Braunschweig. Lieferengpässe, steigende Preise – Dachdeckerbetriebe und Hersteller stehen vor großen Problemen. Wann sich die Situation ändert, kann niemand sagen.

Unser Leser Hans-Jürgen Gahren aus Braunschweig fragt:

Der Handel, darunter auch Dachdecker, kann nicht mehr ausreichend mit PU-Dämmstoffplatten beliefert werden. Wieso weiß die Öffentlichkeit nichts davon?

Die Antwort recherchierte Stefan Simon

Dachdecker benutzen häufig zur Dämmung von Dächern, Böden oder Wänden PU-Dämmstoffplatten. Warum? Weil sie bei dünner Dämmstoff-Dicke sehr effektiv sind. Außerdem sind sie nachhaltig, wasserfest und schmelzen nicht bei hohen Temperaturen. PU-Dämmstoffplatten sind Hartschaumplatten, für die Produktion wird der chemische Stoff Isocyanat MDI verwendet. Und hier fängt das Problem an.

Der Dachdeckermeister Hans-Jürgen Gahren sitzt in seinem Büro im Braunschweiger Norden. „Es gibt Lieferschwierigkeiten von Hartschaumplatten, weil kaum MDI produziert wird“, sagt Gahren. Der chemische Stoff sei ein wichtiger Bestandteil für die Herstellung von PU-Dämmstoffplatten. Für den Dachdeckmeister sind die Lieferschwierigkeiten ein Problem. Er kann vor November oder Dezember keine neuen Aufträge annehmen. Selbst bei vorhandenen Aufträgen hat er Schwierigkeiten, wie er sagt. Vor allem könne er keine Preisauskünfte geben. Wer ein Haus bauen möchte, der wolle schließlich auch die Kosten realistisch kalkulieren.

Die Lage der Dachdecker sei bundesweit problematisch, sagt André Hannes, Geschäftsführer des niedersächsischen Dachdeckerverbandes. Wann die Lage sich verbessere, könne er nicht sagen. „Das weiß niemand“, sagt Hannes. Es treffe vor allem Auftraggeber hart, die bestehende Verträge haben. Sie müssten auf Alternativen umschwenken, wenn sie nicht wochenlang auf die Hartschaum warten wollten. Doch warum gibt es überhaupt diese Lieferprobleme?

Im Mai informierte der Chemie-Konzern Covestro, eine Schwester der Bayer AG, dass MDI momentan nicht hergestellt werden könne. Grund sei die Wartung der Produktionsanlage in Brunsbüttel. Dirk Theuns, Geschäftsführer des niederländischen Produzenten für PU-Dämmplatten, IKO Insulations, erklärt ebenfalls, dass große Chemieunternehmen von einer Reihe von ungeplanten Stilllegungen ihrer Produktionsanlagen betroffen seien. Die Kombination mit lange im Voraus geplanten Wartungsarbeiten, der steigenden Nachfrage nach dem chemischen Stoffes sowie die Verzögerung beim Bau einiger großer MDI-Werke führe zu einem akuten Mangel.

Auch Dachdecker-Einkauf, ein genossenschaftlicher Großhandel, informiert in einem Schreiben ihre Mitglieder und Kunden über die derzeitige Lage. So heißt es: „Die eingetretene Situation begründet sich darin, dass die weltweite Produktion des MDI in der Hand von wenigen global agierenden Konzernen liegt. Ursachen für den Rohstoffengpass sind der Ausfall von Produktionsanlagen bei gleichzeitiger erhöhter Nachfrage.“

Es gebe zwar Alternativen, sagt André Hannes vom Dachdeckerverband, doch diese hätten eine andere Qualität als Hartschaumplatten. Da seien zum einen Styropor-Platten (EPS). Sie seien beim Brandschutz vergleichbar mit PU, allerdings sei die Druckbelastbarkeit nicht gut, zudem schrumpften EPS-Dämmstoffplatten. Dennoch: „Die Lage kann sich jetzt etwas entspannen, wenn die Dachdecker EPS-Dämmplatten als Alternative verwenden“, meint Dachdeckermeister Gahren. Doch auch hier gab es Lieferengpässe. Dann gebe es noch Dämmplatten aus Mineralfaser und Holzfaser. Auch diese teureren Alternativen hätten aber eine schlechtere Druckbelastbarkeit und gingen noch schneller kaputt. Da wundert es kaum, dass Dachdecker lieber auf Hartschaumplatten zurückgreifen.

Doch auf die müssen sie warten. Denn auch der Baustoffproduzent Bauder meldete bereits im Mai, dass er keine neuen Aufträge annehmen könne sowie vorliegende Angebote der vergangenen Wochen nicht bestätige. Bauder beruft sich auf höhere Gewalt. Dadurch verlängere sich die Lieferfrist der erteilten Aufträge. Der Konzern stellt sogar in Aussicht, dass in den nächsten Monaten weitere Aufträge zurückgegeben werden müssen. Michael Huter, Werbeleiter von Bauder: „Der Rohstoff ist knapp. Wir können nicht in dem Maße herstellen wie sonst üblich“, sagt er. Dennoch sei man lieferfähig, mehr als andere. „Wir können 80 Prozent der Aufträge bewältigen.“

IKO Insulations bewertet die Situation anders. Das Unternehmen geht davon aus, dass es mindestens 30 Prozent zu wenig MDI gebe. Es erwartet, dass sich die Lage in den nächsten Monaten nicht verändern werde. Eine derartige Situation habe es noch nie gegeben, sagt Dirk Theuns von dem niederländischen Chemieunternehmen. „Wir hoffen, dass sich diese Situation bald stabilisieren wird. Soweit wir dies gegenwärtig einschätzen können, sind in den kommenden Monaten weitere Preissteigerungen unvermeidlich“, meint Theuns.

Covestro hat mittlerweile immerhin die Produktion von MDI wieder aufgenommen. „Wir können nicht alle Aufträge sofort bearbeiten. Hinzu kommt, dass wir wegen des gesetzlichen Wartungszyklus‘ nicht mit normaler Geschwindigkeit produzieren können“, sagt Pressesprecher Frank Rothbarth.

Was Dachdeckern und Bauherren bei Sanierungen zusätzlich das Leben schwer gemacht hat: In den vergangenen Monaten stiegen die Entsorgungskosten für alte Dämmplatten. Viele von ihnen sind mit dem giftigen Flammschutzmittel HBCD imprägniert, das laut Vorgaben der Europäischen Union als gefährlich eingestuft wurde. Der Bundesrat entschied, dass ab dem 01. Oktober 2016 HBCD-haltige Platten als Sondermüll verbrannt werden müssen. „Das Material muss in zertifizierten Anlagen entsorgt werden. Doch es gibt zu wenige, daher ist das Entsorgungsverfahren zu teuer. Die Preise stiegen auf mehrere Tausend Euro pro Tonne“, meint Gahren. Immerhin: Der Bundesrat hat seine Entscheidung revidiert und seinen Beschluss für ein Jahr ausgesetzt. Nun darf vorerst HBCD-haltiges Styropor wieder mit anderen Abfällen verbrannt werden.