Braunschweig. Kultusministerin Frauke Heiligenstadt muss gegen Stundenausfall kämpfen. Der Markt, sagt sie, wird immer angespannter. Es gibt nicht genug Lehrer.

Zu Gast im „Leser fragen“ war Kultusministerin Frauke Heiligenstadt.

„Wie kann man Lehrer an alle Schulen bekommen?“

Philipp Herpich: Der Stundenausfall an unserer Schule ist schon sehr hoch. In manchen Wochen hat man zum Beispiel überhaupt kein Deutsch. Warum ist es so schwer, die Lehrkräfte zu entlasten und mehr Lehrer einzustellen, um Stundenausfall zu vermeiden? Die Probleme sind doch schon lange bekannt....

Das Thema Belastungssituation von Lehrkräften haben wir in Niedersachsen intensiv bearbeitet. Wir haben in einer Online-Befragung die Lehrkräfte ganz konkret nach ihren Belastungen gefragt und auch nach Vorschlägen zur Entlastung. Das wird derzeit wissenschaftlich ausgewertet. Zum Beispiel haben viele gesagt, dass die Schulinspektion und die Vergleichsarbeiten in den Klassen 3 und 8 belasten. Da werden wir konkrete Entlastungsmaßnahmen umsetzen. Wir haben die Zahl der Klausuren etwas verringert, wir haben die Klassenteiler weiter verringert. Und wir haben zusätzliche Lehrer an die Schulen gebracht.

Illona Gerhardy-Grotjan: Es ist leicht, am attraktiven Standort Braunschweig gut ausgebildete, junge Lehrkräfte zu bekommen. Ich bedauere aber immer mehr meine Schulleitungskollegen auf dem flachen Land, die dem Fachlehrermangel ausgeliefert sind. Welche Lösungen haben Sie für den Fachlehrermangel in der Fläche?

Wir haben einen steigenden Bedarf, nicht nur in Niedersachsen: Wir haben deutlich mehr Ganztagsschulen, deutlich mehr Stunden für Inklusion und deutlich mehr Schülerinnen und Schüler, nämlich 36 000 aus Fluchtzusammenhängen. Darauf haben wir reagiert und viele zusätzliche Stellen ausgeschrieben. Diese können leider nicht alle besetzt werden. Das ist insbesondere bei den Realschulen, Hauptschulen und auch Grundschulen so. Aber eben auch in sogenannten peripheren Lagen. Wir haben im Sommer 2016 einen 17-Punkte-Plan aufgelegt. Wir versuchen damit viele kleine Maßnahmen umzusetzen. Zum Beispiel haben wir den Quereinstieg nicht mehr nur in sogenannten Mangelfächern, sondern haben das auch für andere Fächer ermöglicht.

Wir haben auch erstmalig den Quereinstieg für Grundschulen zugelassen. Wir prüfen derzeit auch, ob wir Lehrkräften für periphere Regionen Umzugskostenunterstützung anbieten können. Man kann aber Lehrkräfte nicht zwingen, an bestimmte Standorte zu gehen.

Ingo Kavemann: Zum 1. Februar sollen 700 Gymnasiallehrer ausgebildet worden sein. Diese Lehrer sind offenbar auch da, aber die Landesregierung hat nur knapp 360 entsprechende Stellen ausgeschrieben. Können Sie diesen Zusammenhang kurz erklären?

Als Ministerin habe ich alle Schulen im Blick zu behalten. Und ich muss mit den mir zur Verfügung gestellten Ressourcen für eine landesweit möglichst gleichmäßige Unterrichtsversorgung sorgen. Deswegen werden anhand der Prognosewerte entsprechende Verteilungen von Ausschreibungsmöglichkeiten vorgenommen. Und da hat sich an den Gymnasien ein Bedarf von ungefähr 165 Stellen ergeben. Wir haben jetzt aber schon rund 200 Einstellungen für Lehrkräfte mit Lehramt Gymnasien vorgenommen. Alle Gymnasiallehrer, die sich darüber hinaus beworben haben, können sich selbstverständlich auch auf Stellen an Hauptschulen, an Realschulen oder auch Oberschulen bewerben. Diese Lehrkräfte arbeiten dann aber oft lieber als Vertretungslehrkräfte bis zum nächsten Einstellungstermin, dem 1. August.

Gerhardy-Grotjan: Vertretungslehrkräfte, Quereinstieg – ist das nicht auch ein bisschen eine Bankrotterklärung des Landes?

Es geht doch um einen eigentlich hochattraktiven Beruf. Warum ist es auch politisch nicht gelungen, diesem Beruf ein entsprechendes Ansehen in der Öffentlichkeit zu verschaffen? Liegt das auch an Besoldungsfragen?

Die Lehrer sind einfach nicht da. Ich konnte die letzten vier Jahre gestalten, die Ausbildung neuer Lehrer dauert aber länger. Wir versuchen Belastungen zu reduzieren, und wir verbeamten die Lehrer sehr schnell. Da haben wir gegenüber anderen Ländern einen Vorteil.

Wir haben auch viele Bewerbungen aus anderen Bundesländern. Wir haben in den letzten vier Jahren auch mehr Lehrkräfte eingestellt als in den vier Jahren davor. Der Markt wird aber immer angespannter. Und gerade Gymnasiallehrkräfte sagen oft, an die Schule, für die ich eine Zusage bekommen habe, möchte ich nicht.

