Braunschweig. Michael Blase, Leiter des Dezernats Kriminalitätsbekämpfung, setzt im Kampf gegen Einbrecherbanden auf koordinierte Teamarbeit.

Mit einem neuen Konzept will die Polizeidirektion Braunschweig die Aufklärungsquote bei Wohnungseinbrüchen verbessern. Was sich dafür verändern muss, darüber sprach Dirk Breyvogel mit Michael Blase, Leiter des Dezernats Kriminalitätsbekämpfung.

Die Einbruchszahlen in Wohnungen und Häuser sind weiterhin auf hohem Niveau. Die Zahl der aufgeklärten Fälle nur leicht verbessert. Was muss sich ändern?

Wir müssen stärker als bisher gewährleisten, dass Polizeibeamte schneller am Tatort sind. Das müssen anfangs noch keine Fachkräfte der Spurensicherung sein, sondern können zunächst Beamte des Einsatz- und Streifendienstes sein, die Einbruchsopfern das Gefühl vermitteln, dass ihre Anliegen ernst genommen werden.

„Die Aufklärungsquote zu erhöhen, muss zentrale Aufgabe im Alltag der Polizei sein.“
„Die Aufklärungsquote zu erhöhen, muss zentrale Aufgabe im Alltag der Polizei sein.“ © Michael Blase, Leiter Dezernat Kriminalitätsbekämpfung. Foto: Peter Sierigk

Passiert das denn nicht?

An besonderen Tagen, an denen viele Delikte zur Anzeige kommen, müssen Bürger bisweilen stundenlang warten, bis jemand den Fall vor Ort aufnimmt. Das ist ein echtes Problem, das wir als Polizeidirektion Braunschweig verbessern wollen. Die Quote der Aufklärung ist seit Jahren rückläufig und liegt in bestimmten Dienststellen bei unter 5 und im Mittel bei gerade 15 Prozent. Das ist ein Wert, der auf Dauer für die Bürger, aber auch für uns als Polizei inakzeptabel ist.

Wie wollen Sie das Blatt wenden?

Natürlich ist das immer eine Frage der Zeit und der vorhandenen Ressourcen. Es wäre wünschenswert, wenn wir täglich über die Kapazitäten verfügen würden, die notwendig sind, um Einbruchsdelikte aufzunehmen, zu verfolgen und bestenfalls auch aufzuklären. Aber gerade in Zeiten, in denen Sicherheitsbehörden versuchen, Terroranschläge zu verhindern und potenzielle Attentäter aus dem Verkehr zu ziehen, gibt es auch andere Prioritäten. Das versteht auch jeder. Aber es gibt auch Punkte, die wir als Behörde besser machen können, um den Menschen wieder das Gefühl von mehr Sicherheit zu geben. Mit einem umfangreichen Konzept haben wir bereits im August 2016 mit den Polizeiinspektionen Schritte zur Verbesserung eingeleitet.

Können Sie Beispiele nennen?

Wir hatten 2015 die mit Abstand höchsten Werte bei den Wohnungseinbrüchen. Wir haben dann eine Nabelschau betrieben und sind zu der Erkenntnis gekommen, dass die einzelnen Prozessschritte zu lange dauern. Eine Sofortfahndung, die erst nach drei Tagen einsetzen kann, ist ein Widerspruch in sich. Dann sind die Täter über alle Berge und das Diebesgut versteckt. Wir müssen auf allen Feldern schneller werden, sei es bei der Anzeigenaufnahme, der Fahndung oder der Zeugenvernehmung.

Einbrüche in der Region 2sp.jpg

Leser wie der Gifhorner Hans-Herbert Holletzek oder Heinz Eickelen aus Süpplingen möchten wissen, wann die Polizei endlich loslegt?

Wir haben in den Inspektionen Ermittlungsgruppen „Wohnungseinbruch“ eingerichtet, die sich ausschließlich mit diesem Kriminalitätsfeld beschäftigen. Es gibt eine zentrale Koordinierungsstelle, die in der PD angesiedelt ist, und es soll durch verstärkte Vernetzung den Informations-Austausch der Ermittler untereinander geben, denn wir wissen, dass sich die Täter nicht für Zuständigkeitsgrenzen interessieren. Die Einführung der neuen Prozesse darf kein Lippenbekenntnis sein. Das war viel zu lange der Fall. Die Aufklärungsquote von Einbrüchen und Diebstählen signifikant zu erhöhen, muss die gemeinsame zentrale Aufgabe im Alltag der Polizei sein. Das ist die klare Zielvorgabe von Polizeipräsident Michael Pientka und seinem Stellvertreter Roger Fladung.

