Yiwu/Berlin. Fast zwei Drittel der weltweiten Weihnachtsdekoration werden in der Stadt Yiwu produziert. Dort sind die Löhne noch niedrig.

Die Halle sieht aus wie ein Weihnachtsmarkt von galaktischen Ausmaßen. Plastikweihnachtsbäume voller Kugeln, Engel und Rentierschlitten. Stände mit Nussknackern, Krippen und geschnitzten Sternen. Girlandenketten in allen wichtigen Sprachen: Neben „Merry Christmas“ findet sich „Fröhliche Weihnachten“. Es gibt Hüte, Socken und Kostüme mit Tannenmotiven. Lichterketten und E-Kerzen glühen gegen die Neonröhren an der Decke an.

Die Ausstellungshalle liegt in der Stadt Yiwu in Ostchina, die 60 Prozent der weltweiten Weihnachtsdeko herstellt. Wer sich direkt in Yiwu mit Weihnachtsartikeln eindecken will, hat von Deutschland aus einen langen Weg vor sich. Nach neun Stunden Flug bis Shanghai dauert es noch einmal eine Stunde im Hochgeschwindigkeitszug, bis die Stadt am Horizont auftaucht. Die Ausstellungsfläche dient denn auch ausschließlich Profikunden zur Orientierung und zum Einkauf von Proben. Denn in Yiwu bestellen Handelsgesellschaften und andere Weiterverkäufer ihren Bedarf an preiswertem Tand. Darunter eben auch Weihnachtsschmuck.

Das Geschäft läuft auch in Zeiten des Handelskriegs zwischen der Volksrepublik und den USA prächtig. Der örtlichen Zollstelle zufolge ist die Zahl der Bestellungen in den Monaten von Januar bis Oktober im Jahresvergleich erneut um 24 Prozent gestiegen. Der jährliche Umsatz mit Weihnachtsartikeln wird auf mindestens drei Milliarden Euro geschätzt. „Sie können den Containern dabei zusehen, wie sie einer nach dem anderen die Weihnachtsartikel abtransportieren“, zitiert der Fernsehsender CGTN den Beamten Ye Hang von der Statistikbehörde der Stadt.

Ein Teil der Waren fährt auf Zügen zu den nahen Containerhäfen von Hangzhou, Ningbo oder Wenzhou. Ein Teil rollt inzwischen auch direkt nach Nordwesten, entlang der Frachtstrecken der neuen Seidenstraße in Richtung Europa.

Der Schmuck entstehtin 600 Betrieben

Yiwu ist kein weihnachtlich verwunschenes Nest, sondern ein Industriezentrum mit 1,2 Millionen Einwohnern. Im Gewerbegebiet für Dekoartikel reihen sich 600 Betriebe im Schachbrettmuster nebeneinander. Der Großmarkt wie­derum besteht aus einer Ansammlung von fünf fächerförmig angeordneten Hallen auf einer Fläche von 70 Fußballfeldern.

Nur ein Teil der Stände ist Weihnachten gewidmet; Yiwu stellt auch sonst viele Plastikartikel her. Der Großhandelsmarkt ist einer der größten der Welt.

Das Stadtbild ist von jungen Indus­triearbeiterinnen und -arbeitern geprägt, die aus Nachbarregionen allein zum Geldverdienen herkommen. Sie zeigen sich im Gespräch im Wesentlichen zufrieden mit den Jobs. Als Tagelöhner verdienen sie knapp zwei Euro pro Stunde. Bei Schichten von 13 Stunden mit kurzen Pausen kommen sie auf etwas über 600 Euro im Monat.

Die Arbeiter zeigen sich weitgehend sorglos gegenüber Lösungsmitteln, Schleifstaub und anderen Gesundheitsgefahren – sie sind in erster Linie froh, einen Fabrikjob ergattert zu haben. Billigproduktion funktioniert hier noch. Obwohl in China die Kosten steigen, unterbietet Yiwu immer noch mühelos konkurrierende Standorte.

Trotz des Handelskriegs mit den USA ist China immer noch der weltgrößte Produzent günstiger Waren. Den jüngsten Zahlen der Vereinten Nationen zufolge entfällt weiter ein knappes Fünftel der Industriewertschöpfung auf China – das ist immer noch Weltrekord. Für Deutschland ist China laut Statistischem Bundesamt weiterhin das größte Herkunftsland von Waren – vor den Niederlanden, Frankreich und den USA. „Die Welt hängt von Chinas Output in der Leichtindustrie und arbeitsintensiven Branchen ab“, stellt die Unternehmensberatung McKinsey fest.

Und doch wirkt es seltsam, wenn Heere von Arbeitern in China Jesusfigürchen schnitzen. Schließlich ist das hier ein Land, das von taoistischen und buddhistischen Traditionen geprägt ist und in dem heute eine Mehrheit atheistisch lebt. Doch letztlich ist das schon viel zu kompliziert gedacht. Für die Geschäftsleute in Yiwu ist der Weihnachtsmann einfach ein Produkt wie jedes andere auch.