Essen. Die doppelte Staatsbürgerschaft steht nach einem CDU-Beschluss wieder auf der Kippe. Kritik kommt unter anderem von der eigenen Chefin.

Die CDU will nach einer heftigen Debatte auf dem Parteitag den Kompromiss mit der SPD zur doppelten Staatsbürgerschaft aufkündigen – und stellt sich damit gegen die Bundeskanzlerin. Eine knappe Mehrheit stimmte am Mittwoch in Essen für einen Antrag der Jungen Union, die sogenannte Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wieder einzuführen. Die SPD und die Grünen zeigten sich empört.

Auch CDU-Parteichefin Angela Merkel ist gegen den Beschluss. Es werde in dieser Legislaturperiode keine Änderung dazu geben und sie halte den Beschluss persönlich für falsch, sagte die CDU-Chefin am Mittwoch in Essen nach Ende des Parteitags vor Journalisten.

Bis 2014 wurden in Deutschland geborene Kinder von Ausländern zu Deutschen und behielten zunächst auch die Staatsangehörigkeit der Eltern. Zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr mussten sich die meisten aber entscheiden und einen ihrer beiden Pässe abgeben. Seit einer Vereinbarung von der schwarz-roten Koalition im Dezember 2014 können diese Kinder neben der Staatsangehörigkeit der Eltern auch die deutsche dauerhaft behalten.

Gabriel: „Schlag gegen die Integration“

SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nennt den Parteitagsbeschluss einen „Schlag gegen die Integration“.
SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nennt den Parteitagsbeschluss einen „Schlag gegen die Integration“. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Mit der SPD sei eine Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft nicht zu machen, sagte Parteichef Sigmar Gabriel. „Das ist ein schlimmer Beschluss“, sagte der Vizekanzler am Mittwoch in Berlin. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel habe sich ihr Wiederwahlergebnis beim CDU-Parteitag von 89,5 Prozent „erkauft“, indem sie nun den innerparteilichen Gegnern ihrer Flüchtlingspolitik die in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern opfere, sagte er. Merkel könne nicht knapp eine Million Flüchtlinge einladen „und sich dafür bejubeln lassen“, dann aber die hier geborenen Kinder schlecht behandeln.

Gabriel wies den CDU-Beschluss als einen „Schlag gegen die Integration“ zurück. Er gehe auch nicht davon aus, dass die Union noch vor der Bundestagswahl einen entsprechenden Vorstoß im Bundestag unternehmen werde, sagte er.

Es sei ganz offensichtlich, dass die CDU eine andere Politik wolle als ihre Vorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die in Deutschland geborenen Kinder von Ausländern würden symbolhaft benachteiligt, weil die CDU eine andere Flüchtlingspolitik wolle als Merkel.

Parteitagsbeschluss macht noch kein Gesetz

Auch Justizminister Heiko Maas (SPD) nannte eine Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft einen „riesigen Rückschritt für die Integration.“ Dies wäre eine Misstrauenserklärung gegen die weit überwiegende Mehrheit der Doppelstaatler, „die voll hinter unserem Grundgesetz steht“. Er betonte: „Der Doppelpass bleibt.“ SPD-Vize Aydan Özoguz erklärte: „Auf der Suche nach dem verlorenen Markenkern opfert die CDU wichtige Integrationserfolge.“

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) versicherte dem Parteitag: „Beschlüsse des Bundesparteitags werden natürlich in der Bundestagsfraktion ernst genommen.“ Die Union im Bund habe aber immer einen Koalitionspartner, mit dem sie über Beschlüsse sprechen müsse. Die Delegierten müssten Verständnis dafür haben, dass ein Parteitagsbeschluss nicht gleich Gesetzestext werden könne. Etwas anderes sei, Beschlüsse in einem Wahlprogramm für die Wahl 2017 zu verdeutlichen. CDU-Vize Thomas Strobl sagte der dpa: „Ist doch in Ordnung, wenn die CDU eine klare Position hat. Sie ist nur mit keiner anderen demokratischen Partei umsetzbar.“

Spahn: Entscheidung ist keine Zumutung

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU): „Man stößt die betroffenen jungen Leute vor den Kopf“
Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU): „Man stößt die betroffenen jungen Leute vor den Kopf“ © dpa | Michael Kappeler

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte in der Debatte noch gemahnt, es sei nicht schön, einen Kompromiss wieder zu kippen. Er kenne auch keinen möglichen Koalitionspartner, mit der die CDU das Votum gegen die doppelte Staatsbürgerschaft durchsetzen könnte. Außerdem werde den betroffenen jungen, in Deutschland aufgewachsenen Menschen vor den Kopf gestoßen. Die CDU sei auch mit dem Kompromiss grundsätzlich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, akzeptiere aber Ausnahmen. „Wir wollen das nicht rückabwickeln.“

CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn rief dann aber unter Jubel von Delegierten, natürlich müsse man in einer Koalition Kompromisse machen, „aber wir sind hier auf einem Parteitag“. Es sei keine Zumutung, den jungen Menschen eine bewusste Entscheidung abzuverlangen.

Maas: Beschluss für CDU nur mit AfD umsetzbar

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte, die CDU zwinge ihre Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel, die Einigung mit der SPD aufzukündigen. „Das wäre ein klarer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag“, betonte Oppermann. Das Votum des CDU-Parteitages zeige, dass die Kluft zwischen der Kanzlerin und ihrer Partei immer größer werde: „Die Kanzlerin bittet die Partei um Hilfe und bekommt stattdessen Knüppel zwischen die Beine geworfen.“ Maas ergänzte: „Die einzige Partei, mit der die CDU die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft umsetzen könnte, wäre die AfD.“

Grünenchef Cem Özdemir sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir Grüne wollen aus Ausländern Inländer machen, die sich unserem Grundgesetz verpflichtet fühlen. Die CDU will dagegen hier geborene und lebende Deutsch-Türken ausgrenzen und damit dem autoritären Herrscher Erdogan überlassen.“ (dpa)