Wo mangelt es noch?

Schnelligkeit ist das eine, Gründlichkeit und Qualität bei der Spurensicherung ein anderes Problem. Wir haben auch da Nachholbedarf. Zudem, und darauf muss auch die Ausbildung des polizeilichen Nachwuchses vorbereiten, müssen wir verstärkt Empathie vermitteln. Jeder künftige Polizeibeamte muss wissen, dass ein hohes Einfühlungsvermögen für das Opfer vonnöten ist. Neben der Aufklärung ist das ein Baustein, das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei aufrecht zu erhalten. Negative Erlebnisse bleiben oft länger haften als positive.

Befürchten Sie, dass das Thema Wohnungseinbruch durch andere politische Themen in der öffentlichen Wahrnehmung wieder verdrängt wird?

Die Gefahr durch islamistische Anschläge und die Überwachung von potenziellen Gefährdern: Das alles schluckt viele Ressourcen. Und dennoch müssen wir die Herausforderungen des Alltags in ein Gleichgewicht bringen. Denn das Sicherheitsgefühl der Bürger ist ein sehr kostbares Gut, das allen voran unser Präsident für besonders schützenswert betrachtet. Wenn die letzte Insel der Geborgenheit, die eigene Wohnung, nicht mehr als sicher empfunden wird, dann kippt etwas in der Gesellschaft.

Haben Sie das Gefühl?

Es gibt immer Menschen, die sich aufgrund ihrer Besserstellung private Sicherheit leisten können. Andere, die diese Mittel nicht besitzen, fallen hinten runter. Deshalb ist es die Verpflichtung des Staates und seiner Organe, allen denselben und vor allem ausreichenden Schutz zu gewährleisten.

Sind die Täter heute andere?

Ich stelle in den letzten fünf Jahren Veränderungen fest. Ich kann das nicht statistisch belegen, weil nur die aufgeklärten Fälle am Ende Einblicke in die Täterstrukturen zulassen. Im urbanen Raum gibt es weiter die klassische Gruppe der örtlichen Einzeltäter, die, weil sie zum Beispiel ihren Drogenkauf finanzieren, mehr oder weniger spontan einbrechen. Die Gruppe wird kleiner. Stattdessen haben wir es immer öfter mit mobilen und organisierten Banden zu tun, die mit Hilfe von Verbindungsmännern in Deutschland Einbrüche begehen. Ich schätze, dass der Anteil dieser Tätergruppen in den letzten Jahren von 20 auf etwa 40 Prozent angewachsen ist.

Woher kommen die?

Immer öfter vom Balkan und aus Osteuropa. Mit der Flüchtlingswelle des Jahres 2015 ist der Anstieg aber nicht zu erklären. Auch das ist mir wichtig zu sagen. Zum Beispiel hat von Göttingen aus bis in unseren Zuständigkeitsbereich zuletzt eine Bande aus Georgien mit Serieneinbrüchen für Aufsehen gesorgt. Im Raum Hamburg ist es der Polizei gelungen, eine Gruppe Chilenen zu überführen. Die Täter arbeiten nicht nur immer professioneller, sondern kommen mittlerweile auch von anderen Kontinenten nach Europa.

Wie werden Sie auf die Tatverdächtigen aufmerksam?

Da sind oft monatelangen Recherchen nötig. Irgendwann führt die Spur in einen Brennpunktbereich und in der Regel zu einem ortskundigen Verbindungsmann, dem sogenannten Residenten, der oftmals auch einen festen Bleibestatus besitzt. Die Ermittlungen machen meistens deutlich, dass dieser die Fäden in der Hand hat. So stellt er die Logistik und versorgt die „Einbrecher“ mit verschiedensten Fahrzeugen, die in der Regel nicht auf den tatsächlichen Benutzer rückschließen lassen.

Warum ist es so schwer, dieser Personen habhaft zu werden?

