Wolfenbüttel. Auch der Bundesrechnungshof watscht die Energiewende ab. Professor Jürgen Kuck von der Ostfalia beschreibt, wie es besser laufen könnte.

Unter der Überschrift „Energiewende nicht auf Kurs“ hat der Bundesrechnungshof Anfang März seinen Bericht zur Umsetzung der Energiewende veröffentlicht und der Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Untersucht wurden die Aspekte Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit der Stromversorgung. In dem Bericht heißt es: „Die Versorgungssicherheit ist gefährdet, der Strom ist teuer, und Auswirkungen der Energiewende auf Landschaft, Natur und Umwelt kann die Bundesregierung nicht umfassend bewerten. Dies birgt erhebliche Risiken für den Wirtschaftsstandort Deutschland sowie die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung.“ Der Bundesrechnungshof agiert als unabhängige Behörde zur Finanzkontrolle.

Ostfalie-Energieexperte Jürgen Kuck kritisiert die aus seiner Sicht zu hohen Strompreise in Deutschland. (Archivfoto)
Ostfalie-Energieexperte Jürgen Kuck kritisiert die aus seiner Sicht zu hohen Strompreise in Deutschland. (Archivfoto) © Flentje, Rudolf

Professor Jürgen Kuck, Energieexperte der Ostfalia-Hochschule in Wolfenbüttel, schließt sich der Kritik an. „Die Energiewende ist ein Experiment. Wenn die ersten Ergebnisse eines Experimentes zeigen, dass es nicht funktioniert, sollte man es besser abbrechen“, sagt er. Dieses Urteil dürfe aber nicht gleichgesetzt werden mit der generellen Absage an eine Energiewende. Kuck: „Wir müssen dringend etwas tun. Aber wir tun das Falsche.“

Kuck: Strompreis im internationalen Vergleich viel zu hoch

Einer seiner zentrale Kritikpunkte: Der Strompreis sei im internationalen Vergleich viel zu hoch. Das habe auch mit den deutlich gestiegenen Netzentgelten zu tun. Kuck: „Vor zehn Jahren hatten wir für Großverbraucher 2 Cent Nutzungsentgelt je Kilowattstunde, im vergangenen Jahr waren es schon 4 Cent je Kilowattstunde, und nun sind es sogar 7,5 Cent je Kilowattstunde – das ist fast eine Vervierfachung in zehn Jahren.“ Belastet würden dadurch vor allem stromintensive Unternehmen – zum Beispiel die Stahlindustrie.

Zumal stromintensive Betriebe nicht von der Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Zuschlags und der Senkung der Stromsteuer profitieren würden. Davon seien sie ohnehin befreit gewesen. „Die Folge: Ein stromintensiver Betrieb hatte Anfang 2021 noch Stromkosten von 6 Cent je Kilowattstunde, heute aber 16 Cent je Kilowattstunde“, kritisiert Kuck.

Energiewende kostet viele Milliarden Euro

Dass der Ausbau erneuerbarer Energien aus dieser Kostenfalle führt, sei ein Irrglaube. Kuck: „Das Gegenteil wird der Fall sein. Die erneuerbaren Energien müssen nach wie vor schon auf der Ebene der Erzeugung subventioniert werden. Das sogenannte EEG-Konto, aus dem die Vergütungen an die Betreiber finanziert werden und das wir alle einmal mit Aufschlägen auf unsere Stromrechnungen gefüllt hatten, wies Anfang 2023 noch einen Stand von 15 Milliarden Euro auf, Ende des Jahres war es fast leer.“

Der künftige Finanzierungsbedarf liege bei mindestens 10 Milliarden Euro pro Jahr. „Das muss aus Steuermitteln finanziert werden. Und hinzu kommen die Kosten für den Netzausbau“, sagt er. Die Bundesnetzagentur spreche bei den Übertragungsnetzen, den „Stromautobahnen“, von einem Investitionsbedarf von mindestens 314 Milliarden Euro bis 2045. Weitere 150 Milliarden Euro würden für den Ausbau der Verteilnetze, also der Orts- und Regionalnetzen, anfallen.

