Berlin. Verbraucherzentralen-Chef Klaus Müller fordert die Regierung auf, die Bürger in der Krise besser vor Zahlungsunfähigkeit zu schützen.

Corona beschert den Bürgern einen Jahreswechsel ohne Beispiel. Worauf Verbraucher jetzt achten müssen, sagt Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV).

Herr Müller, Corona verlagert die Weihnachtseinkäufe ins Internet. Welche Fallstricke sind damit verbunden?

Klaus Müller: Für die meisten ist der Online-Einkauf eine bequeme und gute Sache. Aber man muss genau hinschauen. Rechtlich bestellen die Verbraucherinnen und Verbraucher ja nicht bei Amazon oder Ebay, sondern bei einem Händler. Die Plattformen haften nicht, wenn die Ware mit großen Lieferverzögerungen kommt – oder wenn Elektrogeräte aus dem außereuropäischen Ausland nicht den europäischen Sicherheitsstandards entsprechen.

Uns erreichen auch viele Beschwerden, weil bezahlte Ware gar nicht geliefert wird. Manchmal existiert der Händler nicht einmal. Das sind dann klare Betrugsfälle. In den Corona-Monaten haben die Beschwerden bei den Verbraucherzentralen über Fake-Shops um 600 Prozent zugenommen. Das zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist.

Die EU will Verbraucherrechte beim Online-Kauf stärken.

Müller: Die neue Verordnung der EU-Kommission zur Regulierung von Plattformen – der Digital Services Act – droht leider hinter den Erwartungen zurückzubleiben. Mein dringender Appell lautet, die Haftungsgrundsätze für Online-Marktplätze wie Amazon oder Ebay zu verschärfen. Die Regierungen der Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament sind in der Pflicht, diesen Vorschlag nachzubessern.

Die Auseinandersetzung, ob man via Plattformen sicher einkaufen kann, wird in den nächsten Monaten ausgefochten. Das Risiko darf nicht auf den Verbraucher abgewälzt werden. Online-Marktplätze müssen haftbar sein, wenn beim Kauf über ihre Plattformen etwas schiefläuft.

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    Welche Erfahrungen machen Sie mit dem Umtausch von Geschenken im Netz?

    Müller: Ein Recht auf Umtausch gibt es auch im stationären Handel nicht. Das ist leider ein Gerücht. Über die Jahre hat sich allerdings eine Kulanzregelung herausgebildet. Um Weihnachten herum sind viele Händler extrem kulant. Aber wenn der Handel gar nicht offen hat, wird das nicht funktionieren.

    Für das Internet gilt ein Widerrufsrecht. Das kann man aber nur in Anspruch nehmen kann, wenn man die Adresse des Händlers kennt, an den man die Ware zurückschicken kann. Und selbst dann erleben Verbraucher ganz unangenehme Überraschungen. Die Rücksendekosten – gerade ins außereuropäische Ausland – übersteigen manchmal den Preis des Produkts. Das steht in der Regel im Kleingedruckten. Ich kann nur sagen: Augen auf beim Online-Kauf!

    Die Corona-Krise hat viele Menschen in finanzielle Schwierigkeiten gebracht. Droht eine Flut an Privatinsolvenzen?

    Müller: Die Anzeichen, dass viele Verbraucher in die Zahlungsunfähigkeit rutschen, sind alarmierend. Wirtschaftsforschungsinstitute sehen bei einem Fünftel der Bevölkerung massive Einkommensverluste. In den Insolvenzberatungsstellen der Verbraucherzentralen gibt es eine wachsende Zahl an Voranfragen – insbesondere von Soloselbstständigen. Viele Menschen haben Einnahmen und Ausgaben nicht mehr im Lot. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, den Menschen zu ermöglichen, Kosten zu sparen.

    Und zwar wie?

    Müller: Ich erwarte, dass die Bundesregierung das geplante Faire-Verbraucherverträge-Gesetz nachbessert und unverzüglich auf den Weg bringt. Wenn Verbraucher in Geldnot geraten, muss ihnen ermöglicht werden, Verträge mit Mobilfunkanbietern, Fitnessstudios oder auch mit Versicherungskonzernen zu kündigen. Dafür muss die aktuelle Frist von drei Monaten auf einen Monat verkürzt werden.

    Eine automatische Vertragsverlängerung um zwölf Monate darf es nicht mehr geben. Wenn wir keine überschuldeten Haushalte haben wollen, müssen wir den Leuten das Sparen erleichtern.

    Im ersten Lockdown konnten Mietzahlungen und die Tilgung von Krediten ausgesetzt werden.

    Müller: In dieser akuten Notlage wird es für Menschen immer schwieriger, ihre laufenden Zahlungen zu bedienen. Daher gehört das Kreditmoratorium, das wir vor der Sommerpause hatten, wieder auf die Tagesordnung. Dasselbe gilt für die Stundung von Mieten und Energiekosten. Wir sollten alles tun, dass Menschen nicht der Strom abgestellt oder die Wohnung gekündigt wird.

    Wie lange soll dieses Moratorium gelten?

    Müller: Mindestens so lange der Lockdown dauert, auch wenn es sich um Monate handelt. Viele Verbraucher werden Zeit benötigen, sich finanziell zu sortieren und neu aufzustellen.