Wolfsburg. Die sportliche Perspektive spielt bei der Unterschrift des VfL-Wolfsburg-Stars in München eine Rolle. Es dürfte weitere Gründe geben.

Es war alles andere als eine normale Woche bei den Fußballerinnen des VfL Wolfsburg. Da waren der 3:0-Sieg im Spitzenspiel in der VW-Arena am Sonntag gegen Eintracht Frankfurt und die Trainingseinheiten am Mittwochnachmittag sowie am Donnerstagmorgen, die die Mannschaft mal nicht am Elsterweg absolvierte, sondern auf dem Platz vor dem großen Wolfsburger Stadion. Und dazwischen kam die Nachricht, die sich bereits am Tag nach dem Frankfurt-Sieg angedeutet hatte: Lena Oberdorf verlässt die Wölfinnen nach vier Jahren, sie zog eine Ausstiegsklausel in ihrem noch bis 2025 laufenden Vertrag und unterschrieb beim FC Bayern München bis zum Sommer 2028. Im Raum steht vor allem eine Frage: die nach dem Warum.

Lena Oberdorf begründet Wechsel: „Bin noch keine komplette Spielerin – da möchte ich aber hinkommen“

Den einen Grund gibt es wahrscheinlich nicht dafür. Oberdorf selbst sagt laut Pressemitteilung des FC Bayern: „Ich habe gute Gespräche mit Cheftrainer Alexander Straus und Abteilungsleiterin Bianca Rech geführt und die Vision des Vereins, was man in den nächsten Jahren erreichen möchte, hat mir sehr gut gefallen. Man hat mir auch gezeigt, wo meine Potenziale liegen und was man noch aus mir rausholen kann. Ich denke, ich bin noch keine komplette Spielerin – da möchte ich aber hinkommen. Bis Sommer werde ich für den VfL Wolfsburg weiterhin alles geben und freue mich dann auf die neue Herausforderung.“

Das alles führt zu einem ersten Punkt: dem sportlichen. Der Meister aus München untermauert seine großen Ambitionen, macht einmal mehr ernst und greift bei einem Transfer ins oberste Regal. Oberdorf, die die Fritz-Walter-Medaille in Gold (2020) gewonnen hatte, zählt zu den besten defensiven Mittelfeldspielerinnen der Welt. Sie hat mit 22 Jahren bereits 44 Länderspiele bestritten, für den VfL stand sie bisher in 102 Spielen (22 Tore, 14 Assists) auf dem Rasen, holte einmal den Meistertitel, dreimal den DFB-Pokal und stand in zwei Champions-League-Finals. Sie gilt als wertvollste deutsche Spielerin (Marktwert laut soccerdonna: 375.000 Euro) - und wird durch ihren Wechsel die teuerste. Gut 400.000 Euro lassen sich die Bayern Oberdorfs Dienste in diesem Jahr kosten, im kommenden wäre sie ablösefrei gewesen.

Oberdorf-Ausrüster Adidas könnte auch eine Rolle bei dem Wechsel gespielt haben

Ihre Aussage lässt sich so lesen, dass sie in München sowohl die besseren Möglichkeiten sieht, zu einer kompletteren Spielerin zu werden als auch größere Chancen sieht, um die ganz großen Titel mitzuspielen. Dabei hatte halb Europa die Mittelfeldspielerin gejagt, sie hätte sich ihren neuen Verein aussuchen können. Dass es der nationale Hauptkonkurrent FC Bayern geworden ist, könnte ein Grund dafür sein, warum die obligatorischen Zukunftswünsche in der VfL-Mitteilung gänzlich fehlen. Und das direkte Duell gibt es noch mindestens einmal in der Liga (Samstag, 23. März, 17.45 Uhr), vielleicht ein weiteres ab dem DFB-Pokal-Halbfinale.

Lena Oberdorf, hier während einer Nationalmannschaftsmaßnahme in Herzogenaurach, wird auch von Adidas ausgestattet.
Lena Oberdorf, hier während einer Nationalmannschaftsmaßnahme in Herzogenaurach, wird auch von Adidas ausgestattet. © imago | Eibner-Pressefoto/Memmler

Äußern wollte sich am Donnerstag auch Trainer Tommy Stroot nicht zu dem Wechsel einer seiner wichtigsten Spielerinnen, die für Freitag angesetzte Audio-Konferenz mit dem Chefcoach wurde „aus organisatorischen Gründen“ - geänderte Abläufe wegen des Trainings an der VW-Arena - am Donnerstag noch kurzfristig abgesagt. Der VfL weiß dabei natürlich auch: Das Bundesliga-Auswärtsspiel beim 1. FC Nürnberg (Samstag, 12 Uhr) wäre dabei in den Hintergrund gerückt.

