Washington. Der eskalierende Streit um das nordkoreanische Atomprogramm von Kim Jong-un nährt die Angst vor einer militärischen Konfrontation.

Der Krieg der Worte zwischen Amerika und Nordkorea wird immer schärfer. Die Welt hält den Atem an und fragt sich: Kann sich der Streit zwischen der Supermacht und der Möchtegern-Atommacht in einem bewaffneten Konflikt entladen?

Die Drohkulissen US-Präsident Donald Trump hatte Nordkorea am Dienstag davor gewarnt, Amerika weiter mit militärischen Schlägen zu drohen. Andernfalls werde dem politisch isolierten Land „mit Feuer, Wut und Macht begegnet werden, wie es die Welt niemals zuvor gesehen hat“. Ein Satz, der in US-Medien für helle Aufregung sorgte.

Nordkorea Raketen

Die Antwort aus Nordkorea kam prompt. Das Militär in Pjöngjang drohte Amerika mit einem Raketenangriff auf die US-Pazifikinsel Guam. Die Streitkräfte zögen eine solche Attacke „ernsthaft in Erwägung“, meldete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA. Ein Militärsprecher kündigte an, auf einen möglichen „Präventivkrieg“ Amerikas mit einem „grenzenlosen Krieg“ zu reagieren, der „sämtliche Stützpunkte des Gegners ausrotten wird, auch auf dem US-Festland“. Später legte Trump noch einmal nach: „Mein erster Befehl als Präsident war, das nukleare Arsenal zu erneuern und zu modernisieren“, schrieb er auf Twitter. „Jetzt ist es weit stärker und kraftvoller als jemals zuvor.“

Was will Trump?

Mit Besorgnis wurde in Washington registriert, dass radikale Prediger wie der texanische Baptist Robert Jeffress Trump geradezu ermutigen, gegen Nordkorea vorzugehen. Gott habe dem Präsidenten praktisch die Prokura erteilt, Kim Jong-un auszuschalten, sagte Jeffress. Die Evangelikalen gehören zu Trumps wichtigen Wählergruppen. Einige US-Fachleute verwiesen darauf, dass Trumps Wortwahl auf einen Bibelspruch zurückgehe. So mahnte der Prophet Jesaja im Alten Testament das Volk Israel: „Ja, seht, der Herr kommt wie das Feuer heran, wie der Sturm sind seine Wagen, um in glühendem Zorn Vergeltung zu üben, und er droht mit feurigen Flammen.“ In Washingtoner Politikzirkeln wurde dies jedoch als abwegig bezeichnet. „Trump kennt die Bibel nur von außen“, so ein republikanischer Analyst.

Weil sich der US-Präsident nicht erklärt, sind nur Mutmaßungen über seine Motive möglich. Danach war der „Wut“-Satz entweder aus dem Bauch gesteuert. Oder er ist bewusst an Präsident Harry Truman angelehnt, der Japan im Zweiten Weltkrieg vor dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima mit ähnlichen Worten zur Kapitulation zwingen wollte.

Was will Kim?

Es gehört zur koreanischen Psyche, verbal mit gleicher oder noch härterer Münze zurückzuzahlen. Die Nordkoreaner haben allerdings die Drohung

des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush nicht vergessen: Der hatte 2002 vor der „Achse des Bösen“ gewarnt. Nordkorea, der Iran und der Irak würden nach Massenvernichtungswaffen streben und Terroristen unterstützen, so Bush. Deshalb müsse den drei Ländern Einhalt geboten werden. Pjöngjang witterte darin die Forderung nach einem Regimewechsel – und fühlte sich durch die Militärinterventionen des Westens im Irak und in Libyen bestätigt. Die einzig logische Konsequenz für die nordkoreanische Führung: Nur Nuklearwaffen sichern den Fortbestand der Regierung.

Welche Szenarien sind denkbar?

