Braunschweig. Verkehrsexperte Dr. Karsten Lemmer, Leiter des Instituts für Verkehrssystemtechnik (DLR), lobt den Bericht der Ethik-Kommission.

Automatisiertes und autonomes Fahren ist ein Forschungsschwerpunkt am Braunschweiger Standort des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Johannes Kaufmann sprach mit Professor Karsten Lemmer, Vorstand für Energie und Verkehr beim DLR, über den Bericht der Ethik-Kommission zum autonomen Fahren, ein Thema, zu dem er seit vielen Jahren forscht.

Wie bewerten Sie den Bericht der Ethik-Kommission?

Ich finde ihn inhaltlich sehr ausgewogen und auch fachlich gut. Die Kommission war ja auch hochkarätig besetzt – mit Ethikern, Technikern, Juristen und Vertretern der Verbraucher. Ein derart breites Spektrum der Perspektiven ist die optimale Basis für eine öffentliche Diskussion mit breiter Beteiligung. Es ist wichtig, sich bei einer neuen Technologie, die ethische Fragen aufwirft, darüber frühzeitig Gedanken zu machen.

„Eine grundsätzliche Bevorzugung des Fahrers darf es nicht geben.“
„Eine grundsätzliche Bevorzugung des Fahrers darf es nicht geben.“ © Karsten Lemmer, Vorstand für Energie und Verkehr beim DLR

Dem Bericht zufolge soll ein autonomes Fahrzeug bei einem unvermeidbaren Unfall die möglichen Opfer nicht nach Merkmalen wie Alter oder Geschlecht qualifizieren. Wie entscheidet der Computer dann in einer solchen Situation?

Zunächst einmal sind diese häufig angeführten Dilemmata extrem seltene und damit synthetische Situationen. Außerdem gibt es in ihnen keine richtige Lösung. Auch ein Mensch würde also gewissermaßen falsch entscheiden. Darüber hinaus ist die Technik auch noch gar nicht so weit, eine solche Klassifizierung nach äußeren Merkmalen vorzunehmen.

Aber irgendeine Entscheidung muss das Auto ja treffen, zum Beispiel ausweichen und die eine Person gefährden oder nur bremsen und eine andere Person gefährden.

Dafür hat die Kommission einige sinnvolle Regeln vorgeschlagen: Sachschaden geht vor Personenschaden, der Schutz von Menschen hat Vorrang vor dem von Tieren. Darüber hinaus müssen in einem gesellschaftlichen Diskussionsprozess Regeln für ein solches Dilemma festgelegt werden. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Straße als Gefahrenraum definiert wird und die Regel dann lautet, dass das Auto im Zweifelfall immer auf der Straße bleibt und nicht etwa auf den Bürgersteig ausweicht. So wird sichergestellt, dass keine Bewertung der Verkehrsteilnehmer erfolgt, sondern andere transparente Regeln gelten. Auch eine grundsätzliche Bevorzugung des Fahrers darf es nicht geben.

Wie gesagt, das ist aber der absolute Ausnahmefall. Praktisch wird die Technik, wenn sie ein Hindernis im Fahrbereich detektiert, möglichst einen kollisionsfreien Fahrweg berechnen und/oder bremsen. Das kann die Technik zuverlässiger als jeder Mensch. Wir Menschen brauchen beispielsweise recht lange, um zu erkennen, dass vor uns jemand vom Gas gegangen ist. Der Computer sieht das sofort und kann reagieren, ohne dass abruptes Bremsen nötig wird.

Ist es typisch deutsch, erst einmal eine Ethik-Kommission mit Theologen und Philosophen einzuberufen, während anderswo die Technik bereits vorangetrieben wird?

In den USA und in Asien gibt es grundsätzlich ähnliche Fragestellungen: Was ist verantwortbar? Gleichzeitig wird die Entwicklung hin zum autonomen Fahren sich international nicht aufhalten lassen. Dem wird auch Deutschland sich nicht entziehen können. Umso wichtiger ist es, dass die Kommission dieses Thema aufgegriffen hat. Das ist die Grundlage für eine öffentliche Debatte, die differenzierter ist als die Frage danach, ob ein autonomes Fahrzeug im Notfall besser einen alten Mann oder eine junge Frau überfährt. Der Bericht befeuert hoffentlich eine durchaus kontroverse Diskussion über eine neue Technologie, die die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen kann. Besser kontrovers diskutieren als gar nicht. Das ist das Wesen der Demokratie.

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