Kavemann: Was gibt es denn noch für Ideen, um Lehrer an alle Schulen zu bekommen? Salzgitter zum Beispiel ist ja nicht der attraktivste Standort für Lehrer... Kann man nicht auch Standorte durch bestimmte Themen interessant machen? Damit bekommen wir als Firma Leute auch an andere Orte als etwa Berlin. Ich bin Mitglied im Medien- und IT-Ausschuss der Stadt Salzgitter, und ich sehe dort, dass viele Lehrer Berührungsängste mit diesem Medium haben. Kann man solche Themen nicht als Schwerpunkt an bestimmten Schulen setzen? Und damit die Stellen attraktiver macht?

Grundsätzlich ist das ein interessanter Gedanke. Wir haben ja Schulen, die mit bestimmten Profilen arbeiten. Eine große Rolle spielt sicher auch, was Bewerber über das Kollegium gehört haben und über die Arbeitssituation. Ist das eher ein sozialer Brennpunkt, sind da kleine Klassen?

Gerhardy-Grotjan: Die Prüfung der Quereinsteiger dauert nach meiner Erfahrung unendlich lange. Wir wünschen uns, dass diese Prüfverfahren einfach schneller ablaufen.

Da sind wir dran. Aber das geht nicht von heute auf morgen, da braucht man erfahrene Leute, die das prüfen. Aber es ist ein wichtiger Punkt. 100 Quereinsteiger stellen wir im Schnitt pro Jahr ein, im laufenden Jahr haben wir schon über 300 eingestellt.

Herpich: In den 5 Jahren, seit ich auf meiner Schule bin, sind nicht viele Lehrer oder Referendare dazugekommen. Es sind eigentlich immer nur mehr gegangen. Quereinsteiger hatten wir auch, da war der Unterricht aber eher blamabel.

Kavemann: Was die Lehrer in der Flüchtlingssituation geleistet haben und leisten, ist enorm. Es kommen ja viele Kinder ohne jede Sprachkenntnisse nach Deutschland. Die Lehrer müssen das auffangen und können das nicht. An vielen Schulen haben wir einfach keine Sprachlehrer. In Salzgitter haben wir Grundschulen mit bis zu 74Prozent Ausländeranteil. Haben Sie da eine Lösung?

Die Rückmeldungen sind so, dass insbesondere in den letzten eineinhalb Jahren die Genehmigung von Sprachlernklassen und Förderstunden eher unproblematisch war. Das heißt nicht, dass ich immer das dafür qualifizierte Personal habe. Da sind die Schulen aber sehr engagiert, das hat meinen großen Respekt. Wir haben allein für Sprachförderung 700 Stellen zusätzlich zur Verfügung gestellt. Da haben wir eine ganze Menge ermöglicht. Ein Problem sind die Schüler, die gar nicht alphabetisiert sind und keine schulischen Vorerfahrungen haben.

Gerhardy-Grotjahn: Land und Kommunen haben in einem Paket die Kostenübernahme für Sozialarbeiter an Schulen vereinbart, für IT-Systemadministration, und es gibt eine Erhöhung der Verwaltungsmittel... Wie wollen Sie dafür sorgen, dass die unterschiedlichen Schulträger auch das tun, was im Landesinteresse ist? Was also kommt aus dem Paket unten an?

Die Vereinbarungen sind deutlich und klar, auch für das Schulgirokonto. Und wenn das nicht bei Ihnen ankommt, brauche ich die Rückmeldungen. Wir überweisen ja außerdem auch 30 Millionen Euro Inklusionsfolgekosten an die Schulträger, 20 Millionen für Gebäude, 10 Millionen als allgemeine Pauschale.

Gerhardy- Grotjahn: Im Bereich Braunschweig haben wir sehr gute Erfahrungen, das Geld kommt schnell an. Wir haben aber große Probleme beim Schulgirokonto und bei Schulsekretariatsstunden, da erleben wir unseren Schulträger als sehr sperrig, auch im Vergleich zu anderen Schulträgern.

Herpich: Ich verlasse jetzt die Realschule, und ich habe in fünf Jahren keine grundlegenden Verbesserungen mitbekommen, trotz der öffentlichen Diskussionen. Wie wollen Sie verhindern, dass sich auch in den nächsten fünf Jahren für die nächsten Schüler nicht viel ändert?

Es hat insgesamt viele Veränderungen gegeben, in der Tat nicht so viele an der Realschule. Wir wollen aber gerade im Bereich der digitalen Bildung eine ganze Menge tun. Das Lernen wird anders werden, auch an den Realschulen .

Kavemann: Am Ende möchte ich ein paar Wünsche äußern. Wir müssen die Attraktivität für die Lehrer steigern, Stellen anzutreten, auch wenn es darum geht, mal in ländliche Bereiche zu gehen. Im Bereich der IT sind wir nach meinem Eindruck noch komplett im Brachland. Was ich da höre, ist demotivierend. Und die Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer im Bereich der Flüchtlingspolitik muss weiter vorangehen, die Sprachförderung muss verstärkt werden. Und bitte die Schulsozialarbeit weiterführen...

Da haben wir gerade 11 Stellen in Braunschweig, 12 in Salzgitter und 9 in Wolfsburg geschaffen.