Salzgitter. Bei der Hannover Messe erläuterte Konzern-Chef Groebler den Stand der Transformation von Kohle zu Wasserstoff in der Stahlproduktion.

Die Salzgitter AG will, sofern es nach Plan verläuft, bereits im übernächsten Jahr 1,9 Millionen Tonnen grünen Stahl produzieren – das geht aber nur, wenn genug Wasserstoff vorhanden ist. Auf der Hannover Messe stand Gunnar Groebler, Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG, Rede und Antwort zur laufenden Transformation. Dabei betonte er, dass die Salzgitter AG zielstrebig daraufhin arbeite, dass sie erfolgreich ist. Doch die Liste der Fragezeichen ist lang.

Die erste Ausbaustufe der neuen, grünen Stahlproduktion soll 2026 fertig sein. Bei dem neuen Produktionsverfahren entstehen im Idealfall 95 Prozent weniger CO₂, weil statt Kohle Wasserstoff verwendet wird. Der grüne Stahl sei somit klimafreundlich, heißt es in der Branche. Die Salzgitter AG nennt ihren CO₂-armen Stahl „Salcos“: Der Name steht für „Salzgitter Low CO₂ Steelmaking“. Kritiker sagen, dass grüner Stahl ein Mythos sei. Denn der Stromverbrauch, der für die Produktion einer hinreichenden Menge Wasserstoffs notwendig ist, sei enorm.

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Der Salzgitter AG fehlt zu 2026 fast der gesamte für grünen Stahl benötigte Wasserstoff

In Deutschland wurden 2023 laut dem Statistikportal Statista 32,8 Millionen Tonnen Stahl produziert. Würden die Stahlproduzenten diese Menge im neuen Verfahren im sogenannten Elektrolichtbogenofen produzieren, würden diese Anlage nach Berechnungen auf Grundlage einer Studie der Consulting-Firma Roland Berger etwa die Hälfte des gesamten erneuerbaren Stroms aus dem Jahr 2023 benötigen, etwa 132 Terawattstunden. Und nicht nur das: Auch der Wasserstoff, der vorher bei der Direktreduktion benötigt wird, müsste aus grünem Strom hergestellt sein, damit der Stahl grün ist. Der Industriestandort Salzgitter bereitet sich bereits darauf vor, indem eine Industrieleitung für grünen Strom gebaut wird.

Bei der Salzgitter AG soll die erste Industrieanlage, die grünen Stahl produzieren kann, 2026 fertiggestellt werden. Diese erste Ausbaustufe benötige etwa 150.000 Tonnen Wasserstoff im Jahr, so der Konzern. 6 Prozent davon, also 9000 Tonnen Wasserstoff, könne die bis dahin erbaute, hauseigene Wasserstoff-Anlage herstellen. Die Salzgitter AG trat bereits einer Allianz bei, die intensiv an der Beschaffung von Wasserstoff arbeitet. Zudem schlossen sie einen Vertrag mit dem Energiedienstleister EWE, der bis zu 40.000 Tonnen jährlich liefern soll. Dennoch ist es möglich, dass nicht genug Wasserstoff zusammenkommt.

Die neue Anlage der Salzgitter AG kann auch Erdgas nutzen

„Wir können in unserer Anlage sowohl Erdgas als auch Wasserstoff verwenden“, erklärt Gunnar Groebler. Es sei technisch möglich, den Wasserstoffanteil flexibel hochzufahren. „Auch bei Stahl, den wir mit Erdgas produzieren, sparen wir im Vergleich zu der Produktion mit Kohle etwa 60 Prozent der CO₂-Emissionen ein“, sagt er. Die Flexibilität bei der Gaszufuhr sei notwendig, denn der Wasserstoffmarkt sei bisher in Europa kaum existent, die benötigte Menge kaum aufzutreiben. Außerdem sei Wasserstoff deshalb aktuell teuer – perspektivisch zu teuer.