Viele Experten halten eine militärische Konfrontation mit Verweis auf die potenziell verheerenden Folgen für unwahrscheinlich. Allerdings könne nicht ausgeschlossen werden, dass die verbalen Kraftmeierei in Pjöngjang und Washington „zu fatalen Missverständnissen und irreparablen Fehlern“ führen könnte. Siegfried Hecker, ein Atomwaffenexperte der kalifornischen Stanford-Universität, warnt davor, Kim „größer zu machen, als er momentan ist“. Er bezweifelt, dass Nordkorea kurzfristig in der Lage sei, eine Atomrakete nach Amerika zu lenken. So sei zum Beispiel nicht getestet, ob die Trägerraketen den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre (Voraussetzung für einen Bombenabwurf) überstehen würden. Obwohl in Militärkreisen Konsens ist, dass es keine einzige gute Lösung für eine gewaltsame Beendigung der atomaren Bedrohung durch Nordkorea gibt, schließen Analysten nicht aus, dass der angeschlagene Präsident (kaum vorzeigbare Leistungen, niedrige Zustimmungswerte) einen außenpolitischen Befreiungsschlag unternehmen könnte. Nordkorea nachhaltig in kurzer Zeit zu neutralisieren, kann aufgrund der Größe und unbekannten Schlagkraft kaum gelingen. Das ist Konsens im Pentagon. Viele Abschussbasen für Raketen sind unterirdisch.

Experten befürchten, dass die Verschärfung des Nordkorea-Konflikts zu einem Wettrüsten in Südostasien führen könnte – vor allem in Südkorea und Japan. So verweist Bernhard Seliger, Leiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Seoul, auf die Reaktion des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in. „Er hat eine Generalüberholung des Militärs angekündigt, um einem Angriff aus dem Norden besser zu begegnen“, sagte Seliger unserer Zeitung. Das signalisiere eine neue Härte, obwohl Moon bisher eher den Dialog mit dem Nachbarn gestrebt hatte.

Chinas riskantes Doppelspiel

Peking präsentiert sich wieder einmal als der große Moderator, der die Streithähne zu Verhandlungen aufruft. „Wir hoffen, dass sich alle Parteien vorsichtig äußern und umsichtig vorgehen“, sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums am Mittwoch. Immerhin hatte Peking kürzlich im UN-Sicherheitsrat den bisher schärfsten Sanktionen gegen Nordkorea zugestimmt. Dieses Mal klingt es so, als ob Peking es ernst meint und die Einfuhr von Kohle, Eisenerz, Blei und Meeresfrüchten aus Nordkorea tatsächlich stoppen wird. Die neuen Sanktionen verbieten zudem Joint-Ventures und die Beschäftigung von Billigarbeitern aus dem bettelarmen Stalinisten-Staat. Und doch dürften auch diese Maßnahmen Kim nicht davon abhalten, sein Raketen- und Atomwaffenprogramm fortzusetzen. Die Sanktionen treffen nämlich in erster Linie die Bevölkerung, die jedoch kaum gegen das Regime aufbegehren wird.

Dabei hätte Peking die Mittel, Pjöngjang an die Kandare zu nehmen. 91 Prozent seines gesamten Außenhandels bestreitet Nordkorea mit China. Wirklich weh tun würde Kim der Einfuhrstopp von Öl. Denn ohne diesen Treibstoff könnte er weder seine Flugzeuge noch seine Panzer einsetzen. Davor schreckt China jedoch zurück. Zum einen, weil es Angst hätte, dass ein kollabierender Staat zu einer riesigen Flüchtlingswelle führen würde. Bei einer zwangsweisen Wiedervereinigung Koreas bestünde zudem die Gefahr, dass am Ende US-Truppen an Chinas Grenze stehen könnten. China will Nordkorea als Pufferstaat gegen die starke Militär-Präsenz der Amerikaner in Südkorea. Das beträchtliche Gewicht der US-Flotte in Südostasien ist den Chinesen ohnehin ein Dorn im Auge. Ein Konflikt auf kleiner Flamme zwischen den USA und Nordkorea spielt China in die Karten – wenn es nicht zur Eskalation kommt.

Welche Interessen hat Russland?

Moskau ist in Ostasien eine Art geostrategischer Trittbrettfahrer Pekings. Es begreift sich als Weltmacht auf Augenhöhe mit Amerika. Jeder Versuch, den Einflussbereich der USA einzudämmen, ist im Interesse Russlands. Zumal sich die zu Beginn von Trumps Amtszeit erhoffte enge Kooperation mit Washington verflüchtigt hat. Neuester Schuss vor den Bug: Die Sanktionen gegen den Energiesektor.

Einen Kommentar zum Thema lesen Sie hier: Chinas Schlüsselrolle