„Der Rechnungshof lässt seiner Öffentlichkeitsarbeit die Zügel schießen. Die Polemik erinnert an die Skandalisierungsmechanik von Boulevardmedien.“

„Von Halbwahrheiten wird immer die falsche Hälfte geglaubt.“ Thornton Wilder

Der niedersächsische Landesrechnungshof hat es nicht leicht. Jahrein, jahraus sitzen die Prüfer an der Peiner Straße zu Hildesheim, neben sich den idyllischen Nordfriedhof, vor sich die widerstrebende Schar der Prüflinge, hinter sich eine lange Liste annähernd folgenlos verhallter Rügen. Nicht wenige sagen: Der Rechnungshof ist ein Tiger ohne Zahn. Es wäre menschlich verständlich, wenn sich in den schuhkartonartigen Dienstgebäuden der Glaube durchgesetzt hätte: Wenn uns schon keiner folgt, müssen wir wenigstens so laut sein, dass man uns hört. Die neue Präsidentin Sandra von Klaeden, eine sehr sympathische Juristin, Schwägerin des ehemaligen Staatsministers im Bundeskanzleramt Eckart von Klaeden und frühere enge Mitarbeiterin des niedersächsischen Innenministers Schünemann, steht jedenfalls nicht im Ruf, das stille Leben eines Mauerblümchens anzustreben.

Im jüngsten Rechnungshofbericht sind erneut zahlreiche Fakten detailliert aufgearbeitet worden. Das ist angesichts der Vielzahl der geprüften Projekte achtunggebietend. Was auffällt, ist der apodiktische Ton. Man findet zwar diskursive Elemente – bei kritisierten Sachverhalten wurde der Hintergrund durchaus zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Doch alles mündet ins „Basta!“. Das muss bei Rechnungshöfen so sein. Oder?

Jedenfalls gibt es einen bemerkenswerten Unterschied zwischen Haushaltswächtern und ordentlicher Gerichtsbarkeit. Jeder Staatsanwalt hat die unbedingte Pflicht, nicht nur die Anklage stützende Erkenntnisse zusammenzutragen. Auch entlastende Aspekte müssen dokumentiert werden. Der Staatsanwalt urteilt nicht, denn das ist Sache des Gerichts, er beurteilt und beantragt.

Der Rechnungshof ist kein Justizorgan, er soll für das Parlament, das über die Haushaltshoheit verfügt, Transparenz schaffen. Die Diktion mutet aber höchstrichterlich an, ob das bei der Haushaltsüberschreitung der Medizinischen Hochschule Hannover ist, die seit Jahren unter staatlichen Versäumnissen der Baufinanzierung leidet, oder bei den Aktivitäten der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz. Man kann das anmaßend finden.

Ärgerlich wird es, wenn der Rechnungshof seiner Öffentlichkeitsarbeit die Zügel schießen lässt. Zur Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz ist dort bekanntlich die Überschrift „Man gönnt sich ja sonst nichts“ gewählt worden. Diese Polemik erinnert an die Skandalisierungsmechanik von Boulevardmedien.

Der Mangel an Seriosität hat Folgen. Lautstärke schafft Gehör, aber nicht immer Verständigung. Die Presseschau zeigt: Es gibt Redaktionen, die sich nicht der Mühe unterzogen haben, genau nachzulesen, was im Jahresbericht steht, die nicht bei den Betroffenen recherchiert haben, die sogar in zusätzlicher Überspitzung den Rechnungshofbericht verfälschten. So ist dort nie die Behauptung aufgestellt worden, die Stiftung habe die Geburtstagsfeier des Präsidenten bezahlt – korrekt ist von einem Symposium die Rede. Ein seriöses Medium machte daraus: „4000 Euro für Hoffmanns Geburtstagsfeier“.

Für journalistische Fehlleistungen kann der Rechnungshof nicht in Haftung genommen werden. Aber seine überspitzende Öffentlichkeitsarbeit hat sie begünstigt. Der flüchtige Leser könnte meinen, man habe im Stiftungshaus am Braunschweiger Löwenwall besonderes Augenmerk auf die Leichtigkeit des eigenen Seins gelegt. Die personelle Unterbesetzung kommt ebensowenig vor wie andere Tatsachen, die der Erwähnung wert gewesen wären. So erfahren wir auf Nachfrage, dass der nach Landesrichtlinie zu große Dienstwagen die Stiftung weniger Geld kostete, als der dann beschaffte kleinere.

Von „Ausschweifungen“, die ausgerechnet der Braunschweiger Abgeordnete Christos Pantazis in einer ansonsten stiftungsfreundlichen Mitteilung beklagt, kann jedenfalls keine Rede sein. Die vielzitierte Fahrt zur Schokofabrik war zur Erfüllung des Stiftungszwecks sicher nicht nötig – aber das sind teambildende Veranstaltungen anderer Unternehmen und Behörden auch nicht. Und doch weiß jeder Verantwortliche, wie wichtig ist es, dass Menschen nicht maschinenhaft nebeneinander her funktionieren, sondern zusammen arbeiten.

Der Rechnungshof muss sich mindestens die Frage gefallen lassen, ob er das Gebot der Verhältnismäßigkeit hinreichend beachtet. In einem Land, das sich den Jade-Weser-Port geleistet hat, mag es deutlich gravierendere Probleme geben.

Der scheidende Stiftungspräsident Gert Hoffmann war ein erfolgreicher Oberbürgermeister Braunschweigs, er hat die Stiftung zu einem bedeutenden Faktor unserer Region entwickelt. Unterwegs ist er manchem auf die Füße getreten, der nun mit Freude beobachtet, wie der Rechnungshof Hoffmanns Abschied verhagelt.

Parallel zum Hildesheimer Shitstorm haben Hoffmann und die Stiftung unterdessen deutliche Bestätigung erhalten. Das Wissenschaftsministerium stellt fest, dass die Stiftung ihren Zweck zurecht deutlich umfänglicher interpretiert als der Rechnungshof. Und sie wird 2018 die personelle Bewegungsfreiheit bekommen, die für fehlerfreie Arbeit nötig ist.

Stärken der Stiftung sind Kreativität, Mut und Partnerschaftlichkeit. Das alles hängt an den handelnden Personen. Mögen sie ihr erhalten bleiben. Mit dem, was der Volksmund ungerechterweise als „Beamten-Mikado“ bezeichnet („Wer sich zuerst bewegt, hat verloren“), wäre keine Braunschweigische Identität zu stiften.