Braunschweig. Nach den Vorfällen in Braunschweig erklärt ein Experte der Polizei, wann Abschreckung und wann Kommunikation das Mittel der Wahl ist.

Nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen rund um das Spiel Eintracht Braunschweig gegen Hertha BSC sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Während Politik und Polizei Aussagen widersprechen, der Einsatz sei aus dem Ruder gelaufen, hielten Fans im Stadion zuletzt Banner hoch. Auf diesen wurden vermeintliche Verletzungen durch Übergriffe der Polizei dokumentiert.

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Günther Epple ist Experte für Stadioneinsätze an der Hochschule der Polizei in Münster. Zunächst als Streifenpolizist in München tätig, hat er früh, unter anderem als Führer einer Hundertschaft, mit Einsatzlagen rund um das Fußballstadion zu tun gehabt. Heute bildet er als Leitender Polizeidirektor die Führungskräfte der Zukunft aus. Sein Fachgebiet ist das polizeiliche Einsatzmanagement, das nicht nur die Einsatzleitung von Fußballspielen umfasst, sondern auch bei Demonstrationen oder bei Geiselnahmen.

Günther Epple, Leitender Polizeidirektor an der Hochschule der Polizei in Münster, schult die Führungskräfte der Zukunft, die auch in Einsatzlagen wie Risikospielen kühlen Kopf behalten sollten.
Günther Epple, Leitender Polizeidirektor an der Hochschule der Polizei in Münster, schult die Führungskräfte der Zukunft, die auch in Einsatzlagen wie Risikospielen kühlen Kopf behalten sollten. © Hochschule Polizei Münster | Hochschule der Polizei Münster

Mit Polizei-Fachmann Epple (58) sprach diese Redaktion über...

... die aktuelle Lage zu Einsätzen der Polizei im Stadion:

Bei der Debatte muss man aufpassen, dass man angesichts der jüngsten Auseinandersetzungen nicht außer Acht lässt, dass bei den allermeisten Spielen nichts passiert. Das sehen wir an der Anzahl eingeleiteter Ermittlungsverfahren an den Spieltagen, aber auch an der Zahl verletzter Personen. Und dennoch bleibt das Thema an fast jedem Wochenende präsent. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: über ein für die Polizei problemlos verlaufendes, vielleicht sogar sportlich eher langweiliges Spiel wird nicht berichtet. Klar ist, Spiele, in denen das Risiko hoch ist, dass es zu Auseinandersetzungen kommt, werden von der Polizei mit einer großen Kräftezahl beantwortet. Das ist eine Form von Abschreckung, die verstanden wird. Aber auch diese Erkenntnis ist keine neue.

... veränderte Taktiken der Polizei und Kommunikationsformen:

Hochbrisante Spiele, wie beispielsweise Derbys, waren schon immer mit massiver Polizeipräsenz verbunden. Geändert hat sich aber beispielsweise in den vergangenen etwa 25 Jahren, dass die Polizei heute viel stärker auf die Kommunikation mit den Fans setzt, auch unmittelbar am Spieltag. Die Erklärung von Maßnahmen über Lautsprecherdurchsagen hat es früher so nicht gegeben. Diese Mittel müssten aus meiner Sicht teilweise noch viel stärker genutzt werden. Zu erklären, was man macht, ist ein guter Weg, Aggressivität erst gar nicht aufkommen zu lassen.

... die Frage, wo staatliche Hoheitsaufgaben anfangen und wo sie enden:

Die Grundannahme ist, dass die Sicherheit im Stadion vom Veranstalter zu gewährleisten ist. Die neuen modernen Arenen, die wir mittlerweile in den oberen Ligen fast flächendeckend haben, bieten auch baulich die Möglichkeit, die Fan-Gruppen gut zu trennen. Intensiv ist für die Polizei insbesondere die „letzte Meile“ rund um die Ankunft der Fans am Stadion. Ich würde mir von dem ein oder anderen Verein an der ein oder anderen Stelle deutlich mehr Kooperation wünschen. Wir müssen als Polizei teilweise für Bus-Shuttle der Auswärtsfans oder das Aufstellen von Dixi-Klos an der Wegstrecke sorgen. Aus meiner Sicht ist es überhaupt nicht zielführend, wenn man sich als Veranstalter auf den Grundsatz zurückzieht: Für das, was rund um das Stadion passiert, bin ich nicht zuständig. Schließlich sind es die eigenen Fans, die in der Mehrzahl sind und eine sichere An- und Abreise vom Stadion erwarten.

