Braunschweig. Das Internet-Zeitalter hat vieles verändert – nicht nur zum Guten, wie ein Leser bei einer Podiumsdiskussion mit Medienexperten kritisiert.

Unser Leser Gerd-Ulrich Hartmann aus Braunschweig fragt:

Ich habe das Gefühl, Redakteure schreiben heute erst und recherchieren dann. Leidet die Qualität des Journalismus unter dem Druck, der Schnellste sein zu wollen?

Die Antwort recherchierte Tobias Bosse

Die Verantwortung von Journalisten gegenüber der Gesellschaft ist groß – vielleicht heute sogar größer denn je. Denn wie unser Leser bei einer von Rotary Braunschweig und unserer Zeitung organisierten Podiumsdiskussion zum Thema „Fake-News“ feststellte, gilt für einige Journalisten der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ offenbar nicht mehr. Möglicherweise hat auch diese Entwicklung dafür gesorgt, dass das Vertrauen gegenüber Medien in der jüngeren Vergangenheit gelitten hat.

Harald Rau, Professor für Kommunikationsmanagement an der Ostfalia-Hochschule, äußerte folgende Gedanken: „Medien stehen in einem Interessenkonflikt. Einerseits müssen die presserechtlichen Schranken und ethischen Grundwerte stets gewahrt sein. Andererseits unterliegen auch Medien den Gesetzen der freien Marktwirtschaft.“ Das führe oft zu einer unterschiedlichen Gewichtung der Prioritäten. Wolle man mit einer Nachricht der Schnellste sein, um wirtschaftlich davon zu profitieren, arbeite man in dieser Hektik möglicherweise nicht sauber genug. Lasse man sich wiederum zu viel Zeit, schwinde die Relevanz des Mediums – und die wirtschaftlichen Interessen müssten hinten anstehen.

Etwaige Fehlleistungen des Journalismus sind allerdings keine Fake News im Sinne der Kommunikationswissenschaft. „Fake News gab es schon vor Jahrhunderten. Es handelt sich um bewusst gestreute falsche oder manipulierte Informationen, etwa von Militärs oder feindlichen Staaten“, erklärte Harald Rau. Cyber-Sicherheitsexperte Matthias Schulze von der Stiftung Wissenschaft und Politik zeigte auf, wie einfach es im Internetzeitalter ist, eine Kampagne mit Fake News anzustoßen. Vorbild seien häufig Geheimdienst-Strategien aus dem Kalten Krieg. „Allerdings habe ich den Eindruck, dass auch in Deutschland das Thema IT-Sicherheit an Bedeutung gewinnt.“

Die Diskussionsteilnehmer kamen von der Sicherheitspolitik immer wieder auf den Alltag in den Redaktionen zurück. David Mache, stellvertretender Chefredakteur unserer Zeitung, nannte ein Beispiel für eine schwierige Gewichtungsfrage: „Beim Amoklauf von München im Juli 2016 deuteten bis Redaktionsschluss alle Informationen auf einen Terroranschlag hin. So stand es am darauffolgenden Tag auch groß auf unserer Titelseite, weil wir nicht nur die schlimme Nachricht bringen, sondern auch eine Einordnung mitliefern wollten.“ Harald Rau nahm hingegen die Leser in die Pflicht: „Jede Gesellschaft bekommt den Journalismus, den sie verdient“. Die jüngere Generation konsumiere größtenteils „einen Scheiß“ und falle auf die quotenbasierte und bisweilen reißerische Aufmachung von Artikeln, auch „Clickbaiting“ genannt, herein. „Kein Wunder, dass Medien dieses Verhalten ausnutzen“, sagte Rau, der selbst früher als Journalist den Ansporn gehabt habe, immer der Erste mit einer Meldung zu sein. „Und damals gab es noch nicht mal Internet, was den Kreis der Konkurrenten extrem eingrenzte im Vergleich zum heutigen Journalismus.“

In dieselbe Kerbe schlug auch Philipp Engel, Online-Redakteur unserer Zeitung: „Grundsätzlich wollen wir spätestens 30 Minuten, nachdem eine Nachricht bekannt wird, einen entsprechenden Artikel online haben. Dabei unterscheiden wir zwischen Informationen von Behörden wie der Polizei und anderen Quellen, die weniger glaubwürdig sein können“. Die Einordnung der Quellen müsse auch beim Leser stattfinden. „Diese Kompetenz muss sich in der Gesellschaft bilden. Die Menschen müssen lernen, Informationen mündig zu konsumieren“, fordert Engel. Diese Einschätzung teilt Harald Rau. Er fordert, dass in den Schulen viel stärker Medienkompetenz vermittelt werden sollte.