Lehrte. Zum Ferienstart appelliert die Aktion „Helfen statt Gaffen“ an Verkehrsteilnehmer, sich in Notsituationen richtig zu verhalten.

Unser Leser Manfred Fehly aus Salzgitter sagt:

Ich habe erlebt, wie Gaffer auf der Autobahn einen Stau verursachten, um ihre Neugier zu befriedigen.

Zum Thema recherchierte Stefan Simon

Gestern haben in Niedersachsen die Sommerferien begonnen, in den kommenden Tagen ziehen vier weitere Bundesländer nach. Viel Verkehr auf den Autobahnen lässt die Unfallgefahr steigen – schlimm genug. Doch wenn es gekracht hat, kommen Rettungskräfte oft nicht mal ungehindert zur Unfallstelle, weil Rettungsgassen fehlen. Gaffer behindern ihre Arbeit in vielen Fällen zusätzlich. Das niedersächsische Innenministerium hat nun in Zusammenarbeit mit Polizei, Landesfeuerwehrbund, Johanniter-Unfall-Hilfe, ADAC und Landes- verkehrswacht die Aktion „Helfen statt Gaffen“ gestartet.

„Wer einmal einen Unfall hatte, weiß, wie wichtig es ist, schnell Hilfe zu bekommen.“
„Wer einmal einen Unfall hatte, weiß, wie wichtig es ist, schnell Hilfe zu bekommen.“ © Boris Pistorius, Niedersächsischer Innenminister (SPD)

Rettungsgasse

Friedrich Stucke leitet die Autobahnpolizei Hannover, er kennt die Probleme. Rettungsgassen würden selten korrekt gebildet, sagt er bei der Vorstellung der Aktion an der Raststätte Lehrter See an der Autobahn 2. „Die Leute halten den Mindestabstand nicht ein und können bei Stau keine Gasse bilden“, sagt er. So gehen wertvolle Sekunden verloren. Ein besonderes Problem seien die vielen LKW. Da sie alle auf der rechten Spur fahren und sehr sperrig sind, könnten LKW-Fahrer bei Stau nur schwer Platz für die Rettungskräfte machen, so Stucke.

Auch der ADAC werde des öfteren bei der Arbeit behindert. Oft sei es kaum möglich, eine Landefläche von 50 Meter für die Rettungshubschrauber freizuhalten, sagt Pressesprecherin Alexandra Kruse. Selbst Anfeindungen gehören dazu, meint Michael Feierabend vom ADAC-Pannendienst. „Wenn wir den Standstreifen entlang fahren, werden manche pampig und fragen, warum sie das nicht dürfen.“

Die Initiative Helfen statt Gaffen

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    Angesichts all dieser Probleme ist Innenminister Boris Pistorius (SPD) von der Wichtigkeit der Aktion „Helfen statt Gaffen“ überzeugt. „Wer schon einmal eine Panne hatte oder an einem Unfall beteiligt war, weiß, wie wichtig es ist, schnell und effektiv Hilfe zu bekommen“, sagt Pistorius. Er sei viel unterwegs und habe schon des öfteren erlebt, dass keine Rettungsgassen gebildet wurden. „Helfen statt Gaffen“ zeige zahlreiche Möglichkeiten, wie wirklich jeder in Notfällen helfen könne, erklärt Pistorius. Einfache Maßnahmen würden reichen: Erste Hilfe einleiten, das richtige Bilden einer Rettungsgasse oder schlicht das Absetzen eines Notrufes.

    Auf dem Rastplatz simulieren Feuerwehr und Johanniter am Mittwoch bei der Vorstellung der Aktion einen Rettungseinsatz: Sie schneiden mit einer Rettungsschere die Fahrertür auf. Bis dann schließlich die Person aus dem Auto herausgeholt und in den Rettungswagen gebracht ist, verstreichen mehrere Minuten. Wenn Gaffer die Einsatzkräfte behindern, verstreicht zusätzliche Zeit – die kann entscheidend sein, sagt Thorsten Ernst, Bereichsleiter für Einsatzdienste der Johanniter.

    Völlig inakzeptabel sei das, wenn aus reiner Sensationsgier Rettungskräfte behindert würden, sagt Pistorius. Dem kann Notfallsanitäterin Denise Deni nur zustimmen. „Die Gaffer stehen nicht nur im Weg, sie gefährden auch sich selbst“, sagt sie. Deni kann sich bei ihrer Arbeit nicht auf das Unfallopfer konzentrieren: „Ich muss den Patienten versorgen und gleichzeitig darauf achten, dass niemand Aufnahmen macht“, erzählt sie. Selbst gefilmt werden möchte die Rettungssanitäterin auch nicht.

    Gaffen hat zwar laut Friedrich Stucke an sich nicht zugenommen. Die Möglichkeiten hätten sich allerdings erhöht, Videos aufzunehmen und die dann im Bekanntenkreis oder sogar in sozialen Medien herumzuzeigen. „Es wird mit Smartphones und Tablets gefilmt. Die Leute fahren mit niedrigerem Tempo an der Unfallstelle vorbei und erhöhen dadurch die Gefahr für weitere Unfälle“, sagt Stucke. Erwin Petersen, Vizepräsident der Landesverkehrswacht, sagt dazu: „Unfallopfer sind häufig schneller im Internet zu sehen als auf dem OP-Tisch.“

    Mittlerweile filme die Polizei auch selbst in Richtung der Gaffer, jedenfalls so lange genug Polizisten vor Ort seien. Wer erwischt und zur Rechenschaft gezogen werde, erhalte einen Punkt in Flensburg und müsse ein Bußgeld bis 60 Euro zahlen, sagt Stucke.