Braunschweig. Chronische Schmerzpatienten konnten sich auch am Klinikum in Braunschweig ambulant behandeln lassen. Nun sollen Praxisärzte die Betreuung übernehmen.

Als die Schmerzen im Rücken losgehen, macht sich Susanne Holdorf noch keine übermäßigen Sorgen. „Wir renken den Rücken mal ein“, sagt ihr Arzt. „Dann müsste es besser werden.“ Doch es wird nicht besser. Sie geht wieder zum Mediziner, bekommt Spritzen, die Schmerzen bleiben. Sie nimmt Tabletten, macht Akupunktur, probiert es auch mit Homöopathie. Weil sie irgendwann völlig verzweifelt ist, befasst sie sich sogar mit Schmerzhypnose, beginnt eine Psychotherapie. Zwölf Jahre zieht sich das hin, zwölf Jahre, in denen sie von Arzt zu Arzt geht und die Schmerzen zum ständigen Begleiter werden. „Es ist wie ein Ganzkörper-Muskelkater, nur schlimmer“, sagt die 51-Jährige. „So fühlt sich das an.“

Was es bedeutet, Tag für Tag mit Schmerzen zu leben, weiß auch Renate Twelve. Im Jahr 2000 stürzt die Braunschweigerin schwer und verletzt sich an einem Wirbel, damit beginnt auch für sie die jahrelange Tortur. Sie leidet unter Osteoporose und Arthrose; die Stürze häufen sich. Sie rennt von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik, zur Psychotherapie. Sie erfährt, dass sie unter einer speziellen Nervenerkrankung leidet, Small Fibre Neuropathie. Damit hat die Ursache ihres Leidens einen Namen, doch gegen die Schmerzen gibt es kein wirksames Mittel. „Irgendwann verliert man die Nerven.“

2015 werden Susanne Holdorf und Renate Twelve an die Schmerzambulanz am Städtischen Klinikum in Braunschweig überwiesen; die einzige in der Region, in der sich Kassenpatienten ambulant behandeln lassen können. An anderen Krankenhäusern wie etwa am Herzogin Elisabeth Hospital in Braunschweig (HEH) gibt es zwar auch eine Ambulanz, aber diese richtet sich überwiegend an Selbstzahler.

Beide schöpfen wieder neue Hoffnung. „Das erste Mal fühlte ich mich richtig ernst genommen; die Ärztin nahm sich Zeit, um der Ursache meiner Schmerzen auf den Grund zu gehen“, sagt Susanne Holdorf. Nach einem gründlichen Check-up wird sie an einen Spezialisten des HEH überwiesen und bekommt dort die Diagnose: Rheuma. Eine spezielle Therapie soll nun helfen.

Doch im Mai dieses Jahres erfahren die beiden Frauen, dass nach einem Entscheid der Kassenärztlichen Vereinigung Kassenpatienten in der Schmerzambulanz nicht mehr behandelt werden können. „Das war ein Schlag ins Gesicht. Endlich hatten wir uns sehr gut aufgehoben gefühlt“, sagt Susanne Holdorf. Renate Twelve nickt. „Jetzt müssen wir wieder von vorne anfangen, das bedeutet wieder lange Wartezeiten, wieder Untersuchungen.“

Schmerzpatienten wie Susanne Holdorf und Renate Twelve haben oft einen langen Leidensweg, eine Ärzteodyssee hinter sich – verschiedene Mediziner, verschiedene Schmerztherapeuten, verschiedene Ansätze, Krankenhaus- und Rehaaufenthalte, Operationen und Behandlungen. Nicht selten verlieren etliche nach Jahren der Krankschreibungen auch ihren Job und jegliche Perspektive.

Professor Peter Werning, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie am Klinikum in Braunschweig, kennt das Leid solcher Patienten. Um sie besser versorgen zu können, ist vor Jahren die spezielle Schmerztherapie im Krankenhaus aufgebaut worden. Eine Spezialistin arbeitete mit ihrem Team Hand in Hand mit den Kollegen anderer Abteilungen, mit der Anästhesie, Chirurgie, Neurochirurgie, Psychologie, Radiologie, Physiotherapie und Ergotherapie. Außerdem konnte auch eine Psychologin hinzu gezogen werden.