... Gründe, warum die Polizei den Zutritt zum Stadion benötigt:

Wir bemerken, dass sichtbare Präsenz der Polizei im Eingangsbereich eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Störer hat. Einsatzkräfte müssen auch immer versuchen, die Wege zu potenziellen Konfliktherden, so kurz wie möglich zu halten. Das ist keine theoretische Debatte, sondern praktische Erfahrung, wenn Kassenbereiche gestürmt werden oder Diebstähle von Fan-Utensilien im Stadionumlauf passieren. Würde man sich als Polizei wie im Alltag verhalten, wo die Streife erst nach der Tat gerufen wird, wäre die Aufklärung von Straftaten vermutlich kaum noch möglich.

... die besondere Situation, den Block „zu stürmen“:

Das passiert als Ultima Ratio, wenn Leib und Leben in Gefahr sind. Wir wissen, was dann im Zweifel auf uns zukommt. Das haben wir beim Spiel von St. Pauli gegen Hannover 96 gesehen. Aber grade in solchen Fällen müssen wir schnell vor Ort sein und können nicht erst eine Distanz von mehreren Kilometern überwinden.

... den Vorwurf einiger Fans, massive Polizeipräsenz provoziere erst Gewalt.

Mit solchen Aussagen habe ich schon ein Problem, denn das Stadion ist kein rechtsfreier Raum. Ich glaube auch nicht, dass diese Aussagen mehrheitsfähig sind. In jüngsten Umfragen sagten fast 85 Prozent der Besucher, dass sie sich im Stadion sicher fühlten. Solche Werte kommen nicht zustande, wenn die Polizei als Provokateur von Gewalt betrachtet wird.

... die Kommunikation mit den Ultras:

Protestbanner in der Südkurve gegen den aus Sicht der Fans unverhältnismäßigen Einsatz der Polizei beim Heimspiel gegen Hertha BSC. Polizei-Experte Günther Epple sagt, eine kleine, radikale Gruppe der Fan-Szene habe sich völlig dem Dialog mit Verein und Polizei verweigert.
Protestbanner in der Südkurve gegen den aus Sicht der Fans unverhältnismäßigen Einsatz der Polizei beim Heimspiel gegen Hertha BSC. Polizei-Experte Günther Epple sagt, eine kleine, radikale Gruppe der Fan-Szene habe sich völlig dem Dialog mit Verein und Polizei verweigert. © regios24 | Darius Simka

Es gibt einen kleinen, sehr radikalen Teil innerhalb der Fan-Szene, die sich der Kommunikation nicht nur mit der Polizei, sondern auch mit dem eigenen Verein vollkommen verweigert. Diese Gruppen entwickeln ihre Macht auch mithilfe sehr aggressiver Umgangsformen. Wie anders ist die geringe Zahl an aktuell umgesetzten Stadionverboten bundesweit zu erklären (Anmerkung der Redaktion: circa 340), die in keinem Verhältnis zu den Millionenstrafen steht, die der DFB jährlich nach Fan-Vergehen kassiert. Für die Durchsetzung der Verbote sind nicht Polizei, sondern die Vereine zuständig. Insgesamt wünsche ich mir, dass die Fußballvereine den Dialog mit diesen Gruppen in ihrem Umfeld intensivieren.

... mögliche gemeinsame Interessen von Polizei und aktiver Fan-Szene, was die Anstoßzeiten betrifft:

Da gibt es Schnittmengen, die man so nicht erwarten würde. Fußballspiele am Abend stellen für die Polizei sicherlich eine besondere Herausforderung dar. Auch wir hätten daher nichts gegen einen weniger zerstückelten Spielplan. Aber der Wegfall von Abendspielen ist genauso utopisch, wie zu glauben, dass hier irgendeine Schraube zurückgedreht wird. Das Pendel ist schon längst in Richtung Kommerz und zu Ungunsten von mehr Sicherheit ausgeschlagen.