Berlin. Die Strom- und Gaskosten sind stark gestiegen. Manche Anbieter haben an der Preisschraube gedreht. Nun wehren sich Verbraucherschützer.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine schnellen die Energiepreise weltweit in die Höhe. Alle Verbraucherinnen und Verbraucher spüren die Folgen: Seit Jahresbeginn haben in Deutschland die Energieversorger bereits rund 800 Strompreiserhöhungen um durchschnittlich 20 Prozent angekündigt – was laut Vergleichsportal Verivox Mehrkosten von rund 300 Euro je Haushalt bedeutet.

Allerdings ist fraglich, ob alle Erhöhungen tatsächlich berechtigt waren. Zweifel daran hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).

Gas- und Strompreise: Verbraucherzentralen knüpfen sich Billiganbieter vor

So haben die Stromdiscounter Voxenergie und Primastrom bereits im vergangenen Jahr ihre Kunden mit kräftigen Strom- und Gaspreiserhöhungen konfrontiert und auch in diesem Jahr die Preise noch mal deutlich erhöht, obwohl teilweise Preisgarantien über 24 Monate vereinbart waren.

„Aus Sicht des vzbv sind die Preiserhöhungen von Primastrom und Voxenergie unzulässig. Der vzbv prüft daher die Erhebung einer Musterfeststellungsklage“, sagt Patrick Langer, Referent im Team Musterfeststellungsklagen des vzbv. „Mit der Klage soll festgestellt werden, dass die Verbraucherinnen lediglich die vertraglich vereinbarten Preise zahlen müssen.“

Zur Vorbereitung der Klage sucht der oberste Verbraucherschutzverband nun betroffene Kunden, die ihren Fall auf musterfeststellungsklagen.de einreichen. Anfragen unserer Redaktion ließen sowohl Voxenergie als auch Primastrom bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.

Gegen die Anbieter laufen bereits Verfahren der Bundesnetzagentur

Gegen Voxenergie und Primastrom laufen bereits Aufsichtsverfahren der Bundesnetzagentur. Diese wurden eingeleitet, nachdem die beiden Anbieter Ende 2021 Zehntausenden Kunden per Schreiben mitgeteilt hatten, dass ihre Tarife innerhalb von drei Tagen zum 1. Januar 2022 deutlich steigen werden. Geprüft wird, inwieweit die gesetzlich vorgesehenen Ankündigungsfristen eingehalten wurden.

Denn auch in angespannten Zeiten müssen sich Verbraucher darauf verlassen, dass sie rechtzeitig über Vertragsveränderungen informiert werden – also mindestens zwei Wochen im Voraus. Nur so haben Kunden die Chance, von ihrem Sonderkündigungsrecht bei Erhöhungen Gebrauch zu machen und können sich einen neuen Stromanbieter suchen. Bei Fehlverhalten könnte die Behörde das rechtswidrige Verhalten untersagen.

Verbraucherzentralen berichten von kräftigen Preissprüngen

Auch bei den Verbraucherzentralen sind die Beschwerden über Primastrom und Voxenergie seit Jahresbeginn sprunghaft gestiegen, berichtet Langer. So wurde einem Verbraucher beispielsweise der monatliche Stromgrundpreis von 9 Euro auf zuletzt 24 Euro erhöht. Der Arbeitspreis sollte von 28,03 Cent auf 90,83 Cent pro verbrauchter Kilowattstunde steigen – und dies, obwohl sein Vertrag eine Preisgarantie über 24 Monate enthielt.

„Bei einem Zweipersonenhaushalt entspricht das etwa einer Verdreifachung der Kosten und damit einer Erhöhung von mehr als 1700 Euro für ein Jahr“, rechnet Langer vor. Der Verbraucherzentrale Bundesverband forderte entsprechend beide Unternehmen bereits auf, Strom und Gas zu den vertraglich vereinbarten Preisen zu liefern und die Preisgarantien einzuhalten.