„Die Patienten sind oft schon jahrelang erfolglos behandelt worden. Sie wurden mit Überweisungsschein zu uns geschickt und sie kamen mit einer dicken Patientenakte“, sagt Werning. Die Betreuung sei sehr aufwendig. „Das geht nicht im Fünf-Minuten-Takt, da muss man sich auch mal anderthalb Stunden Zeit für ein Gespräch nehmen.“

Zeit, die viele niedergelassene Ärzte häufig nicht haben. Hinzu kommt, dass Schmerzpatienten oft teure Medikamente nehmen müssen. Nach einer Umfrage der Deutschen Schmerzliga wollen viele Ärzte aber bestimmte Arzneimittel für Schmerzpatienten nicht mehr auf Kassenrezept verordnen, weil sie ihr Budget sprengen. Außerdem führten die Honorierung schmerztherapeutischer Leistungen sowie andere Rahmenbedingungen dazu, „dass Schmerzpraxen nicht kostendeckend arbeiten können“, heißt es in einem Papier des Vereins.

Auch die Strukturen der Schmerzambulanz am Braunschweiger Klinikums seien nicht kostendeckend gewesen, räumt Werning ein. Aber als Maximalversorger sehe man sich in der Verantwortung, Patienten mit chronischen Schmerzen zu behandeln. Es gehe nicht um Tausende in der Region, aber immerhin um Hunderte, denen möglicherweise doch noch geholfen werden kann.

In Deutschland gilt das Prinzip „ambulant vor stationär“, tatsächlich dürfen Krankenhäuser Patienten nur dann ambulant behandeln, wenn die speziellen Leistungen nicht von niedergelassenen Ärzten erbracht werden können. Im Fall der Ambulanz am Städtischen Klinikum handelte es sich laut Kassenärztliche Vereinigung in Braunschweig um eine spezielle Schmerztherapie, für die eine dort tätige Ärztin sozusagen „ermächtigt“ wurde. Die Ermächtigung ist neben der Zulassung eine weitere Möglichkeit für Mediziner, an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. Sie dient dazu, Versorgungslücken in einer Region zu schließen, gilt aber in der Regel nur befristet. Diese Versorgungslücke besteht nach Aussage von Thorsten Kleinschmidt, KV-Sprecher für die Region Braunschweig, nun nicht mehr. „Eine Umfrage unter den niedergelassenen Schmerztherapeuten in der Region hat ergeben, dass diese die Patienten mitversorgen können, die bislang am Klinikum behandelt wurden; die Kapazitäten sind da.“

Inzwischen hat sich das fünfköpfige Team der Schmerzambulanz am Klinikum aufgelöst, die Leiterin der Ambulanz gekündigt. Werning bedauert das sehr. „Wir hätten den Patienten gerne Stabilität geboten.“ Er will sich nun dafür stark machen, dass es wieder eine Schmerzambulanz am Klinikum geben wird, in welcher Form auch immer.

Patienten wie Susanne Holdorf und Renate Twelve müssen sich aber erst einmal erneut auf die Suche machen. Die Möglichkeit, sich in der Ambulanz eines anderen Klinikums privat behandeln zu lassen, kommt für die beiden Frauen nicht in Frage. Sie können kein Geld vorstrecken, auch wenn sie einen Teil von ihrer Krankenkasse später erstattet bekämen.

Von der Kassenärztlichen Vereinigung in Braunschweig haben sie eine Liste von niedergelassenen Schmerztherapeuten bekommen, an die sie sich wenden können. Doch von den 20 aufgeführten Ärzten seien 11 außerhalb von Braunschweig ansässig, in Wolfsburg, Salzgitter, Helmstedt oder Gifhorn, kritisieren die Frauen. Außerdem seien 3 für Kassenpatienten nicht erreichbar. Mehrere der übrigen Therapeuten hätten sie auf ihrem Weg schon kennengelernt. Sie hätten nur versucht, den Schmerz zu behandeln, nicht nach den Ursachen geschaut.

Es ist viel Vertrauen verloren gegangen auf ihrer Odyssee. „In der Ambulanz hatten wir das Gefühl, nicht nur eine Nummer zu sein, die nervt“, sagt Susanne Holdorf. „Wir wurden als Menschen gesehen mit Herz und Seele, als Menschen, die starke Schmerzen haben.“ Eine Erfahrung, die für sie nicht mehr alltäglich ist.