im ausverkauften Großen Haus heftig beklatscht wird.

Wieder am 10., 14., 18., 20., 26. April, 3., 9., 19., 25., 30. Mai, 2. Juni.
Karten: (0531) 1234567 und www.konzertkasse.de