Braunschweig. Nächste Stufe beim Imageverlust: Weil weist Piëchs Vorwürfe zurück, die Opposition kritisiert Weil, Außenstehende fordern Aufklärung.

Unser Leser Achim Böhm fragt:

Die Staatsanwaltschaft hat wohl doch einige undichte Stellen. Oder sind die Anschuldigungen des Herrn Piëch von der Staatsanwaltschaft verifiziert worden?

Die Antwort recherchierte Christina Lohner

Wer im VW-Krimi gezielt Informationen an die Medien durchsticht, fragt sich in diesen Tagen nicht nur unser Leser. Bestätigt hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig die angebliche Aussage des ehemaligen VW-Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch nicht – um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Doch am Inhalt der Aussage bestehen wenig Zweifel.

Nach Angaben des VW-Aufsichtsrats hatte Piëch schon im Frühjahr 2015 bei den internen Untersuchungen ähnlich ausgesagt. Dabei hätten sich jedoch keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Behauptungen ergeben. „Auch haben sämtliche betroffene Mitglieder des Aufsichtsratspräsidiums unabhängig voneinander alle Behauptungen von Ferdinand Piëch klar und nachdrücklich als falsch zurückgewiesen.“ Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) wiederholte das am Donnerstag noch einmal in der Öffentlichkeit.

„Ich hatte ehrlich gesagt die Hoffnung, dass Herr Piëch sich besinnt“, sagte er vor Journalisten. „Das ist ja eine Diskussion, die für das Unternehmen einigermaßen schädlich ist.“ Allerdings nicht nur für den VW-Konzern – Piëch belastet sich damit nicht nur auch selbst, als Großanleger würde er sich mit einer wirtschaftlichen Schwächung von Volkswagen ins eigene Fleisch schneiden. Welches Ziel verfolgt er also mit seiner Aussage? In Wolfsburg werden die gezielten Informations-Häppchen als Vergeltung dafür interpretiert, dass Piëch den Machtkampf gegen den damaligen Vorstandschef Martin Winterkorn verlor. Als sich der Patriarch öffentlich von Winterkorn distanzierte, hielt der Aufsichtsrat zu Winterkorn. Piëch musste den VW-Konzern und damit sein Lebenswerk verlassen.

Genauso offen ist die Frage, wie der jetzige Aufsichtsrat und der Vorstand auf die angeblich falschen Aussagen reagieren werden. Der Vorstand lässt von einer Kanzlei mögliche Maßnahmen und Ansprüche gegen Piëch prüfen; das wird aber wohl ein paar Wochen dauern. Auch Weil lässt rechtliche Konsequenzen erst einmal prüfen. Dabei wäre eine umgehende Anzeige oder Klage ein starkes öffentliches Signal gewesen. Andererseits könnte ihm dies auch schaden. Mit einer Anzeige würde der letztlich oberste Chef der Staatsanwaltschaft den Ermittlern vorgeben, was sie zu tun haben.

Eine Strafanzeige, etwa wegen übler Nachrede oder Verstößen gegen die Aufsichtsratspflichten, ist laut dem Tübinger Anlegeranwalt Andreas Tilp gar nicht notwendig: „Die ermittelt auch ohne Anzeige.“ Seiner Meinung nach müsste Weil allerdings eine Unterlassungsklage gegen Piëch einreichen. „Sonst ist es eine Frage der Zeit, bis er als Ministerpräsident nicht mehr haltbar ist.“

Auch die Opposition kritisierte das Management der Landesregierung scharf. Der FDP-Abgeordnete Jörg Bode, früher selbst Mitglied im Aufsichtsrat, hält es für fahrlässig, dass Weil mit den Vorwürfen gegen ihn – von denen er seit Monaten wusste – nicht offensiv umging: „Warum hat man nicht frühzeitig reagiert? Der durch diese Enthüllungen für VW entstandene Schaden hätte verhindert werden können.“

Falls Piëchs Darstellung stimmt, müsste der Aufsichtsrat Tilp zufolge doppelt haften: gegenüber dem Unternehmen sowie gegenüber den Anlegern. Der Jurist geht davon aus, dass sich der Konzern mögliche Regressansprüche gegenüber Vorständen oder Aufsichtsratsmitgliedern längst gesichert hat: durch Vereinbarungen, dass die Ansprüche nicht verjähren können. Eine Anzeige oder Klage brauche Zeit: „Die Ermessensentscheidung muss begründet und fehlerfrei sein“, erklärt der Anwalt.

Selbst gegen Aufsichtsratsmitglieder zu klagen, hält er nicht für nötig. „Das würde die Sache nur komplizierter machen und wäre nur nötig, wenn VW wirtschaftliche Probleme hätte.“ Tilp fordert am Landgericht Braunschweig im Namen hunderter VW-Anleger Schadenersatz in Höhe von insgesamt mehr als 5 Milliarden Euro.

Tilp glaubt aber, dass an Piëchs Vorwürfen etwas dran ist: „Wenn er nichts in der Hand hätte, würde er nicht so damit in die Öffentlichkeit gehen.“ Er hält es für möglich, dass Piëch noch früher als im Februar 2015 vom Betrug wusste. „Er ist hochintelligent und räumt nur ein, was ihm nützt.“ Das Interesse der Eignerfamilien sei, den Haftungszeitpunkt nach hinten zu verlagern – je früher Piëch davon wusste, desto mehr Anleger könnten Schadenersatzanspruch geltend machen.

Der Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Ulrich Hocker, betonte, ein unabhängiger Sonderprüfer sei nun so wichtig wie nie. Die DSW versucht, diesen per Gericht durchzusetzen. Der Chef des Untersuchungsausschusses des Bundestages, Herbert Behrens (Linke), sagte, er wolle Piëch als Zeugen laden. „Es ist erstaunlich, was immer noch alles dazukommen kann.“ Die Entwicklung bei VW sei ein Desaster. Der Konzern habe die interne Aufklärung überhaupt nicht mehr in der Hand. „Es herrscht völlige Planlosigkeit.“