Hannover. Im Fall einer „Nikab“-Trägerin im Kreis Osnabrück gerät deren Umfeld immer mehr in den Fokus der niedersächsischen Behörden.

Unser Leser Peter Holstein aus Wolfenbüttel fragt:

Wie stellen die Lehrer fest, wer hinter dem Nikab steckt?

Die Antwort recherchierte Michael Ahlers

Wer sich in Niedersachsen mit dem Thema Islamismus und der Rolle der Behörden bei dessen Analyse und Bekämpfung beschäftigt, der braucht vergleichsweise starke Nerven.

So schilderte ein hoher Beamter des niedersächsischen Innenministeriums Ende November im „Islamismus“-Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtags, wie die Polizei in Hannover den Messerangriff der jugendlichen Safia S. auf einen Bundespolizisten im Februar 2016 im Hauptbahnhof von Hannover eingestuft hatte: „Eine religiös motivierte Tat scheidet nach bisheriger Kenntnis aus.“ Erst als der Ministeriums-Mann, praktischerweise ein früherer Polizeipräsident von Hannover, bei den Kollegen nachhakte, änderte sich offenbar das Bild.

„Safia S. war eine sogenannte Syrien-Rückkehrerin – außerdem waren ihre Videos mit Pierre Vogel bekannt. Ihr Bruder saß in der Türkei in Haft. Sie hatte mit Koran-Verteilaktionen zu tun gehabt und es gab frühzeitige Warnungen aus dem privaten Umfeld. Trotzdem wurde Safias Attentat nicht als salafistischer Anschlag bewertet“, fühlte sich der CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss, der Abgeordnete Jens Nacke, an seinen grundlegenden Zweifeln an Niedersachsens Sicherheitsbehörden wieder einmal bestätigt.

Ob und welche Parallelen es zum „Nikab von Belm“ gibt, den unser Leser anspricht, das ist derzeit noch völlig offen. Eine Zehntklässlerin trägt den Gesichtsschleier seit mehr als zwei Jahren an ihrer Oberschule im Unterricht. Schulbehörden und Ministerium erfuhren nach eigenen Angaben erst in diesem Herbst von dem Fall, setzen aber zunächst weiter auf Gespräche mit der Betroffenen und Umfeld. Dem Mädchen solle ihr Abschluss ermöglicht werden, heißt es. Die Schulleiterin schaltete die Behörden erst ein, als das Verwaltungsgericht Osnabrück den Anspruch einer anderen jungen Frau auf verschleierten Besuch eines Abendgymnasiums abgelehnt hatte.

Das Ganze ist zunächst ein schulisches Problem, praktisch wie juristisch. Ist Unterricht mit einem verschleierten Mädchen im Klassenzimmer sinnvoll? Was sagen die Mitschüler, was die Lehrer, was die Schulleitung? Die Landesregierung sieht Belm als Einzelfall, der sich nicht wiederholen dürfe.

Dazu gehört aus Sicht der Koalition auch, dass das Mädchen sich in früheren Jahren nicht voll verschleiert habe und daher den Mitschülern und Lehrern noch bekannt sei. Im Kreis von Freundinnen soll es den Schleier auch mal lüften. Das Identifizierungsproblem, das unser Leser anspricht, ist ohnehin nicht das Entscheidende – zumal Belm aktuell auch praktisch der einzige Fall in Niedersachsen ist. So könnte eine vollverschleierte Muslimin jeweils zu Beginn des Schultags gegenüber einem Mitglied der Schulleitung den Schleier kurz lüften, um sich zu identifizieren. Sowohl Kultus-Staatssekretärin Erika Huxhold als auch Ministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) sehen das Tragen des Schleiers aber im klaren Widerspruch zum Schulgesetz, weil – so Huxhold – die vollständige Verschleierung ein „objektives Unterrichtshindernis“ sei. Juristisch aber ist vor allem der „Schulfrieden“ ein wichtiger Hebel für Schritte gegen den Schleier.

Und diesen Schulfrieden hatte die Landesregierung trotz „Nikabs“ für intakt erklärt. Huxhold hatte zudem im Kultusausschuss des Landtags berichtet, das Mädchen trage den Schleier aus eigener Überzeugung. Die Schülerin sei auch gut integriert.

Doch immerhin ließ sich das Mädchen vom Sportunterricht und von Klassenfahrten befreien, immerhin griff es schließlich zum „Nikab“. Das deutet zunächst auf eine Integration in ganz anderen Milieus hin. Und so ist Belm ein Fall nicht nur für die Schul-, sondern auch für die Sicherheitsbehörden.

Der zuständige Ausschuss des Landtags wartet auf eine Unterrichtung des Verfassungsschutzes in der kommenden Woche. „Dass es etwas zu unterrichten gibt, ist uns gesagt worden“, sagt CDU-Politiker Nacke. Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ berichtete bereits über möglichen Passentzug für Personen im Umfeld der Schülerin sowie eine Teilnahme an Koranverteilungen durch Familienmitglieder. Es könnte bei dem, was berichtet wird, aber auch um Beratungsangebote und -gespräche gehen.

Was den Schulbesuch angeht, soll der Nikab in Belm falls nötig geduldet werden, bis das Mädchen im Sommer 2017 seinen Abschluss an der Oberschule macht. Die Schulpflicht bestünde dann aber noch weiter. Ministerin Heiligenstadt hat zwar ein Ändern des Schulgesetzes in Aussicht gestellt. Doch ob ein faktisches Verschleierungsverbot vor Gerichten standhielte, ist eine ganz andere Frage. „Die Schule hat viel zu lange gezögert. Die Religionsfreiheit ist nicht grenzenlos“, findet FDP-Politiker Stefan Birkner.