Weil diese Täter ein Netzwerk aufgebaut haben. Alle Beteiligten haben ihre Aufgabe zu erfüllen. Dabei kennt die Person, die in das Haus einsteigt, mitunter den Namen des Auftraggebers nicht einmal. Dieser steuert – und das ist das Schwierige – oft vom Ausland aus den Ablauf der Operation und bezahlt die Mittelsmänner, die die Einbrecher instruieren. Deswegen ist unser neuer Ansatz wichtig, viel schneller in die Ermittlungstiefe zu gehen, um Fälle und Hintergründe aufzuklären. Ein Sachbearbeiter, der bis zu 30 solcher Verfahren auf dem Tisch hat, der ist schnell überfordert. Deswegen ist die vernetzte Polizeiarbeit wichtiger denn je. Hier müssen wir symbolisch weg vom Schreibtisch, stärker hin zu operativen Einsatz- und Ermittlungsgruppen.

Was fordern Sie von der Politik, um Verdachtsmomente am Ende gerichtsrelevant machen zu können?

Natürlich brauchen wir die Möglichkeit, unbürokratischer als bisher beispielsweise auf Telefondaten zurückgreifen zu können. Vielfach sind diese Daten der einzige Ansatz, hochprofessionellen Tätern auf die Schliche zu kommen. In den seltensten Fällen haben wir das Glück, durch eine Festnahme oder die Aussagen von Zeugen oder Komplizen, tiefer in die Ermittlungen gehen zu können.

Kann es sein, dass die Diskussion über die verstärkte Videoüberwachung auch Ihrer Arbeit hilft?

Definitiv. Ich finde, die Diskussion geht schon seit vielen Jahren in die falsche Richtung. Es wird gesagt, Videoüberwachung oder Vorratsdatenspeicherung würden keine Anschläge oder Taten verhindern. In Wirklichkeit führt jede Festnahme – allerdings erst im Nachhinein nach Auswertung des Videomaterials – dazu, dass zumindest von dem dann festgenommenen Täter keine Gefahr mehr ausgeht. Aber ich will noch etwas anderes betonen, was mir wichtig ist: Ich glaube, dass der Wohnungseinbruch gesetzlich auf dieselbe Stufe wie zum Beispiel der Raub gestellt werden könnte. Wir brauchen härtere Strafen, die die Täter abschrecken. Das Strafmaß muss auch die Folgen für das Opfer stärker im Blick haben. Jeder Wohnungseinbruch kann eine Traumatisierung der Opfer nach sich ziehen.

Gibt es in unserer Region Orte, in denen die Wahrscheinlichkeit höher ist, ein Einbruchsopfer zu werden?

Auffällig ist, dass der Anteil der Straftaten im Verhältnis zur Einwohnerzahl in den Landkreisen Peine und Gifhorn besonders hoch ist. Das liegt auch an den möglichen Fluchtrouten der Täter, die in Peine insbesondere die Nähe zur A 2 nutzen, um schnell die Region zu verlassen. Die Täter konzentrieren sich oft auf Neubaugebiete. Eine Theorie ist, dass sich hier nachbarschaftliche Bindungen noch finden müssen. Eine gute Nachbarschaft ersetzt jeden noch so guten Wachhund.

Wenn Sie Tatortprofile besitzen: Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für ihre tägliche Arbeit?

Unser Konzept sieht unter anderem vor, dass wir mit Hilfe von Algorithmen digitale Karten erstellen können, die zeigen, wo potenzielle Einbruchsschwerpunkte sind und weitere entstehen könnten. Künftig sollen auch Polizeibeamte von unterwegs angezeigt bekommen, wo diese Schwerpunkte liegen. Wir wollen so kurzfristiger auf Täterbewegungen reagieren, indem wir hier verstärkt Streife fahren, entweder zivil oder ganz offiziell, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen.

Wie können Bürger die Polizei bei der Einbrecherjagd unterstützen?

Natürlich darf der Tatort durch das Opfer nicht verändert werden. Wild rumstöbern und schauen, ob noch was da ist, sollte unterlassen werden. Jede Veränderung kann einen Spurenverlust zur Folge haben. Was die wenigsten aber wissen: Schon im Vorfeld einer Tat ist es hilfreich in Erwägung zu ziehen, das man möglicherweise Opfer einer Straftat werden könnte.

Kein schöner Gedanke...

Das stimmt. Und doch kann es den Beamten bei der Aufklärung später helfen, wenn wertvolle Gegenstände wie Schmuckstücke, Münzsammlungen oder wertvolle Bilder im Vorfeld fotografiert wurden. Dann kommt Geschwindigkeit ins Spiel, wenn wir bei der Fahndung auch Hinweise auf Gerätenummern oder eine Ehering-Gravur haben. Das kann mitunter der entscheidende Hinweis sein.

Den Leitartikel zum Thema lesen Sie hier: Polizei 4.0