Berlin. Im Kampf gegen Steuerflucht teilt Deutschland sensible Finanzdaten mit 80 Staaten – gelangen sie in die Hand von autoritären Regimen?

Der Automatische Informationsaustausch über Finanzkonten (AIA) soll Steuerhinterziehung erschweren und Steueroasen austrocknen: Seit 2017 teilen auch die deutschen Finanzbehörden millionenfach Daten mit Kontrolleuren in rund 80 weiteren Ländern. Guthaben auf Konten, Zinsen, Dividenden, Einnahmen aus Finanzgeschäften – alles wird automatisch transparent. Wie es bei diesem Verfahren aber um Datenschutz und Menschenrechte steht, ist fraglich.

Der FDP-Finanzexperte Markus Herbrand äußert gegenüber unserer Redaktion Bedenken, dass sensible Daten unbemerkt in die Hände von autoritären Regimen wie Russland, China oder Saudi-Arabien gelangen können. Bestärkt sieht er sich durch Auskünfte aus dem Haus von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) auf Parlamentsanfragen.

Bundesregierung sieht Vertraulichkeit gewährleistet

Der Informationsaustausch funktioniert so: Hat ein Bürger ein Konto im Ausland, sendet das jeweilige Land automatisch Finanzdaten an die Heimatbehörden. Das sei auch ein wichtiges Anliegen, befindet Herbrand: „Sie rechtfertigen aber keine Abstriche beim Datenschutz hochsensibler Finanzdaten.“

Das Finanzministerium betont in einem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, dass die Vertraulichkeit und Datensicherheit beim Austausch der Finanzdaten von vier jeweils vierköpfigen Prüfungsteams untersucht werde – neben der Auswertung von Fragebögen hat es teils auch Vor-Ort-Prüfungen gegeben, was in China, Russland und Saudi-Arabien der Fall war.

Diese Vorkehrungen „geben der Bundesregierung die hinreichende Gewissheit, dass eine vertragswidrige Verwendung der übermittelten Informationen nicht zu befürchten ist“, betont das Ministerium.

Politiker sieht regierungskritische Aktivisten in Gefahr

Dagegen liege es für Herbrand „auf der Hand, dass sich Regierungskritiker in diesen und anderen AIA-Partnerländern eben nicht auf den Schutz ihrer aus Deutschland übermittelten Daten verlassen können“.

Dies habe zum Ergebnis, dass Hongkonger Freiheitsaktivisten, türkische Journalisten oder aserbaidschanische Oppositionspolitiker damit rechnen müssten, dass mögliche Einnahmen in anderen Ländern bei Scheinprozessen oder politisch gelenkten Kampagnen gegen sie instrumentalisiert werden, betont der FDP-Politiker.

Menschenrechtsbeauftragte spricht sich für starke Kontrolle aus

Da es weder eine Einspruchsgelegenheit für die Datenweitergabe noch die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die weitergeleiteten Daten gebe, kämen zudem rechtsstaatliche Fragen auf. Auch werde das durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und EU-Bestimmungen geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung verneint.

Ob Datensätze richtig waren und der Datenschutz in Saudi-Arabien eingehalten werde, erfährt der in Deutschland lebende saudi-arabische Friedensaktivist erst bei seiner nächsten Einreise in die Heimat, kritisiert Herbrand. Er fordert: „Der Kampf gegen Steuerhinterziehung muss an dieser Stelle in Einklang gebracht werden mit dem Recht an den eigenen Daten.“ Libra und Co.: EU will strengere Regeln für Kryptowährungen

Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), teilt die Bedenken. In einem Schreiben an Herbrand sprach sie sich für starke Kontrollmechanismen für die Einhaltung der Sorgfaltspflichten aus.