Berlin. Der Bund will Mieterinnen und Mietern ihr Heizverhalten transparenter aufzeigen. Vor allem für manche Senioren kann das teuer werden.

  • Die Nebenkosten für Mieterinnen und Mieter sind zuletzt stark gestiegen
  • Dieser Trend dürfte sich 2022 forsetzten – und könnte sich sogar noch verstärken
  • Der Grund dafür ist eine EU-Richtlinie, die eigentlich für mehr Transparenz sorgen soll

Birk Hellmann ist frustriert. Er ist in diesen Tagen der Überbringer schlechter Nachrichten. Für die er selbst wenig Verständnis hat, die bei seinen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern aber deutlich emotionalere Reaktionen auslösen. Ungläubigkeit. Frustration. Wut.

Birk Hellmann ist Vorstandsmitglied der Wohnungsgenossenschaft Friedenshof im Ostsee-Städtchen Wismar. Knapp 1500 Mietwohnungen gehören der Wohnungsgenossenschaft. Die Mieterinnen und Mieter sind bunt gemischt. Es gibt einige Studierende, viele sind aber auch schon betagter, manche beziehen Transferleistungen. Die Wohnungen kosten im Schnitt nur 5,70 Euro für den Quadratmeter, selbst beim Erstbezug im Neubau kommen Interessenten noch mit knapp unter zehn Euro für den Quadratmeter weg.

Doch zuletzt haben die Mieterinnen und Mieter Post bekommen. Darin stand, dass die Nebenkosten teurer werden. Seitdem ist Hellmann mit Erklären und Beschwichtigen beschäftigt.

Miete: Warum die Nebenkosten teurer werden könnten

Nicht nur in Wismar landen solche Briefe derzeit in Briefkästen. Bundesweit verschicken Wohnungsunternehmen und Genossenschaften derzeit Post – und entfachen so einen Zwist. Viele Mieterhaushalte fühlen sich von den Vermietern abgezockt, die Vermieter missverstanden und bürokratisch unter Druck gesetzt.

Der Grund für den Streit ist eine europäische Richtlinie, die noch von der großen Koalition umgesetzt wurde: Mieterinnen und Mieter sollen künftig einmal im Monat über ihren Heizenergie- und Warmwasserverbrauch informiert werden, so sieht es die im Dezember in Kraft getretene Novelle der Heizkostenverordnung vor.

Dafür müssen die Wohnungen bis 2026 mit fernablesbaren Messgeräten ausgestattet werden, deren Daten abgerufen werden können, ohne dass der Mieter die Tür öffnen muss. Durch einen Vergleich mit den anderen Haushalten der Wohnanlage sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher dazu animiert werden, ihr eigenes Verbrauchsverhalten zu überdenken und idealerweise zu senken – so ist zumindest die theoretische Idee dahinter. Wer bereits fernablesbare Geräte hat, erhält den Energieverbrauch ab diesem Jahr.

Vier Prozent höhere Betriebskosten

„Was nützt es einer Familie mit zwei Kindern, die in einer Wohnung mit Außenwand wohnt, zu wissen, was das Rentner-Ehepaar in der Gebäudemitte für einen Energieverbrauch hat“, fragt sich Hellmann. Trotzdem gibt es einmal im Monat den Vergleich – und damit höhere Kosten für die Mieterinnen und Mieter.

Die Vermieter können den Vergleich per E-Mail oder Brief schicken. Doch schon beim Digitalisierungsgrad scheitere es oft, berichtet Hellmann. Von rund 1500 Briefen mit der Bitte um Auskunft der E-Mail-Adresse kam nicht einmal ein Drittel zurück. Viele ältere Mieterinnen und Mieter hätten mitgeteilt, dass sie keine E-Mail-Adresse nutzen.

Den Aufwand für die Sachbearbeitung, das Erstellen und Versenden der Briefe beziffert Hellmann auf rund 37.500 Euro pro Jahr – Kosten, die auf die Betriebsnebenkostenabrechnung umgelegt werden. Bedenkt man, dass die gesamten Heizkosten für die rund 1500 Wohnungen im Jahr 2020 bei 954.500 Euro lagen, müssten die Mieterinnen und Mieter ihren Energiebedarf also bewusst um vier Prozent senken, um allein die Mehrkosten auszugleichen, rechnet Hellmann vor.

Mehrkosten von bis zu 90 Euro

Dabei treffe es die Haushalte unterschiedlich stark. Wer seine Information per Mail erhält, muss mit Mehrkosten von 7,68 Euro pro Jahr rechnen, die dadurch entstehen, dass die Wohnungsgenossenschaft für das Erstellen der Verbrauchsinformationen einen Energiedienstleister und eine Softwarefirma beauftragt hat. Wer jedoch einen Brief bekommt, habe dagegen jährlich mit Kosten von bis zu 30 Euro zu rechnen. Es würde ausgerechnet diejenigen hart treffen, die aufgrund des Alters keinen Zugang zum Internet und ohnehin wenig Geld hätten, kritisiert Hellmann.

