Braunschweig. Polizei und Eintracht arbeiten die Eskalation auf, Innenministerin Behrens macht den Fall zur Chefsache. Ziehen Verletzte vor Gericht?

Schon am Montagvormittag nahm die Aufarbeitung der Geschehnisse des Samstags mehr Fahrt auf. Eintracht-Fans gegen Polizei, Polizei gegen Eintracht-Fans. Wer trägt die Schuld für die „schlimmen Szenen“ und die „massive Gewalteskalation“, wie es Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) drastisch beschreibt? Am Samstagabend und Sonntag galt in Detailfragen noch: Die einen sagen so, die anderen sagen so. Der Fußball-Zweitligist hatte Darstellungen der Polizei per Mitteilung teils widersprochen, zudem die Zahl der Verletzten aufseiten der Fans klar nach oben korrigiert. Wie ging es danach weiter?

Vormittags zu Wochenbeginn wurde miteinander und nicht übereinander gesprochen. Eintracht und Polizei Braunschweig pflegen ein gutes Verhältnis miteinander, der Dialog ist beiden Seiten enorm wichtig. Der Klub hatte sich am Samstagabend in dem Konflikt zwischen Polizei und Fans ungewohnt deutlich in Richtung seiner Anhängerschaft positioniert und die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes hinter der Südkurve infrage gestellt, versehen mit einer klaren Forderung: „Wir appellieren an die Polizei, diese Vorgänge transparent, lückenlos und vollständig aufzuklären.“

Randale nach Eintracht-Spiel: Innenministerin Behrens macht den Fall zur Chefsache

Klar ist: Die Auseinandersetzungen schlagen hohe Wellen. Auch im Innenministerium in Hannover wird der Druck offenbar hochgehalten. Aufklärung ist Pflicht - und wird zur Chefsache. „Die Polizeidirektion Braunschweig wurde durch mein Haus gebeten, einen entsprechenden Bericht vorzulegen - diesen gilt es zunächst, abzuwarten“, sagt Ministerin Behrens unserer Zeitung. Dass die SPD-Politikerin so einen Bericht anfordert und rund um den Einsatz klar kommuniziert, darf als Zeichen der Ernsthaftigkeit gewertet werden. Zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten, ein geschocktes Kind, riesengroße Aufmerksamkeit. Das sind keine Kleinigkeiten.

René Lau, Berliner Fachanwalt für Strafrecht und Sportrecht, ist seit knapp 30 Jahren im Geschäft und Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft Fan-Anwälte. Er hat schon viel gesehen, viel gehört, viel erlebt. Seine Einschätzung über die Geschehnisse des Samstags ist eindeutig: „Wenn man sieht, dass ein Kind verletzt worden ist, dann kann so ein Einsatz nie verhältnismäßig gewesen sein.“ Wo verläuft die Schwelle zwischen beiden Polen? „Unverhältnismäßig ist ein Polizeieinsatz immer dann, wenn über das Maß des notwendigen polizeilichen Handelns etwas passiert ist. Und das ist ja hier der Fall“, sagt Lau unmissverständlich. Und: „Der Einsatz ist aus meiner Sicht völlig aus dem Ruder gelaufen.“

Die Polizei bietet Betroffenen ein Gespräch an

Die Polizei nimmt die Aufarbeitung ernst. Insbesondere der Fall des jungen Mädchens, deren Alter vom Verein von fünf auf acht Jahre korrigiert wurde, ist der Polizei „besonders wichtig“. Sie teilte am Montag mit, durch „Presseberichte und Statements“ davon erfahren zu haben, dass das Mädchen wie von Eintracht berichtet „eine Schädelprellung“ und „einen schweren Schock“ erlitten habe, nachdem es von „Polizisten überrannt“ worden sein soll. „Da wir, aufgrund des dynamischen Geschehens, nicht ausschließen können, dass möglicherweise doch ein Kind zu Fall gekommen ist, bitten wir Zeugen oder Geschädigte, sich bei uns zu melden. Sollte es zu verstörenden Situationen gegenüber Unbeteiligten und insbesondere Kindern gekommen sein, bedauern wir das. In diesem Fall würden wir den Betroffenen ein entsprechendes Gesprächsangebot unterbreiten.“

Die Polizei ist am Zug. Das ist wichtig. Denn es steht viel auf dem Spiel. Das Verhältnis zwischen Beamten und Ultra- sowie anderen Fangruppierungen ist angespannt, nicht nur in Braunschweig, sondern in der ganzen Fußball-Republik. Auch im europäischen Ausland scheinen die Konflikte zuzunehmen. Der Schweizer Fan-Forscher Alain Brechbühl sagte kürzlich im „Blick“, einer Tageszeitung: „Die Fronten sind aktuell verhärtet.“ Was für die Schweiz gelte, finde man aber auch in ganz Fußball-Europa wieder. Auch in Deutschland, auch in Braunschweig.

Mitte April steht das Derby zwischen Eintracht und Hannover an

Lau sagt: „Auf jeden Fall häufen sich solche Geschehnisse zuletzt. Das war früher nicht so. Die polizeilichen Repressalien haben zugenommen.“ Aber auch die Anzahl der Aggressionen, die vonseiten der Fans- und Ultragruppierungen ausgehen, dürfte im selben Zeitraum kaum gesunken sein.

Zwischen Harz und Heide ist der Blick auch daher geschärft, weil alsbald ein Event ansteht, für das schon seit Wochen Vorarbeit betrieben wird: Das Niedersachsenderby zwischen Braunschweig und Hannover steigt am Wochenende des 14. April. Ganz genau terminiert ist die Partie noch nicht, die Fixierung soll laut Deutscher Fußball-Liga diese Woche veröffentlicht werden. Das Traditionsduell ist nicht nur traditionell sportlich wichtig, sondern auch traditionell außersportlich brisant mit Ausnahmezuständen an den Spielorten.

Blau-Gelbe Fanhilfe will im Fall der Fälle mit Betroffenen der Ausschreitungen vor Gericht ziehen

Wird die Analyse des Samstags-Einsatzes in Braunschweig die Sicherheitsmaßnahmen zum Derby noch verstärken? Innenministerin Behrens hat sich in das Thema Sicherheit in und um Fußballstadien hineingebissen. Sie wirkt entschlossen.

Und die Braunschweiger Fans? Die arbeiten den Vorfall ihrerseits auf. Lau, so heißt es, könnte für sie anwaltlich tätig werden. Die Blau-Gelbe Hilfe, ein Verein, der Fans in Rechtsfragen unterstützt, kündigt an, vor Gericht ziehen zu wollen, so es die Verletzten denn wollen. „Die Frage ist, ob Menschen, die dort in Mitleidenschaft gezogen worden sind, sich dagegen wehren. Zum Beispiel zivilrechtlich etwa über Schadenersatzansprüche gegen die Polizei oder in diesem Fall gegen das Land Niedersachsen. Und jeder Betroffene kann das Verwaltungsgericht entscheiden lassen, ob dieser Polizeieinsatz in dieser Form rechtmäßig war“, sagt Lau. Seine Haltung dazu dürfte klar sein.

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