Der Wasserstoff-Markt müsse wachsen, um grünen Stahl kostendeckend herstellen zu können, sagt Groebler. Wenn es günstiger sei, Stahl mit Kohle und CO₂-Kosten zu produzieren, als ihn grün herzustellen, werde dies in Zukunft zum Problem. „Wir müssen international konkurrenzfähig produzieren. Mit den aktuellen Preisen wird das nicht gehen“, sagt Groebler. „Wenn aber die Wasserstoffwirtschaft erst einmal aufgebaut ist, sinken auch die Preise.“ Potenzial für die Wasserstoffproduktion sieht er unter anderem in grünem Strom aus Offshore-Windparks.

Wegen der CO₂-Einsparungen interessieren sich viele Kunden für grünen Salzgitter-Stahl

Bis dahin helfe der Salzgitter AG, dass sie als Pionierin bei grünem Stahl zunächst kaum Konkurrenz habe. Das Angebot sei gering, aber die Nachfrage vorhanden. Das Unternehmen habe bereits Kunden gefunden, die bereit seien, Premium zu zahlen; das heißt, sie zahlen einen Preis, der sich für das Stahlunternehmen trotz der hohen Wasserstoffkosten rechnet. Groebler beschrieb die vorteilhafte Marktlage mit den Worten „die Knappheit gibt ein Preissignal“.

Kunden fragten grünen Stahl nach, weil sie sich ein CO₂-armes Endprodukt wünschen, sagt Groebler. Er deutete sogar einen potenziellen Großkunden an. „Ich habe am Wochenende einen Bürgermeister einer Großstadt gesprochen. Dort planen sie eine neue U-Bahn und haben Interesse an grünem Stahl.“ U-Bahnen sind für Großstädte eine Platz schonende Möglichkeit, den öffentlichen Personennahverkehr auszubauen.

Salzgitter AG hofft, bei grünem Stahl auch auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein

Das Problem: Tunnel sind aus CO₂-Klimasicht eine Katastrophe. Der benötigte Stahl und der Beton setzen laut einer Studie zur Erweiterung der Berliner U-Bahn große Mengen CO₂ frei. Grüner Stahl würde die CO₂-Kosten erheblich reduzieren. So erhofft sich die Salzgitter AG, die Transformation finanzieren zu können: Premium-Preise, während die Produktion klein und teuer ist und niedrige Weltmarkt-Preise, sobald grüner Stahl die Norm ist und Wasserstoff lokal und günstig zu haben ist.

Um noch nachhaltiger zu sein, passt das Stahlunternehmen auch die Infrastruktur auf der Rohstoffseite an. Neben Eisenerz will die Salzgitter AG in der Stahlproduktion künftig vermehrt Recyclat, also Schrott, verwenden. Dafür investiert der Konzern gerade 30 Millionen Euro in einen neuen Schredder. „Wir gehen davon aus, dass in unserer Anlage bis zu 30 Prozent des Rohstoffs für Stahl künftig Schrott sein kann“, erklärt Groebler.

Salzgitter AG verkündet auf der Hannover Messe große Neuigkeiten

Auf der Hannover Messe bewegten den Stahlkonzern zudem zwei Neuigkeiten. Die Salzgitter AG verkündete, dass sie mit dem Gasversorger Uniper einen Vorvertrag abgeschlossen hat: Ab 2028 soll das Unternehmen 20.000 Tonnen Wasserstoff jährlich für die Produktion des grünen Stahls liefern. Das Gas von Uniper solle aus der bis dahin gebauten Wasserstoff-Produktionsanlage in Wilhelmshaven kommen. Doch gibt es bisher kein Pipeline-Netz, um das Gas zu transportieren. Mehrfach forderte das Unternehmen deshalb, dass Politik und Pipeline-Betreiber die Betriebe schnellstmöglich verbinden müssten.

Die zweite große Neuigkeit gaben die Wirtschaftsvereinigung Stahl und das Wirtschaftsministerium bekannt. Sie einigten sich auf „Low Emission Steel Standards“, kurz „LESS“. Es handelt sich dabei um Definitionen und Standards für CO₂-armen, also grünen Stahl.

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