Berlin. Das staatliche Tierwohl-Label auf Fleischprodukten ist vorerst gescheitert. SPD und Union geben sich dafür gegenseitig die Schuld.

Das Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher an der Herkunft ihres Fleisches ist groß. 88 Prozent wollen wissen, ob Schweine, Rinder oder Puten vor der Schlachtung in einem engen Stall eingepfercht waren oder sie sich an der frischen Luft bewegen konnten. Das zeigte gerade erst eine Studie des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Ministerin Julia Klöckner (CDU) hatte auch deshalb ein staatliches Tierwohl-Siegel als eines ihrer zentralen Anliegen formuliert. Jetzt ist sie damit auf den letzten Metern gescheitert.

Monatelang war es still geworden um Klöckners Pläne. Und nun ist es zu spät, um das Gesetzgebungsverfahren für das Tierwohl-Label noch vor der Bundestagswahl im September durchs Parlament zu bringen.

Gitta Connemann, Vizechefin der Unionsfraktion, stellt nüchtern fest: „Das Tierwohlkennzeichen-Gesetz wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen.“ Spätestens in der vergangenen Woche hätte es auf der Tagesordnung stehen müssen.

SPD: Vorliegende Pläne „absolut ungenügend“

Wer am Scheitern der Pläne für mehr Tierwohl auf deutschen Höfen verantwortlich ist, in dieser Frage schieben sich Union und SPD die Schuld gegenseitig zu. Die vorliegenden Entwürfe seien „absolut ungenügend“, sagt SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch.

Notwendig sei keine freiwillige, sondern eine verpflichtende Kennzeichnung. Zudem fehlten klare und von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragene Kriterien für Haltung, Transport und Schlachtung der Tiere. Klöckner habe „ihre Hausaufgaben nicht gemacht“, betont Miersch.

Dagegen wirft Ministerin Klöckner der SPD Blockade vor. „Schade, wenn der SPD der Wahlkampf wichtiger ist als schnelle und merkbare Verbesserungen beim Tierwohl.“ Ein verpflichtendes Label fürs Tierwohl scheitere derzeit am EU-Recht. Solange dies nicht geändert ist, könne es in Deutschland nur eine freiwillige Lösung geben. Einen entsprechenden Entwurf hätten die Sozialdemokraten auch nicht vorgelegt.

Koalition war sich eigentlich schon einig

Dabei hatte sich die Koalition längst auf das Tierwohl-Label geeinigt: 2019 beschloss das Bundeskabinett die Einführung. Das auf Fleischverpackungen angebrachte Logo sollte Auskunft geben über die ganze Lebensspanne eines Tiers: Aufzucht, Transport und Schlachtung.

Das Siegel sollte freiwillig bleiben – wer sich damit schmücken wollte, hätte sich aber an verbindliche Kriterien halten müssen, um eine der drei Qualitätsstufen zu erreichen. Verbraucher sollten damit die Wahl haben, mit ihrem Einkaufsverhalten Verbesserungen beim Tierwohl zu erreichen. Auch Klöckners Amtsvorgänger Ilse Aigner und Christian Schmidt (beide CSU) hatten bereits über ein staatliches Tierwohl-Siegel diskutiert.

Handel hat einfach sein eigenes System entwickelt

Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer spricht angesichts des gescheiterten Siegels von einem „Offenbarungseid beim Tierschutz“. Die CDU wolle keine verbindliche Kennzeichnung. Der Grund, so Krischer: „Dann würden die Tierhalter mit den schlechten Standards weniger Geld bekommen und werden perspektivisch aus dem Markt gedrängt.“

So sei es auch gewesen, als 2002 die Kennzeichnung bei Eiern kam und niemand mehr Käfigeier haben wollte. Daher seien die Schweinebauern gegen eine verbindliche Kennzeichnung. „Und wenn die Schweinebauern das nicht wollen, macht das die CDU auch nicht“, sagt Krischer. „Das ist Lobbyismus in Reinform und mehr als unappetitlich.“

Der Handel ist unterdessen längst auf den Wunsch der Verbraucher eingegangen, die Haltungsform der Tiere zu kennzeichnen. An der Gesellschaft haltungsform.de sind alle großen Ketten beteiligt: Aldi, Edeka, Rewe und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland. Sie stehen für über 85 Prozent des Lebensmittelhandels in Deutschland.

Seit April 2019 weisen sie auf Fleischprodukten vier Stufen aus: Stallhaltung (der gesetzliche Mindeststandard), Stallhaltung Plus, Außenklima und Premium. Schweine leben zu 80 Prozent nach dem Mindeststandard, bei Rindern sind es 90 Prozent. Geflügel wird meist mit Stufe zwei gekennzeichnet: 98 Prozent der Puten und 85 Prozent der Hähnchen.

Parteien sollen sich zu höheren Standards bekennen

Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller bedauert das vorläufige Scheitern des staatlichen Tierwohl-Siegels. „Die Einführung wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung gewesen“, sagt der Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv) unserer Redaktion. Das Label hätte Kriterien über die freiwillige Haltungsform-Kennzeichnung des Handels hinaus umfasst.

Bis es ein staatliches Tierwohl-Label auf europäischer Ebene gibt, wäre es aus seiner Sicht richtig gewesen, national freiwillig zu starten: „Die nächste Bundesregierung sollte sich das zügig vornehmen.“ Ein Label allein reiche jedoch nicht aus, so Müller. „Notwendig ist vor allem die Anhebung gesetzlicher Haltungsstandards und eine bessere Kontrolle. Ein Bekenntnis zu höheren gesetzlichen Tierhaltungsstandards erwarten wir deshalb jetzt von allen Parteien.“