Hier lesen Sie einen Kommentar zu Lena Oberdorfs Wechsel zum FC Bayern

Auch finanziell wird Oberdorf mit dem Gang nach München einen Sprung nach vorne machen. Nicht zu vergessen ist dabei, dass ihr persönlicher Ausrüster Adidas Großaktionär beim FC Bayern ist, Anteile von 8,3 Prozent hält. Das könnte dafür sorgen, dass sich der Wechsel auch dann lohnt, wenn man es nicht am reinen Gehalt misst, laut Sportbild sollen das 20.000 Euro im Monat sein. Ein weiterer Vorteil: Oberdorf läuft nicht mehr im Wolfsburger Nike-Trikot auf.

Der Wohlfühlfaktor spielte bei Oberdorfs Entscheidungen immer eine wichtige Rolle

Wenn es nur das Finanzielle wäre, dann wäre Oberdorf allerdings vermutlich ins Ausland gegangen - oder schon damals zum FC Bayern. Auf die Füße fällt ihr dieser Tage eine Äußerung aus dem Sommer 2022. Vor der EM in England sagte sie mit Blick auf den Song der „Toten Hosen“, „ich würde nie zum FC Bayern gehen“: „Ja, klar, kenne ich! Ich kann mir auch nicht vorstellen, zu den Bayern zu gehen.“ Na klar: Oberdorf trug in dem Moment ihr Herz vielleicht zu sehr auf der Zunge; sie hat eine erfrischende, manchmal auch ehrlich entwaffnende Art. Was zu bedenken ist: Es war vor der EM, nach der die deutschen Fußballerinnen so plötzlich in den großen medialen Fokus gerückt sind. Und Meinungen können sich ändern. Kommt ein auf mehreren Ebenen lukratives Angebot von BMW, dann wird vielleicht auch der eine oder andere VW-Mitarbeiter schwach.

Eigentlich noch wichtiger als das rein Finanzielle war Oberdorf 2020 der Wohlfühlfaktor. Der VfL habe ihr damals ein besseres Gefühl gegeben. Nun allerdings blickt sie auf eines der schwierigsten Jahre überhaupt zurück. Zwischenzeitlich hatte die 22-Jährige die Lust am Fußball verloren, war verletzt und musste auch sportlich zahlreiche Rückschläge einstecken. Das verlorene Königsklassen-Finale gegen den FC Barcelona, das WM-Vorrunden-Aus, die verpasste Champions-League-Quali mit Wolfsburg. Auch sie selbst war mit ihrer Form nicht zufrieden. Im Januar erzählte sie sehr offen: „Ich glaube, ich kann auch über mich sagen, dass ich in der Hinrunde nicht das gespielt habe, was ich kann. Ich war da auch mental gut beschäftigt mit meiner Leistung.“ Obi sagte weiter: „Jetzt geht es für mich persönlich darum, diese alte Lena wiederzufinden.“ Auffällig zudem: Nachdem sie vor der WM auch über ihr privates Glück mit ihrer Freundin sprach, sind die Bilder aus der Zeit aus ihrem Instagram-Profil nahezu verschwunden.

Im Spiel gegen Eintracht Frankfurt zeigte sich Lena Oberdorf wieder von ihrer ganz starken Seite. Womöglich lag das auch daran, dass sie die Zukunftsfrage für sich geklärt hatte.
Im Spiel gegen Eintracht Frankfurt zeigte sich Lena Oberdorf wieder von ihrer ganz starken Seite. Womöglich lag das auch daran, dass sie die Zukunftsfrage für sich geklärt hatte. © Sport | Sebastian Priebe

Auf dem Platz hat sie sich wiedergefunden. Gegen Frankfurt zeigte „Obi“ eine extrem starke Leistung. Daneben wirkt sie grundsätzlich reichlich befreit, macht auch in Interviews und nach den Spielen mit den Fans wieder einen lockereren Eindruck, nachdem sie der VfL in der ersten Halbserie vor Medienanfragen weitgehend abgeschirmt hat. So sehr den VfL die Entscheidung Oberdorfs sportlich schmerzt: Die Entscheidung pro München - und das ist nicht erst in dieser Woche passiert - scheint ihr selbst gutgetan zu haben. Das ist zumindest eine gute Antwort für die immer noch erst 22 Jahre alte Wolfsburger Topspielerin.