Strompreise haben sich binnen eines Jahres um 33 Prozent verteuert

Zur Bewertung der Rechtssituation rufen die Verbraucherschützer Betroffene auf, sich mit ihren Fällen beim vzbv zu melden. Nach Prüfung könnte eine Musterfeststellungsklage gegen die Unternehmen noch im Laufe dieses Jahres eingereicht werden, so Langer.

Ziel einer Musterfeststellungsklage ist es, die zentralen Rechtsfragen eines Streitfalls für alle Betroffenen zu klären. Damit können Forderungen leichter und kostengünstiger durchgesetzt werden, für die eine Einzelklage zu aufwendig und kostspielig wäre. Der Verband klagt stellvertretend für alle Verbraucher, die sich der Klage anschließen. Die Beteiligung ist für Verbraucher kostenlos. Sie müssen sich dazu lediglich in das entsprechende Klageregister eintragen.

Rund ein Dutzend Musterfeststellungsklagen laufen derzeit

Der Verbraucherzentrale Bundesverband hatte erstmals eine Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG wegen der Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen in Diesel-Pkw eingereicht. Das Verfahren wurde mit einem Vergleich abgeschlossen. Betroffene erhielten Entschädigungen zwischen 1350 und 6257 Euro.

Aktuell laufen gut ein Dutzend Musterfeststellungsklagen des vzbv, unter anderem gegen mehrere Sparkassen wegen Zinsberechnungen und Kündigungen von Prämiensparverträgen. Zudem laufen Klagen gegen die Partnervermittlung Parship und die Sportstudios von Superfit.

Strompreise sind zuletzt stark gestiegen

Im vergangenen Jahr hatten bereits mehrere Stromdiscounter die Preise erhöht, nachdem an den Energiebörsen die Preise geradezu explodierten. Andere Stromdiscounter wie etwa Stromio stellten gleich ganz ihre Lieferungen ein. Die Anbieter versuchten dadurch ihre eigene Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Gegen dieses Vorgehen laufen derzeit Sammelklagen.

Für die Verbraucher haben sich die Strompreise innerhalb eines Jahres bereits um 33 Prozent verteuert, berichtet das Vergleichsportal Verivox. Zahlte eine Familie mit einem Stromverbrauch von 4000 Kilowattstunden im Juni 2021 noch 1197 Euro für Strom, waren es im Juni 2022 bereits 1587 Euro – das sind Mehrkosten von 390 Euro.

Verivox erwartet Preiserhöhungen für Millionen Haushalte

Durch den Wegfall der EEG-Umlage zum 1. Juli sinken die Strompreise nun zwar rechnerisch um 4,4 Cent pro kWh (brutto). Bei einem Verbrauch von 4000 Kilowattstunden entspricht dies einer Entlastung von 177 Euro. Versorger sind verpflichtet, diese Senkung weiterzugeben. Davon profitieren vor allem Kunden in längeren Laufzeitverträgen.

„Aufgrund der hohen Beschaffungskosten wird die Absenkung der EEG-Umlage Verbraucherinnen und Verbraucher aber nur kurzfristig entlasten“, sagt Thorsten Storck, Energieexperte bei Verivox. Viele Stromanbieter würden die hohen Beschaffungskosten nach Ablauf der Vertragslaufzeit an ihre Kunden weitergeben. „Spätestens zum Jahreswechsel rechnen wir dann mit flächendeckenden Preiserhöhungen für Millionen Haushalte“, so Storck.

Schon für August haben laut Verivox bereits weitere 49 Versorger Preiserhöhungen von durchschnittlich 15 Prozent angekündigt. Das bedeute für die entsprechenden Haushalte Mehrkosten von 204 Euro im Jahr. Ein Ende der teuren Energie ist somit noch nicht in Sicht.

Dieser Artikel erschien zuerst auf abendblatt.de