Braunschweig. Erste-Hilfe-Kurse geben Sicherheit, sie sind aber freiwillig – und bleiben es wohl auch.

Unsere Leserin Gabriele Balke aus Braunschweig fragt:

Warum gibt es keine gesetzliche Pflicht für jeden Bürger, in regelmäßigen Abständen einen Erste-Hilfe-Kurs zu absolvieren?

Die Antwort recherchierte Sibylle Haberstumpf

Helfen kann jeder, auch ohne große medizinische Kenntnisse. Und helfen muss auch jeder, zumindest bei Unfällen mit Verletzten und wenn Menschen erkennbar in Not sind. Die Unfallstelle absichern, den Rettungsdienst anrufen, Informationen durchgeben und die Verletzten ansprechen – das zählt laut dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) zu den Sofortmaßnahmen an einem Unfallort. Für verletzte Personen sei dieses Verhalten oft enorm wichtig, bestätigt auch Gerrit Meisel von der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG), Bezirk Braunschweig. Gerade die Hilfe in den ersten Minuten bis zum Eintreffen des Notarztes könne über Leben und Tod entscheiden. Meisel: „Nichtstun ist das Schlechteste. Jede Handlung zählt.“ Gesetzlich festgelegt ist die Pflicht zur Ersthilfe im Strafgesetzbuch (StGB). Wer nach Paragraf 323c bei Notfällen keine Hilfe leistet, obwohl erforderlich und zumutbar, kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe belangt werden. Hier kommt Leserin Gabriele Balke ins Spiel, die sich telefonisch an die Redaktion gewendet hat. Sie gibt zu bedenken: „Helfen ist wichtig – aber man muss es doch auch können!“ Die 55-jährige kann nicht nachvollziehen, warum es in Deutschland keine gesetzlich verpflichtenden Nachschulungen in Erster Hilfe gibt – und zwar für jeden Bürger. Gabriele Balke arbeitet beim Bündnis für Familie in Braunschweig und bekommt dort regelmäßig Erste-Hilfe-Kurse.

„Vielen ist es wichtiger, bei einem Unfall erstmal das Handy zu zücken und Fotos von Verletzten zu machen. Boulevardmedien bezahlen gut für solche reißerischen Bilder.“
„Vielen ist es wichtiger, bei einem Unfall erstmal das Handy zu zücken und Fotos von Verletzten zu machen. Boulevardmedien bezahlen gut für solche reißerischen Bilder.“ © Gerrit Meisel von der DLRG Braunschweig kritisiert Gaffer an Unfallorten.

Was sagt der Gesetzgeber dazu? Beim Bundesjustizministerium gibt eine Sprecherin Auskunft. Sie erklärt: „Erste-Hilfe-Kurse sind eine Maßnahme der Prävention. Und Prävention beruht auf Freiwilligkeit, das ist ähnlich wie mit dem Impfen. Dazu besteht ja auch keine Pflicht.“ Weiter meint die Sprecherin: Im Ministerium gebe es auch keine Überlegungen, das zu ändern. Denn: „Dies vorzuschreiben, wäre aus unserer Sicht ein zu großer Eingriff in die Freiheit des Einzelnen.“ Relevant dürfte auch der Grund sein, den im Jahr 2012 der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) gegen eine mögliche Pflicht zur Erste-Hilfe-Nachschulung für Führerscheininhaber anführte: Er verwies auf die hohen Kosten, die eine regelmäßige Nachschulung von Millionen Fahrern nach sich ziehen würde.

Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz appellieren seit langem, das eigene Wissen zumindest alle drei bis fünf Jahre freiwillig aufzufrischen. Gabriele Balke meint: „Das wäre nicht nur für Situationen im Straßenverkehr wichtig, sondern auch an Badeseen etwa, gerade jetzt im Sommer.“ Passend dazu gab die DLRG jetzt bekannt: Immer weniger Kinder können sicher schwimmen – bundesweit sei mindestens jeder zweite Grundschüler im Wasser ungeübt. Auch ein Viertel der Erwachsenen seien Nichtschwimmer. Wichtig findet unsere Leserin, „dass man sich vor allem auch traut, einen Verletzten anzufassen.“ Rettungsexperte Gerrit Meisel von der DLRG würde eine Auffrischungs-Pflicht aus diesem Grund ebenfalls begrüßen. Denn viele Handgriffe und Methoden veränderten sich mit der Zeit – etwa bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung. „Auffrischungen geben Sicherheit“, sagt Meisel. Routine könne man zum Beispiel darin gebrauchen, verunglückten Motorradfahrern den Helm richtig abzunehmen. „So ein Helm ist schwer und sitzt fest, sowas muss man einfach üben“, unterstreicht der Rettungsschwimmer. Leider nehme der Trend zum Gaffen immer mehr zu, hat Gerrit Meisel festgestellt. „Das ist eine Event-Kultur. Da ist es vielen Leuten wichtiger, bei einem Unfall erstmal das Handy zu zücken und Fotos und Videos von Verletzten zu machen. Boulevardmedien bezahlen gut für solche reißerischen Bilder“, kritisiert Meisel. „Immer öfter werden unsere Retter sogar behindert oder bedroht, weil jemand meint, noch schnell ein Video drehen zu müssen.“

2013 führten der ADAC und das Rote Kreuz eine Umfrage durch – befragt wurden 2800 Autofahrer in 14 europäischen Ländern. Besonders schlecht waren dabei die Kenntnisse der Herz-Lungen-Massage: 80 Prozent der in Deutschland Befragten gaben an, keine Wiederbelebung vornehmen zu können. Bei 38 Prozent lag der letzte Erste-Hilfe-Kurs mehr als zehn Jahre zurück. Zu lange, erklärt Prof. Peter Sefrin, Bundesarzt beim Roten Kreuz. Denn: „Wer mehr Übung hat, der ist auch eher bereit zu helfen.“