Kuck fordert: Ausstieg aus der Steinkohle stoppen, Wiedereinstieg in die Kernenergie

„Hinzu kommen die Investitionen in die sogenannten Schattenkraftwerke, die einspringen müssen, wenn nachts einmal kein Wind weht. Und das ist nur der Stromsektor. Dazu kommen die Kosten für Wärmedämmung, Wärmepumpen, Umstellung auf Wasserstoff und Strom in der Industrie und so weiter“, sagt Kuck.

Die Unternehmensberatung McKinsey habe ein Gesamtinvestitionsvolumen von 6 Billionen Euro genannt. „Das ist nie und nimmer wirtschaftlich“, attestiert Kuck. Sein Ansatz, um die Preisspirale zu stoppen: „Ausstieg aus der Steinkohle stoppen, Wiedereinstieg in die Kernenergie. Das CO2 aus der Steinkohle müsste dann unterirdisch eingelagert werden, um das Klima nicht zu belasten.“

Zudem verringere sich durch die Strategie nicht die Abhängigkeit Deutschlands von Energielieferanten aus dem Ausland. „In Zukunft müssen wir grünen Wasserstoff oder aus grünem Wasserstoff hergestellte Stoffe importieren – und das wird richtig teuer“, ist Kuck überzeugt.

Kuck: CO2-Ausstoß sinkt, weil weniger produziert wird

Nach seiner Einschätzung leistet die Energiewende auch nicht den von der Politik erhofften Beitrag, wenn es um das Senken des CO2-Ausstoßes geht. Das Argument, dass der CO2-Ausstoß bereits reduziert wurde, ziehe nicht. Kuck: „Wir sind in einer Rezession, während die Weltwirtschaft um drei Prozent gewachsen ist.“

Der Umsatz der chemischen Industrie sei in den ersten drei Quartalen 2023 gegenüber dem Vorjahr um 23 Prozent eingebrochen, die Rohstahlproduktion sei auf das Niveau von 1960 gesunken. Auch die inländische Stromerzeugung sei deutlich zurückgegangen. Kuck: „In einem amerikanischen Nachrichtendienst wurde das mit folgenden Worten kommentiert: ,Mit sinkenden Emissionen zu prahlen, wenn sich die Stromerzeugung im freien Fall befindet, ist ein bisschen so, als würde man nach einer Amputation damit prahlen, dass man abgenommen hat‘.“

Alternative: CO2 unterirdisch einlagern, Förderung fossiler Energien einstellen

Das Umstellen der Stahl- und Chemieindustrie auf Wasserstoff bringe in der Gesamtbilanz des CO₂-Ausstoßes keine Vorteile, sagt der Energie-Experte. „Nicht einmal innerhalb Europas. Alle diese Anlagen unterliegen dem Europäischen Emissionshandel. Wenn sie kein CO₂ mehr ausstoßen, machen sie also nur Platz für Mehremissionen zum Beispiel in der polnischen Stahlindustrie. Oder anders: Wenn sie keine Emissionszertifikate mehr nachfragen, sinkt der CO₂-Preis zur Freude der anderen.“ Der Preis sei sogar schon gesunken. „Alles, was wir hier machen – mehr erneuerbare Stromerzeugung, Umstellung auf Wasserstoff – trägt dazu bei, dass er weiter sinkt.“

Um den CO2-Ausstoß weltweit zu beenden, gibt es laut Kuck nur zwei Alternativen an: Kurzfristig das unterirdische Einlagern von CO2 und langfristig das Aus für die Förderung von Kohle, Gas und Erdöl aus dem Boden. „Wir sollten von dem Geld, das wir für die Subventionierung von Ökostrom oder Wasserstoff ausgeben, lieber weltweit private Kohleminen oder Ölquellen aufkaufen und stilllegen. Und schließlich brauchen wir ein weltweites Kohlenstoffkartell, eine Art Super-OPEC, das im Auftrag der UNO festlegt, welcher fossile Brennstoff wo in der Erde zu bleiben hat und wie die Eigentümer dafür entschädigt werden. So könnten wir es noch schaffen.“