Die Kosten der Wohnungsgenossenschaft in Wismar sind dabei offenbar noch moderat angesetzt. Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) rechnet bereits mit Mehrkosten von bis zu 90 Euro pro Jahr – eine Zahl, mit der auch der Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW kalkuliert. „Die neue Heizkostenverordnung ist ein Bürokratiemonster der besonderen Art“, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko unserer Redaktion.

Allein bei Mehrfamilienhäusern entstehe ein bürokratischer Aufwand von bis zu 140 Millionen Euro pro Jahr. „Mit diesem Geld könnten stattdessen mehr als 4500 Wohnungen energetisch auf Vordermann gebracht werden. Und dem Klimaschutz wäre doppelt geholfen, wenn das Papier für die zig Millionen Briefe eingespart werden könnte“, sagte Gedaschko.

Mieterbund mit deutlicher Kritik

Nicht nur seitens der Wohnungsunternehmen ist die Frustration groß. Auch der Deutsche Mieterbund (DMB) kritisiert die neue Verordnung. „Viele Mieterinnen und Mieter fühlen sich durch solche Maßnahmen abgezockt“, sagte Mieterbundpräsident Lukas Siebenkotten unserer Redaktion. Mieter würden beim Klimaschutz oft einseitig die Kosten tragen, etwa beim CO2-Preis, den sie vollständig zahlen müssen, und nun auch bei der Heizkosten-Novelle. „So landen die Mehrkosten am Ende bei den Mieterinnen und Mietern und die Unzufriedenheit wächst. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Wenn die Mieter den Sinn in den Klimaschutzmaßnahmen nicht erkennen können, ist niemandem geholfen“, warnt Siebenkotten.

Für die Mieter würde sich die regelmäßige Information nur dann lohnen, wenn sie durch Energieeinsparungen die Kosten ausgleichen könnten. Dafür blieben ihnen aber kaum Möglichkeiten. „Sie können zwar die Raumtemperatur reduzieren, aber das nützt nichts, wenn sie dann frieren müssen. Es ist keine Option, künftig allen zu sagen, dass sie nur noch mit zwei Pullovern in ihren Wohnungen sitzen dürfen“, sagte Siebenkotten.

Bundeswohnministerin Geywitz hofft auf Kostenneutralität

Selbst Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen und Bauen, wirkt nicht restlos überzeugt. „Der Ansatz war, dass man Transparenz schaffen wollte. Das Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher für den eigenen Verbrauch soll geschärft und sie zu einem geringen Verbrauch angehalten werden“, sagte die SPD-Politikerin unserer Redaktion.

Dadurch, dass der Energieverbrauch künftig aus der Ferne abgelesen werden kann, erhoffe man sich Kostenneutralität, da Fahrt- und Personalkosten wegfallen könnten. „Wir werden uns in drei Jahren ansehen, ob die gewünschten Effekte eingetreten sind“, sagt die Wohnministerin – und schiebt nach: „Die Novelle wurde aber vor meiner Amtszeit in die Wege geleitet.“

Dass die Neuerungen am Ende wirklich kostendeckend sein werden, glaubten allerdings nicht einmal die Bundesländer. In der Beschlussfassung des Bundesrats heißt es, dass die angenommene Kostenneutralität „bezweifelt“ werde, „da ein erhöhter Verwaltungsaufwand und steigende Investitionskosten wahrscheinlich sind, derzeit aber wenig Einsparpotenzial für Verbraucherinnen und Verbraucher besteht.“

Es drohen Klagen gegen die Mehrkosten

Auf Birk Hellmann könnte die eigentliche Arbeit erst noch warten. Er rechnet damit, dass Mieterinnen und Mieter gegen die Mehrkosten klagen werden. „Ich habe mehrfach erlebt, dass mir Mieterhaushalte angekündigt haben, dass sie es ablehnen, mehr zu zahlen für etwas, das sie nicht wollen und das ihnen keinen Mehrwert bietet.“ Er macht eine kurze Pause. Und fügt dann an: „Und ganz ehrlich: Ich kann sie verstehen.“

Am Ende könnte es seiner Meinung nach nur Verlierer geben: Die Mieter, weil sie mehr zahlen müssen. Die Vermieter, weil sie mit bürokratischem Aufwand konfrontiert werden. Und die Umwelt, weil massenhaft Briefe verschickt werden.