Hannover. Landeskriminalamts-Chef Uwe Kolmey sagt vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Wolfsburger Islamistenszene aus.

Unser Leser Eckhard Müller aus Schöningen fragt:

Warum sind die Geheimdienste nicht in der Lage, geplante Anschläge zu ermitteln?

Die Antwort recherchierte Michael Ahlers

Dass Ermittler vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht ihre Privatadresse angeben, ist üblich – zumal wenn man beim Landeskriminalamt (LKA) arbeitet. So nannte dessen Präsident Uwe Kolmey im Landtag als seine ladungsfähige Adresse „Am Waterlooplatz 11“, wo das LKA sitzt. Die berühmte Schlacht hatte ja schließlich auch Sieger.

Was Niedersachsens Sicherheitsbehörden angeht, befinden die sich allerdings polizeilich wie politisch in einer Abwehrschlacht. „Tätigkeit der Sicherheitsbehörden gegen die islamistische Bedrohung in Niedersachsen“ lautet das Thema eines Untersuchungsausschusses, mit dem CDU und FDP im Landtag der rot-grünen Landesregierung und insbesondere Innenminister Boris Pistorius (SPD) Versäumnisse und Fehler im Kampf gegen Terrorgefahr und Dschihadismus nachweisen wollen. Die Frage, die dahinter steht, ist im Grunde auch die Frage unseres Lesers. Im Fall Safia S., der Schülerin, die am Hauptbahnhof von Hannover einen Polizisten niederstach, wurden bereits etliche Fehler deutlich – mit tragischen Folgen.

In Sachen Wolfsburger Islamistenszene, die derzeit im Mittelpunkt der Ausschussarbeit steht, sieht es nicht viel besser aus. LKA-Präsident Kolmey schilderte in seinem einstündigen Eingangsstatement zwar noch einmal die „wachsende Dynamik“ der Islamisten- und Salafistenszene in Niedersachsen und ganz Deutschland. Wolfsburg sei dafür ein „Abbild“, so Kolmey. Von Februar 2013 bis Mai 2016 reisten laut LKA allein aus Niedersachsen 76 IS-Unterstützer aus. Im Mai 2014 richtete das Landeskriminalamt zu Wolfsburg den „Ermittlungskomplex Sultan“ ein.

Ausführlich beschrieb Kolmey den „regelmäßigen Austausch“ seiner Behörde mit dem „Fachkommissariat 4“ der Polizeiinspektion Wolfsburg, „Gefahrenermittlungsvorgänge“ oder auch Kooperationsgespräche der Polizei mit einflussreichen Personen der islamischen Szene. Dass dennoch immer wieder Salafisten aus Wolfsburg die Ausreise in die Kriegsregion Syrien/Irak gelang, dafür stehen die niedersächsischen Behörden seit langem in der Kritik. Im Fall Ayoub B., der nach seiner Rückkehr vor dem Oberlandesgericht Celle stand, verließen sich die Ermittler laut Kolmey auf Angaben aus dem Familien- und Freundeskreis, so des Bruders. Der Hinweis auf Ausreisepläne in Kampfgebiete stimmte zwar. Die Versicherung, vor Ende Juli 2014 werde das nicht passieren, erwies sich allerdings als falsch. „Unsere Ermittler sind von der Ausreise überrascht worden“, sagte Kolmey lapidar.

Den Wolfsburger Ebrahim H.B., der ebenfalls als Rückkehrer in Celle vor Gericht stand, hatten die Ermittler erst Monate nach dessen Ausreise überhaupt auf dem Radar – durch ein Facebook-Profil samt Foto mit IS-Fahnen. Auch der Mann, der in Wolfsburg offenbar als IS-Anwerber die Fäden zog, entkam den Behörden. Allerdings ging nicht alles schief: Im Dezember 2014 etwa scheiterte der Ausreiseversuch eines Wolfsburger Salafisten.

„Ausreiseverhindernde Maßnahmen“ bräuchten eben ausreichende Erkenntnisse, so Kolmey. Im Fall Wolfsburg habe ein Imam gesagt, von der Radikalisierung in der Moschee nichts mitbekommen zu haben. In Hildesheim drohte der Deutschsprachige Islamkreis (DIK) zunächst per Rechtsanwalt, statt den Austausch zu suchen.

„Das Landeskriminalamt hat der Ausreisewelle aus Wolfsburg viel zu lange nur zugeschaut, offensichtliche Fehler und Defizite werden herunter gespielt“, erklärte FDP-Ausschussobmann Stefan Birkner. Unstrittig sei, dass den niedersächsischen Sicherheitsbehörden im Zuge der Ausreisewelle von Islamisten aus Wolfsburg nach Syrien schwere Fehler unterlaufen seien, erklärte auch CDU-Kollege Jens Nacke.

Ähnlich hatte das im September 2015 vielleicht auch Innen-Staatssekretär Stephan Manke gesehen. Das Innenministerium forderte von Kolmey eine „erneute umfassend und kritische Analyse“ der Abläufe, die „unabdingbar“ sei. Zu zehn der 76 aus Niedersachsen ausgereisten Islamisten gab es laut Kolmey „Hinweise“ – zu den restlichen 66 aber nicht.

In einer E-Mail an Innenministerium und Verfassungsschutz warnte Kolmey im Dezember 2015 ausdrücklich davor, gegenüber Medien von „unzureichenden Maßnahmen“ zu sprechen. Als Zeuge im U-Ausschuss hielt er selbst sich vorbildlich daran.