Braunschweig. Durch den Zeit- und Benzinverlust verliert die Löwenstadt laut einer Studie 155 Millionen Euro, die VW-Stadt 62 Millionen.

Staus stellen Autofahrer nicht nur auf eine Nervenprobe, sie belasten auch die Kassen der Städte und den Geldbeutel ihrer Einwohner. Als Erster hat der amerikanische Verkehrsdaten-Anbieter Inrix in einer ausführlichen Studie nun die Kosten von Staus für Kommunen und Bürger errechnet. Demnach verliert die Stadt Braunschweig jährlich 155 Millionen Euro, Wolfsburg 62 Millionen Euro. Jeden Braunschweiger kosten die Staus in ihrer Stadt jährlich 1226 Euro, jeden Wolfsburger 901 Euro.

Ein Inrix-Sprecher sagte unserer Zeitung: „Dabei haben wir direkte, durch Verschwendung von Zeit und Benzin entstehende Kosten berücksichtigt, und auch indirekte Kosten, die Unternehmen entstehen und die sie an Haushalte in Form von höheren Preisen weitergeben.“

Braunschweig und Wolfsburg sind zwei von weltweit 1064 Großstädten und Ballungsräumen in 38 Ländern, die Inrix mit Blick auf die Staus in den Fokus genommen hat. Laut dem Unternehmen handelt es sich um die umfassendste Studie dieser Art. Die Daten stammen von Navigationsgeräten und öffentlichen Verkehrsmitteln. Inrix bietet selbst Navigationssysteme an. Laut Sprecher kooperiert die Firma mit vielen Autoherstellern, darunter auch VW. „Volkswagen verwendet unsere Navigationssysteme zum Beispiel für den Passat.“ Die Daten seien anonymisiert erhoben worden, beteuerte der Sprecher.

In Deutschland hat Inrix die Staus in mehr als 60 Städten ausgewertet. In München herrschte 2016 mit 49 Stunden der meiste Stillstand. Da sind die Staus in Braunschweig und Wolfsburg mit 19 und 18 Stunden moderat.

Staudaten Wolfsburg und Braunschweig

Zum Vergleich: Heilbronn liegt bundesweit in der Stau-Studie mit 46 Stunden gleich hinter München auf dem zweiten Platz. Dabei ist die Stadt in Baden-Württemberg mit ihren 120 000 Einwohnern ähnlich groß wie Wolfsburg, Braunschweig ist mehr als doppelt so groß. Weil die Fahrtzeiten im Kontrast zu München insgesamt erheblich kürzer sind, ergibt sich für Heilbronn eine „Staurate“ von 18 Prozent. Gemessen an der Gesamtfahrtzeit kamen Autofahrer in München mit 15 Prozent Staurate schneller voran. Und in Braunschweig betrugen die Staus gemessen an der Fahrtzeit nur halb so viel wie in Heilbronn: 8 Prozent. In Wolfsburg waren es noch 6 Prozent.

Inrix hat sich bemüht, die unterschiedlichen Aspekte des Verkehrs in einer Großstadt abzubilden. Es hat daher auch die Fahrtzeit auf verschiedenen Straßen und an unterschiedlichen Tagen zu den verschiedenen Uhrzeiten aufgeschlüsselt. So soll sich nicht nur der Berufsverkehr in den Zahlen spiegeln, sondern auch das Verkehrsaufkommen tagsüber, nachts und am Wochenende.

Demnach spielt der Berufsverkehr in Wolfsburg eine viel größere Rolle als in Braunschweig. Täglich pendeln 80 000 Menschen nach Wolfsburg zu VW und den Zulieferern. Inrix hat daher die A 39, auf der jeden Morgen und jeden Abend Tausende von Pendlern zwischen Braunschweig und Wolfsburg fahren, der VW-Stadt zugeordnet. Aus der Studie geht hervor, dass innerstädtische Staus in Wolfsburg vergleichsweise selten vorkommen. Sehr hoch belastet sind hier dagegen die Ein- und Ausfallstraßen.

Die A 39 wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu den zehn am stärksten von Staus betroffenen Wolfsburger Straßen zählen. Inrix konnte das gestern leider nicht bestätigen. Dabei liegen dem Unternehmen die Daten wie bei allen anderen untersuchten Städten eigentlich vor. „Wir haben 500 Terabyte an Daten aus 300 Millionen unterschiedlichen Quellen analysiert. Bis wir die gewünschten Fakten aus Braunschweig und Wolfsburg zusammengetragen haben, vergehen mehrere Tage“, sagte der Sprecher. Das Unternehmen versprach, die Daten nachzuliefern.

Die zehn am stärksten von Staus betroffenen Straßen deutschlandweit befinden sich laut Inrix alle in und außerhalb von Köln, München, Berlin, Hamburg, Frankfurt und Stuttgart. Köln ist gleich dreimal vertreten. Wer die A 3 von Köln Richtung Leverkusen nutzt, sollte viel Zeit einplanen. Es ist die Staustrecke Nummer eins in Deutschland.

Am langsamsten kommen Autofahrer zu Stoßzeiten durch die Stadtzentren von Berlin und München. Vor den Metropolen liegt überraschend: Mönchengladbach. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt hier gerade mal 7,7 Stundenkilometer, in Berlin sind es 8,2 und in München 8,8 Stundenkilometer. Bei diesen Werten halten sportliche Fußgänger fast noch mit. Auch diese Daten für Braunschweig und Wolfsburg will Inrix unserer Zeitung noch nachliefern.

Angesichts der hohen Kosten liegt es im Interesse der Städte, für weniger Staus zu sorgen. Das gilt auch für unsere Region. Die Daten des US-Unternehmens legen nahe, dass Linderung möglich ist. So habe etwa die Stadt München einen neuralgischen Straßen-Abschnitt durch einen Tunnel entschärft. Jedoch sagt der Braunschweiger Verkehrsforscher Tobias Wermuth: „Tunnel sind kein Allheilmittel. Außerdem ist der Bau teuer.“

Nötig sei Verkehrsvermeidung, etwa durch öffentliche Verkehrsmittel und Fahrgemeinschaften, erklärt der Verkehrsforscher. Er sieht auch die Unternehmen in der Pflicht, allen voran VW.

In München reagieren große Unternehmen bereits und suchen den Kontakt zu Inrix. Das Ziel: Die Arbeitszeiten optimieren, damit die Belegschaft Staus möglichst meiden kann.

Wermuth sagt dazu: „Wer in Braunschweig oder Wolfsburg nur 20 Minuten früher oder später ins Büro fährt, merkt das sofort: Die Straßen sind entweder viel voller oder leerer.“ Die Inrix-Studie biete bei der Analyse wertvolle Fakten. „Das lag in der Tiefe und der Breite bisher bei den Staus so noch nicht vor.“