Berlin. Zehn deutsche Spielzeugfirmen verpflichten sich zu höheren sozialen und ökologischen Standards. Sie wollen die Branche reformieren

Das Sandmännchen ist fair. Was soll man von dem seit 1959 bei Kindern und Eltern beliebten Gute-Nacht-Begleiter auch sonst denken? Heute kommt die Figur in ihrer Plüschpuppen-Variante zwar aus China – über schlechte Qualität, gefährliche Materialien oder miese Arbeitsbedingungen in den Fabriken müsse man sich aber keine Sorgen machen, heißt es bei der Firma Heunec im bayerischen Neustadt.

Zwei Millionen Tiere und Puppen aus Plüsch lässt Heunec jedes Jahr in China fertigen – darunter auch das Sandmännchen. Dass die Bedingungen dort in Ordnung sind, ist Firmenchefin Barbara Fehn-Dransfeld ein großes Anliegen. „Unsere Partner in China bestätigen uns, dass sie ihren Beschäftigten beispielsweise deutlich mehr zahlen als die niedrigen, staatlich festgesetzten Mindestlöhne“, sagt die Miteigentümerin.

Neuer Verband soll die Spielzeugbranche fairer machen

Damit die Spielzeugbranche generell höhere Standards einhält, hat Fehn-Dransfeld die Fair Toys Organisation (FTO) mitgegründet. Beigetreten sind bisher zehn Unternehmen – darunter Fischertechnik, Haba, Manfred Roser-Alldoro, Mawi, Plasticant Mobilo, Sigikid, Tiny Hazel und Zapf Creation.

Das ist jedoch nur ein Anfang: Der Marktanteil dieser Firmen liegt deutlich unter zehn Prozent der Branche in Deutschland, die im Jahr 2019 insgesamt rund 7,6 Milliarden Euro umsetzte. Mit zweistelligen Millionenumsätzen und 30 Leuten spielt Heunec dabei in der Regionalliga der hiesigen Spielzeugindustrie.

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Der Sandmann ist eine beliebte Figur aus dem Kinderfernsehen. Mit seinen Geschichten fasziniert er in ganz Deutschland junge Zuschauer.
Der Sandmann ist eine beliebte Figur aus dem Kinderfernsehen. Mit seinen Geschichten fasziniert er in ganz Deutschland junge Zuschauer. © picture alliance/dpa | Soeren Stache

Lohn für Mitarbeiter von ausländischen Zulieferern soll existenzsichernd sein

Der existenzsichernde Lohn ist ein wichtiger Punkt im Verhaltenskodex der Organisation. Wer der FTO beitritt, verpflichtet sich, dass die ausländischen Zulieferfabriken ihren Mitarbeitern mehr Lohn zahlen als den meistens spärlichen Mindestlohn. Genaue Zahlen enthält der Kodex jedoch nicht. Weitere Regeln besagen: Das Personal soll nicht länger als 48 Stunden wöchentlich arbeiten, ein freier Tag pro Woche ist Pflicht. Gewerkschaften dürfen gegründet werden.

„Die Mitgliedsfirmen sind verpflichtet, sich den Zielen aus dem Verhaltenskodex fortschreitend anzunähern“, erklärt FTO-Initiator Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero (CIR) in Nürnberg. „Sie müssen konkrete Schritte benennen und diese auch nachweisbar umsetzen.“ Die Organisation beschreibt den Weg, weiß aber, dass es selbst bei den Mitgliedsfirmen durchaus Defizite gebe. „Wer behauptet, Arbeitsrechtsverletzungen zu 100 Prozent ausschließen zu können, ist unehrlich“, heißt es auf ihrer Internetseite.

Faire Löhne bei chinesischen Zulieferern sind gewollt – werden aber nicht kontrolliert

Fehn-Dransfeld räumt ein Spannungsverhältnis auch in ihrem Unternehmen ein. „Die Entlohnung in den chinesischen Firmen, die Heunec-Produkte fertigen, ist existenzsichernd“, sagt sie einerseits. Andererseits kontrolliert der deutsche Betrieb diese Informationen aus China bisher weder selbst, noch lässt sie diese von beauftragten Zertifizierungsorganisationen überprüfen.

„Das Thema steht aber auf der Agenda“, sagt Fehn-Dransfeld. In Zukunft wird das nicht mehr reichen. Dann müssen Heunec und andere Firmen genauer hinsehen, die Bedingungen in ihren Lieferketten dokumentieren sowie Realität und Ziele zur Deckung bringen.

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Fairness in der Spielzeugbranche – in Zukunft ein Verkaufsargument?

Das macht Arbeit und kostet Geld. Warum unterzieht Heunec sich dieser Mühe? Vor allem ärgere sie sich über die schlechten Arbeitsbedingungen in vielen chinesischen Fabriken, auf die die CIR Jahr für Jahr in ihrem kritischen Branchenreport hinweise, sagt Fehn-Dransfeld. Denn damit drohe mittelbar auch ein schlechtes Licht auf ihren eigenen Betrieb zu fallen. „Die Kunden lesen ja auf unseren Etiketten ,Made in China‘.“ Die Firmenchefin hat Angst vor einem Imageschaden.

Kann aber die hohe ökologische und soziale Qualität zum Verkaufsargument werden? Das wird man im Spielzeugmarkt wohl erst in ein paar Jahren erfahren. „Wenn die Unternehmen ihre Zusagen einhalten und die nötige Punktzahl im FTO-Check erreichen, dürfen sie mit dem Logo der FTO an ihren Produkten in den Geschäften werben“, sagt Maik Pflaum. In frühestens zwei Jahren können die Kundinnen und Kunden auf diese Art entscheiden, ob sie fairen Plüschtieren den Vorzug vor konventionell gefertigten geben.

Wichtig erscheint allerdings auch das Marktsegment der öffentlichen Beschaffung. Die Stadt Nürnberg – Ort der alljährlichen Spielzeugmesse – ist schon jetzt FTO-Mitglied.

Bestellen öffentliche Einrichtungen künftig nur noch fair gehandelte Spielsachen?

„Ich kann mir gut vorstellen, dass der Nürnberger Stadtrat künftig beschließt, für öffentliche Einrichtungen nur noch Produkte mit dem FTO-Siegel zu kaufen“, vermutet Pflaum, der als parteiloser Abgeordneter der Grünen selbst in dem Gremium sitzt.

Andere Kommunen mögen dem Beispiel folgen und für ihre Kindertagesstätten dann ausschließlich faires Spielzeug einkaufen. Initiativen wie die FTO liegen in jedem Fall im Trend. Mit ihrem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte übt die Bundesregierung sanften Druck auf die Unternehmen aus.

Lieferkettengesetz könnte sich auch auf die Spielwarenindustrie auswirken

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plädieren außerdem für ein Lieferkettengesetz, damit hiesige Unternehmen die Arbeitsbedingungen in ihren ausländischen Zulieferfabriken verbessern. Viele Firmen warten ab, manche Wirtschaftsverbände treten auf die Bremse, andere versuchen hingegen, das Beste aus der Entwicklung zu machen.

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So ist der Bundesverband der Spielwarenindustrie (DVSI), der rund 240 mittlere und große Unternehmen repräsentiert, der FTO schon beigetreten. Und eine Sprecherin des Herstellers Simba-Dickie, einer Größe der Branche, sagt: „Wir stehen der Fair Toys Organisation offen gegenüber, sind in engem Kontakt und überlegen, dort zukünftig Mitglied zu werden.“

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